Wolfgang Schill, Fernseh-Helden und ihre Fans
Unterrichtsprojekt mit Grundschulkindern

Medienpädagogische Momentaufnahme

Als ich versuchte, Grundschullehrerinnen und -lehrer für das Projekt "Fernseh-Helden"(1) zu interessieren, stieß ich häufig auf Ablehnung. Neben dem immer wieder auftauchenden Argument "Passt nicht zum Rahmenplan!" bekam ich dem Tenor nach oft folgende Begründung zu hören:
"Diese Helden, zum Beispiel diese Bud Spencers und Rambos, die find' ich schrecklich. Die sind nicht nur brutal, sondern auch dämlich. Und wenn du dann siehst, wie die Kinder in der Pause auf dem Schulhof 'Bud Spencer' spielen mit Treten und Boxen ich krieg' da eine richtige Wut. Soll ich so etwas vielleicht im Unterricht zulassen? Damit bin ich nicht einverstanden! Ich finde, die Kinder sehen schon viel zu viel fern, das höre ich auch immer wieder von Eltern ... obwohl ich manchmal glaube, denen ist das irgendwie egal. Ich bin eher dafür, den Kindern andere Erfahrungen zu vermitteln. Zum Beispiel haben wir uns für unseren Gesprächskreis darauf verständigt, nicht mehr übers Fernsehen zu sprechen. Wir lesen uns lieber gegenseitig schöne Geschichten vor. Eine Zeitlang haben wir mal da lief gerade 'Pippi Langstrumpf' im Fernsehen die Geschichten von Astrid Lindgren gelesen. Ich hatte den Eindruck, für die Kinder war das viel lustiger und spannender!"

In dieser Aussage einer Grundschullehrerin spiegelt sich die Unsicherheit und das Unbehagen, das manche Lehrerinnen und Lehrer gegenüber "den Medienfreuden der Kinder"(2) speziell gegenüber deren "Fernseh-Freunden" verspüren. Zum Beispiel verkürzt sich hier das Lehrerinnen-Bild vom Fernseh-Helden auf den überlebensgroßen "Haudrauf-Simpel", der den Kindern negative Impulse für ihr alltägliches Handeln liefert. Ob Kinder auch andere "Helden" haben oder kennen, oder weshalb sie von bestimmten "Helden" fasziniert sind, diese Fragen werden oft gar nicht mehr gestellt. Nicht selten wird aufgrund solch eines VorUrteils "das Fernsehen der Kinder" zu einem phantasielosen und unproduktiven Geschehen gestempelt, das nur durch gezielte Gegen-Erfahrungen hier zum Beispiel durch Lesen "guter Bücher" -, wenn nicht schon wirkungsvoll verhindert, so doch wenigstens angereichert oder neutralisiert werden kann. Dies bedeutet manchmal, dass das Thema Fernsehen nur unter "ferner liefen" im Unterricht auftaucht und dass eine produktive Auseinandersetzung mit den Medienund Fernseherfahrungen der Kinder ausbleibt.

In diesem Zusammenhang soll die folgende Darstellung eines Unterrichtsvorhabens zum Thema "Fernseh-Helden" verdeutlichen, dass die Verarbeitung von Fernseh-/Medienerlebnissen im Unterricht die Chance bietet,

  • mit Kindern über ihre Lebenswelt und ihren (Medien-) Alltag ins Gespräch zu kommen,
  • sensibel dafür zu werden, welche Bedeutung bestimmte Fernsehangebote für Kinder haben können, wenn sie sich mit sich selbst und ihrer Lebenswelt auseinandersetzen und
  • gemeinsam neue Handlungsmöglichkeiten herauszufinden, die den kommunikativen Bedürfnissen der Kinder dienen.

Kinder und ihre "Fernseh-Helden"

Welche Erfahrungen machen Kinder im Umgang mit "ihren" Medien, welche Bedeutung haben sie in ihrem täglichen Leben? Was "bringen" beispielsweise Fernsehen, Telespiele, Tonkassetten oder Comics einem Kind, wenn es sich

  • mit sich selbst,
  • mit seiner sozialen Umwelt und
  • mit den "Sachen" dieser Welt auseinandersetzt?

Zu diesem Fragenkomplex hat eine praxisund nutzerorientierte pädagogische, psychologische und soziologische Forschung (3) in den 80er Jahren eine Reihe von aufschlussreichen Ergebnissen zusammengetragen.
Vor allem hat sie deutlich gemacht, dass Kinder sich nicht "automatisch" mit Medien beschäftigen. Vielmehr muss man zugrunde legen, dass die Mediennutzung für Kinder eine bestimmte Bedeutung oder einen Sinn hat. Eine Bedeutung kann darin liegen, dass sie durch einen bestimmten Medieninhalt die Chance erhalten, sich mit einem für sie bedeutsamen Lebensthema auseinanderzusetzen (4).

Solche Themen können

  • mit der unverwechselbaren Persönlichkeit und Lebensgeschichte eines Kindes zusammenhängen (z. B. Größenphantasien, Wunsch nach Selbständigkeit und Geborgenheit, Trennung der Eltern, Tod eines Verwandten),
  • schulische Konflikte und Probleme zum Hintergrund haben (z.B. Schulwechsel, Erfolgszwang, Leistungsdruck) und/ oder
  • altersund gruppenbedingt sein (z.B. Erprobung der Geschlechterrolle, Wunsch nach Zugehörigkeit und Anerkennung in der Gruppe, Durchsetzungsversuche gegenüber der Gruppe).

Das Thema eines Kindes bestimmt gleichsam die Perspektive, mit der es Mediengeschichten oder -figuren sieht. Mit dieser besonderen Sicht nimmt es beispielsweise das soziale Handeln in Medienangeboten wahr und holt sich aus dem medialen Handlungsvorrat im positiven Falle Anregungen und Orientierungen, um das eigene Thema nachdenkend, spielend und handelnd zu bearbeiten, anderen mitzuteilen und verständlich zu machen.

Kinder haben das Bedürfnis, sich selbst und die anderen verstehen zu lernen. Dieses Bedürfnis kann teilweise vom Fernsehen befriedigt werden, wenn Figuren und soziale Handlungen in Fernsehsendungen für Kinder "lebendig" werden. Möglich ist dies nur, wenn ein Kind die dargestellten Handlungen versteht und wenn es den Fernseh-Figuren bestimmte Eigenschaften zuschreibt. Auf diese Weise kann es eine Fernseh-Figur wie einen Sozial-Partner erleben, dessen Handlungen es akzeptieren, ausprobieren oder ablehnen kann.

Vor allem handlungsund spannungsreiche "HeldenGeschichten" kommen unter Umständen diesem Orientierungsbedürfnis von Kindern entgegen. Wenn Kinder sich für Fernseh-Helden begeistern, dann hilft ihnen das manchmal, solche Lebenssituationen zu bewältigen, in denen sie sich klein und unterlegen fühlen und in denen sie nach Sicherheit und Geborgenheit verlangen.

"Fernsehhelden verkörpern Mut, List und Phantasie. Sie dienen den Kindern als Flächen für ihre Wünsche, Träume und Phantasien. In die Helden können Kinder alles hineinlegen, was der Alltag nicht oder nur in Grenzen zulässt, was man sich selber nicht getraut, wie man sein möchte, oder die Figuren stellen auf liebenswürdige Weise eigene Schwächen vor ... (zum Beispiel) Alf, jenes undefinierbare Wesen aus dem Weltall, das eine 'stinknormale Familie so richtig aufmischt' (so der Kommentar eines Zwölfjährigen). Er gibt sich naiv, benimmt sich daneben, stellt sich fürchterlich ungeschickt an und entlarvt nebenbei die Alltäglichkeiten seiner amerikanischen Gastfamilie als Angepasstheit und Mutlosigkeit. Alf führt einen anarchistisch-subversiven Lebensstil vor, den viele Kinder vielleicht im Alltag leben möchten, und er verdeutlicht mit seinem Heisshunger auf Katzen den latenten Sadismus mancher Menschen auf eine erträgliche Weise. Das Lachen über 'Alf, seine Sprüche, seine Streiche und seine Dummheiten ist ein (wenn auch nur kurzzeitiger, für die Dauer der Sendung) Sieg über das Bedrohliche der Realität.

Die Überlegenheit des Phantastischen Prinzips über die Naturgesetze und die Aufhebung der Logik macht letztlich die Faszination vieler Zeichentrickfilme aus ob sie nun Donald Duck, Tom und Jerry, Familie Feuerstein, Bugs Bunny, Heidi oder Biene Maja heißen. (5)

Serien-Helden und deren serielle Abenteuer sind in der Regel wie gestanzt. Die Handlung ist klar gegliedert, wer "gut" und wer "böse" ist, ist leicht zu unterscheiden, das gesamte Medienpersonal bleibt überschaubar, der Held stirbt nie, und die erzählte Geschichte kommt stets zu einem "guten Ende"; das heißt, der großartige Held löst seine alltagsfernen, handlungsprallen und gefährlichen Abenteuer für gewöhnlich "ohne Kratzer" an Leib und Gemüt.

Fernseherfahrene Kinder wissen um diese dramaturgischen Strickmuster und können sich daher auf ihre Fernseh-Helden verlassen. Zwar müssen sie auch von Folge zu Folge um ihre Helden bangen, aber Ängste, Erregung und emotionale Betroffenheit scheinen nicht wirklich bedrohlich zu werden, weil die Kinder das "richtige" Ende eines 25-Minuten-SerienAbenteuers schon im voraus kennen: Entweder besiegt der "Gute" den "Bösen", oder der "Kleine" triumphiert über den "Großen".

Manchmal kann man im alltäglichen Schulund Unterrichtsbetrieb bei genauem Hinhören und -schauen Bruchstücke solcher Fernseherlebnisse in den Spiel-, Sprechund Handlungszusammenhängen von Kindern erkennen. Wie selbstverständlich scheinen die Kinder dabei die Fernsehsymbolik mit realen Situationen und Themen zu verknüpfen. Für einen Außenstehenden ist es nicht einfach, solch ein "Ausschlachten von Medienprodukten" (6) zu entschlüsseln. Haben hier bestimmte Sendungen Spuren bei den Kindern in Form von "Lebensmodellen" hinterlassen, geht es vielleicht nur um Spaß und Klamauk, handelt es sich um "normale" Gespräche unter Gleichaltrigen, oder werden hier Phantasien und Ängste spielerisch verarbeitet? Vielleicht sind es aber auch Indizien dafür, dass manche Kinder sich mit ihren Gedanken, Gefühlen und Handlungen intensiv an Medienangeboten orientieren, weil ihnen ihr alltägliches Leben keine Chancen bietet, die eigenen Lebensthemen und Entwicklungsaufgaben produktiv zu bearbeiten?

Kinder können vermutlich in einer insgesamt entwicklungsförderlichen und "normalen" Umwelt ihre Themen und Probleme im Rahmen ihrer alltäglichen Kommunikation und Interaktion "abarbeiten" und damit auch "erledigen". Doch wo dies nicht der Fall sein kann, da scheinen Kinder ihre kommunikativen Interessen, Wünsche und Bedürfnisse an Medienangebote, zum Beispiel an Fernseh-Helden, zu binden, vielleicht mit negativen Folgen für ihre Entwicklung.

Deshalb ist es eine wichtige Aufgabe von Schule und Unterricht, die Kinder immer wieder erleben zu lassen, dass die Schule ein Ort ist, an dem sie sicher sein können, an dem man ihre kommunikativen Bedürfnisse ernst nimmt und an dem sie ermutigende Erfahrungen mit sich selbst und mit anderen machen können. In diesem Zusammenhang gilt es, dass Lehrkräfte, Eltern und Kinder gemeinsam Arbeits-, Interaktionsund Sprechzusammenhänge herstellen,

  • in denen Phantasien, Träume, Wünsche und Erlebnisse produktiv verarbeitet werden können,
  • in denen man sich den eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten entsprechend sowohl handelnd als auch nachdenkend mit Medien und Medienerfahrungen auseinandersetzen kann und
  • in denen man einer (begrenzten) Öffentlichkeit durch Produkte zeigen kann, was man gemeinsam erfahren und gelernt hat.

Ein Unterrichtsvorhaben

In dem folgenden Unterrichtsvorhaben wird am Thema" Fernsehen" vorgestellt, wie sich solch ein Aneignungs-, Verarbeitungsund Veröffentlichungsprozess (7) in der Grundschulpraxis abspielen kann. Das lernbereichsübergreifende Vorhaben wurde im Herbst 1989 zu Beginn des Schuljahres mit Eltern, Lehrern und Kindern einer 3. Klasse verwirklicht. Insgesamt wurden für das Vorhaben 18 Unterrichtsstunden benötigt, die sich an den Unterrichtsbedingungen der Klasse orientiert über gut vier Wochen verteilten.

Aneignung: "Wie wirklich ist das Fernsehen für uns?"

"Die Laura Holt (eine Detektivin aus der Serie 'Remington Steele') finde ich toll, die ist gut und schön! Da guck' ich gern zu, weil ich da so richtig mit dabei sein kann." Diesen Grund nannte mir die neunjährige Katrin für ihre Lieblings-Sendung und lieferte uns damit auch die Idee, wie man mit Kindern über ihre Fernseherfahrungen und Fernseh-Helden ins Gespräch kommen könnte. Wir wollen den Kindern zunächst die Möglichkeit geben, ihre (Fernseh-)Erlebnisse, Phantasien und Erfahrungen zu artikulieren und auf ihre eigene Wirklichkeit zu beziehen. Indem sich die Kinder (auch Nicht-Fernseher) mit einer phantastischen "Fernseh-Bildgeschichte" (Katrins Begründung wurde gleichsam "wörtlich" in eine Bildgeschichte umgesetzt, vgl. Abb. 1) mit Mitteln des Spiels und der Sprache auseinandersetzen, können sie teilweise eigene Themen und Probleme vergegenständlichen und der Gruppe (in)direkt mitteilen, was sie am Thema beschäftigt und was ihnen das Thema bedeutet. Im Unterricht geht es dabei um folgende Ziele:

Die Schüler setzen sich produktiv mit Medienerfahrungen auseinander und können

  • spielerisch und kreativ mit Phantasieund Realitätsebene umgehen und dabei verschiedene Ausdrucksund Vermittlungsformen erfahren,
  • Phantasien, Wünsche, Ängste oder Unsicherheiten durch Spielen und Sprechen bearbeiten,
  • vorhandene Medienkompetenzen anwenden und gemeinsam Unterschiede zwischen Fiktion und Realität herausarbeiten.
Unterrichtssituationen

"Das ist Tina. Sie ist acht Jahre alt. Neulich hat sie etwas Tolles erlebt ..." Mit dieser Einleitung werden den Kindern die ersten beiden Bilder der "phantastischen Geschichte" vorgestellt (vgl. Abb. 1). "Das möchte ich auch sein." "Im Trickfilm gehe ich rein." "Ich gehe zu Roger Rabbit." "Das möchte ich auch können, bei Batman." "Ist ja toll ... !" So lauten einige der spontanen Schüleräußerungen zur Bildfolge. Teilweise lassen sie erkennen, wie nahe die "Story" den Wunschund Phantasiewelten der Kinder ist und wie fasziniert sie von der (Medien-)Thematik sind. Kenntnisreich sprechen sie nicht nur über das serientypische "Opfer-Verfolgung-Retter-Dreieck", sondern stellen sich auch vor, wie die Geschichte weitergehen könnte.

Diese Idee nimmt der Lehrer auf und regt die Kinder an, eine eigene Fortsetzung zur Geschichte aufzuschreiben. In diesem Zusammenhang bietet er an, die Fortsetzungen zu "drucken" und zum "1. Geschichten-Buch" der Klasse zusammenzustellen.

Die Kinder lesen im "Geschichten-Buch" ihre Fortsetzung, diskutieren sie und "prämieren" besonders spannende Geschichten. In ihren Texten verarbeiten die Kinder nicht nur Wissen über Actionund Kriminalfilme, sondern mehr oder weniger werden auch Allmachts-, Gewaltund Bedrohungsphantasien mit der Medien-Figur "Tina" erkennbar. Das Thema "Ein starkes Mädchen (Kind) behauptet sich gegenüber Erwachsenen" scheint bei den Kindern den Wunsch nach Selbständigkeit, Unabhängigkeit und Stärke anzusprechen. Relativ oft rettet "Tina" in den Geschichten ihren "Vater", vielleicht die Auseinandersetzung mit Bedrohungsund Trennungsängsten, vielleicht der Wunsch nach Veränderung und Umkehrung der Machtverhältnisse in der Familie, vielleicht der Wunsch, als starker Partner anerkannt zu werden. Durch szenische Spiele sollen die Kinder nun die Chance erhalten, solche Themen vielleicht unmittelbar zu erleben und damit ein Stück weit zu bearbeiten. Es wird verabredet, die "besten" (Fortsetzungs-) Geschichten in Spielszenen umzusetzen. Was die Kinder in den Spielen zur Sprache bringen, soll mit Kassettenrecordern aufgenommen werden, damit man es sich als "Hör-Spiel" selbst, in der Gruppe und auch mit den Eltern zu Hause anhören kann.

In Teilungsstunden, in denen jeweils drei Kleingruppen Mini-Kassettenrecorder zur Verfügung stehen, "erspielen" sich die Kinder nach einer entsprechenden Einweisung in die Bedienung der Geräte mit Geschick ihre "Hör-Spiele." Die Gruppenergebnisse werden im Plenum besprochen und Anregungen werden aufgegriffen, um eine Endfassung herzustellen. Schließlich werden die Endfassungen der ganzen Klasse vorgespielt und begutachtet.

Um zum Schluss mit den Kindern in ein nachdenkliches Gespräch über die Wirklichkeit in Medien zu kommen, wird ihnen "Tinas Geschichte" im Zusammenhang präsentiert (vgl. Abb. 1). Die Kinder sprechen über die "Story" die sie im übrigen nicht so spannend finden wie ihre eigenen Geschichten und halten für sich folgende Unterschiede zwischen "Phantasie(-Geschichte)" und "Wirklichkeit" fest: "Man kann nicht in den Fernseher gehen!" "Menschen können in den Film nicht eingreifen!" "Der Fernseher ist ein Apparat!" "Tina kann sich einen Film nur ansehen!" "Im Film kann jemand verfolgt werden, in Wirklichkeit auch!" "Ein Kind kann keinen Mann verscheuchen!" "Im Traum kann man alles!"

Verarbeitung: "Wie wir zu 'Fernseh-Helden' werden"

Die Kinder haben eine erste Gelegenheit bekommen, sich zunächst selbst und dann in der Gruppe mit Phantasien, Gefühlen und (Medien-)Erlebnissen auseinander zu setzen. Sie haben mit Vorstellungsund Wirklichkeitsebene "gespielt" und dabei auch ansatzweise vermittelte Vorstellungen über Wirklichkeit untersucht. Im nächsten Unterrichtsschritt soll den Kindern die Möglichkeit gegeben werden, Themen, die sie angehen, die sie bewegen und die sie vielleicht ausdrücken möchten, über ihre Medienoder Fernseh-Helden darzustellen. Die Schule soll dabei als Gestaltungsund Erfahrungsraum genutzt werden.8 Indem die Kinder sich selbst als Helden darstellen und dazu auch das Medium Video nutzen, können sie nicht nur zu sich selbst kommen, in den Mittelpunkt treten oder sich können sich auch mit anderen Augen sehen und gegenüber ihrer "Selbst-Produktion" einen Schritt weit auf Distanz gehen sowie erfahren, dass man über Medien und ihre Themen selbstbewusst verfügen kann. In diesem Erfahrungsund Handlungszusammenhang wird es somit auch um folgende Ziele gehen:

  • Die Schüler setzen sich über verschiedene Ausdrucks, Gestaltungsund Vermittlungsweisen produktiv und kreativ mit Identifikationsangeboten des Fernsehens oder anderer Medien auseinander. Sie können dabei eigene Themen durch zeichnerisches, spielerisches und sprachliches Darstellen bearbeiten,
  • erfahren, welche "Helden" für sie und andere Kinder bedeutsam sind,
  • erfahren, wie "Helden" von anderen wahrgenommen und beurteilt werden,
  • erfahren, wie sich das Medium Video zur SelbstVerständigung und SelbstÄußerung nutzen lässt,
  • können durch bewusstes Wahrnehmen und Handeln Unterschiede zwischen Fiktion und Realität herausarbeiten und
  • erfahren, wie man mit Hilfe des Mediums Video Fiktion/Wirklichkeit selbst herstellen kann.
Unterrichtssituationen

"Ich kann Tinas Geschichte gut verstehen. Manchmal, wenn ich einen Film im Fernsehen sehe, glaube ich, mitten drin zu sein. Hinterher denke ich dann: ,Wenn ich doch auch so mutig so stark oder so klug sein könnte!' Geht es euch ähnlich?" Spontan gehen die Kinder auf die Worte des Lehrers ein, erzählen von Fernsehund Filmerlebnissen und erklärten, "wer sie am liebsten sein würden." Anschließend zeichnet jedes Kind ein Bild von seinem Lieblings-Helden in Form einer "HeldenGalerie" werden die Kinderzeichnungen an der Wandleiste ausund vorgestellt. Aufgrund der BilderGalerie lassen sich folgende Besonderheiten in der Klasse erkennen:

  • Mit ihren Heldinnen und Helden grenzen sich Mädchen und Jungen deutlich voneinander ab. Allerdings sind auch männliche Figuren (Alf, Dumbo der kleine Elefant und der Sänger David Hasselhoff) für drei Mädchen bedeutsam.
  • Es wird eine Vielfalt verschiedener "Helden" sichtbar. Sie entstammen offensichtlich nicht nur dem Fernsehen, sondern allen Medienund Spielzeugwelten der Kinder.
  • Ein "Super-Held" (Batman) taucht nur einmal auf, dagegen sind "lebende Selbstdarsteller" (z.B. Thomas Gottschalk, Otto, David Hasselhoff und Michael Jackson) relativ häufig vertreten.
  • Nur selten tauchen Helden mehrmals auf (je zweimal gibt es eine "Pippi Langstrumpf" und einen "Asterix").
  • Kinder-Freundschaften zeigen sich auch in entsprechenden Helden-Beziehungen. Folgende ZweierBeziehungen gibt es: Zwei "Pippis", "Asterix und Obelix", "Batman und Robin"
  • -"Wie kommt (ein Held wie) Batman ins Fernsehen?" Mit dieser Frage wird der nächste Unterrichtsabschnitt eingeleitet, in dessen Zentrum eine kleine Video-Produktion stehen soll. Die Kinder äußern dem Sinne nach, was sie über das Medium Fernsehen wissen, zum Beispiel:
    Schauspieler spielen eine Rolle,
    die Sendung ist ein Film,
    der Film wird "vom Sender gesendet".

In diesem Zusammenhang schlägt der Lehrer die Video-Produktion als Möglichkeit vor, "wie wir mit unseren Helden ins Fernsehen kommen können!" Die Kinder sind von dem Vorschlag fasziniert, und gemeinsam wird die Videoarbeit geplant und vorbereitet:

  • Jedes Kind verfasst einen eigenen "Helden-Text" und lernt ihn für den freien Vortrag in der Klasse.
  • Die Helden sollen "echt" aussehen; deshalb muss Zubehör für das Schminken, Maskieren und Kostümieren beschafft werden.
  • Die Eltern werden durch einen Brief über das Vorhaben informiert und um Mithilfe gebeten.
  • Für die Videoproduktion wird ein ganzer Schultag eingeplant. Das Medium Video ist nicht nur für die Kinder, sondern auch für den Lehrer eine neue Medienerfahrung im Unterricht. Er hat sich die Videoausrüstung (VHS-Kamera, Recorder, Stativ) bei der Landesbildstelle entliehen und sich nach einer praktischen Einweisung mit der Technik und der Kamerabedienung schnell vertraut gemacht. Im Rahmen des Vorhabens hält der Lehrer es für sinnvoll, die Kinder zunächst nur mit dem Medium Video bekannt zumachen und eine aktive Videoarbeit mit anderen "KleinProjekten" zu beginnen. Das heißt hier also: Die Selbst-Darstellungen der Kinder werden vom Lehrer mit der Kamera aufgenommen; die Kinder können jedoch ihre "Helden-Bilder" auf einem Monitor kontrollieren und auch Durchspielen verschiedene Einstellungsgrößen durch Regie-Anweisungen bestimmen, "wie sie ins Fernsehbild kommen wollen". Im einzelnen verläuft der Produktionstag folgendermaßen:
  • Unter Mithilfe von Eltern schminken, maskieren und kostümieren sich die Kinder für ihre Rollen.
  • Danach gehen sie einzeln oder in kleinen Gruppen dies ist so verabredet in andere Klassen, stellen sich mit ihren Rollentexten vor und erklären den anderen Kindern, was sie an diesem Tage vorhaben. Sie erleben dabei auch unmittelbar, wie sie mit ihrer Darstellung, "ankommen" und wie sie auf andere (Lehrkräfte und Kinder) wirken: "Batman möchte ich auch sein!" "In Wirklichkeit (!) ist Batman aber nicht so gruslig!" "Papa Schlumpf sieht toll aus! ... Alf finde ich besser!" "Pippi Langstrumpf hat so schöne Sommersprossen und Zöpfe!"
  • Nach dieser "Generalprobe" versammeln sich alle Beteiligten in der Turnhalle und produzieren das "Helden-Video" auf die vorgesehene Weise: Nacheinander treten die Kinder vor die Kamera, geben ihre Regieanweisungen und sprechen ihre Texte . Jede Darstellung wird mit großem Beifall von den Zuschauern bedacht. Auf diese Weise (Assemble-Schnitt) entsteht in gut 80 Minuten (!) der gesamte Video-Film "Die FernsehHelden der 3c" (Dauer: 12 Min.). Mit großer Spannung erwarten alle, die mitgewirkt haben, "wie der Fernsehfilm geworden ist".

Veröffentlichung: "Wir sind jetzt im Fernsehen!"

Als ich David, den Batman, am Ende des Produktionstages fragte, ob er denn heute etwas gelernt habe, überlegte er kurz und sagte dann: "Nö! Aber die Arbeit (!) hat Spaß gemacht." Ist Davids Aussage typisch für das, was die Kinder erlebt haben? Wir glauben mehr darüber durch die Veröffentlichung des Video-Films in der Klasse erfahren zu können. Sie bietet den Kindern nicht nur die Möglichkeit, den Arbeitsund Lernprozess zu rekonstruieren, sondern auch nachdenklich zu verarbeiten. Im einzelnen geht es dabei um folgende Ziele: Die Schüler können

  • erfahren, wie das gemeinsam hergestellte Produkt auf sie selbst und andere wirkt,
  • sich selbstbewusst mit der eigenen Darstellung im Film auseinandersetzen,
  • rekonstruieren, wie das Produkt "gemacht" wurde und
  • für sich bestimmen, wie sich ihr eigenes Produkt von denen des Massenmediums Fernsehen unterscheidet.
Unterrichtssituationen

Erwartungsvoll schauen sich die Kinder ihren Film an und zeigen durch ihre Begeisterung und ihre Kommentare, wie sehr ihnen der "Helden-Film" gefällt. Da nicht alle Kinder der Klasse bei der Videoproduktion mitwirken konnten, wird ihnen mit Hilfe der Geräte und einer Schemadarstellung an der Tafel erklärt, wie der Film "gemacht" wurde. Danach wird der Film ein weiteres Mal angeschaut, und im Plenum werden folgende Fragen besprochen:

  • Wie hat dir deine Darstellung gefallen?
  • Wie hast du dich bei den Aufnahmen gefühlt?
  • Konntest du deine Rolle besser vor den Kindern in den Klassen oder vor der Kamera spielen?
  • Möchtest du immer noch derselbe Held sein?
  • Wie hat dir das Verkleiden gefallen?
  • Gefällt dir unser Film ebenso gut wie die Filme im Fernsehen?

Es wird deutlich, "das Verkleiden" und "das Erleben" einer anderen Rolle ist für die Kinder eine sehr intensive körperliche und emotionale Erfahrung gewesen. Einige Kinder lassen indes schon Distanz zu ihrer Rolle erkennen und würden "das nächste Mal lieber jemanden anderen spielen."
Den Kindern gefällt ihr Film. Sie sind stolz auf ihre Leistung und wollen, dass ihn auch die Eltern sehen. Aber es besteht für sie kein Zweifel daran, dass "die Filme im Fernsehen ganz anders sind". Auf dem folgenden Elternabend sehen auch die Eltern den Film. Sie sind beeindruckt von den phantasievollen Darstellungen der Kinder und von den Leistungen, die sie im Laufe des Projekts gezeigt haben. So hoffen wir, dass den Eltern aufgrund dieses Vorhabens nicht nur deutlich wurde, dass Rahmenplanaspekte des Deutschund Sachkundeunterrichts (wie "Texte verfassen", "Szenisches Spiel" oder "Umgang mit Medien") "abgedeckt" wurden, sondern dass sie auch mehr Verständnis dafür bekommen haben, wie ihre Kinder sich mit Hilfe des Mediums Fernsehen Wirklichkeit aneignen und auch verarbeiten können.

Anmerkungen

1 Dies Unterrichtsvorhaben wurde im Rahmen eines Projekts der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung durchgeführt.
Konzept und Materialien sind dargestellt in: Noack, K.-A. l Kollehn, K. l Schilt, l/l/: Thema Fernsehen. Unterrichtsmaterialien für die Grundschule(1. -4. Klasse). Stuttgart
2 Vgl. dazu: Rogge, J.U.: Heidi, PacMan und die Video-Zombies. Die Medienfreunde der Kinder und das Unbehagen der Eltern. Reinbek b. Hamburg 1985
3 Programmatisch dazu: Bachmair, B. (Hg.): Symbolische Verarbeitung von Fernseherlebnissen in assoziativen Freiräumen. 2 Teile. Kassel 1984/85; Charlton, M. /Neumann, K.: Medienkonsum und Lebensbewältigung in der Familie. Weinheim/ München 1986; Rogge, J.U.: Kinder können fernsehen. Vom sinnvollen Umgang mit dem Medium. Reinbek b. Hamburg 1990
4 Vgl. Bachmair, B. (Hg.): Symbolische Verarbeitung von Fernseherlebnissen in assoziativen Freiräumen. Teil 1: Fernsehspuren im Handeln von Kindern. Kassel 1984, S. 74ff.
5 Rogge, J.U.: Kinder können Fernsehen. Vom sinnvollen Umgang mit dem Medium. Reinbek b. Hamburg 1990, S. 19
6 Vgl. dazu: Neumann, K.: Baustelle für den Identitätsaufbau. In Medien Concret, H. 2/1988, S. 24 -30 sowie Aufenanger, S.: Große Helden mal ganz klein, ebd., S. 66 69
7 Die Begriffe Aneignung, Verarbeitung und Veröffentlichung sind Kategorien eines Phasenmodells, das Ingo Scheller im Rahmen "erfahrungsbezogenen Unterrichts" entwickelt hat, vgl.: Scheller, l.: Erfahrungsbezogener Unterricht. Königstein / Ts 1981, S. 63-67
8 Vgl. dazu Bachmair, B.: Gestaltungsräume inszenieren. In: Schilt, W./ Tulodziecki, G. / Wagner, W.-R. (Hg.): Medienpädagogisches Handeln in der Schule. Opladen 1990; ders.: Wie verarbeiten Kinder Fernseherlebnisse? Pädagogische Perspektiven zum alltäglichen Fernsehen. In: medien praktisch 4/1989, S. 52 57

Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers
Quelle