Thesen der 5. Initiative Menschenrechte und Internet des Co:llaboratory (2012)

Die drei Kernthesen der 5. Initiative

  1. Macht das Internet alles neu? Wie lassen sich die klassischen Menschenrechte auf das Netz übertragen?
    These 1: Das Internet macht nicht alles neu, aber vieles besser. Alle Menschenrechte, die offline gelten, gelten auch online. Das Rad muss nicht neu erfunden werden; es braucht nur bessere Stoßdämpfer.
     
  2. Welchen Beitrag kann das Internet zur Durchsetzung von Menschenrechten leisten?
    These 2: Das Internet schafft neue Wege der Information und Räume für Kommunikation - auch neue öffentliche Räume - und ist ein Brennglas zur Fokussierung menschenrechtlichen Empörungs- und Engagementpotenzials.
     
  3. Wie können die Menschenrechte als Basis für globale (Internet-) Governance-Strukturen dienen?
    These 3: Eine andere Welt ist möglich. Menschenrechte sind das ethische Fundament und der rechtliche Anker jedes Entwurfes einer Internet Governance der Zukunft.

Zehn zentrale Thesen zur Zukunft von Internet und Menschenrechten

Die Thesen im Detail

  1. Ist zum Schutz der Menschenrechte Widerstand im Internet legitim?
    Widerstand im Internet ist im 21. Jahrhundert nicht nur das Recht, sondern in Form von zivilem Ungehorsam gegenüber Unrecht sogar Pflicht des neuen Online-Citoyens, der für seine Menschenrechte und jene anderer mit den Mitteln des digitalen Widerstandes kämpft.
     
  2. Gibt es menschenrechtliche Schutzlücken im Internet?
    Das Internet stellt den Menschenrechtsschutz vor keine grundlegend neuen Herausforderungen; bestehende Rechte müssen in der politischen und rechtlichen Praxis weiterentwickelt werden, um der Vielfalt der Herausforderungen durch das Internet gerecht zu werden.
     
  3. Wie verändert sich Aktivismus durch die Digitalisierung?
    Das Internet schafft neue digitale Öffentlichkeiten, beschleunigt die Kommunikation, vereinfacht die Sammlung von Interessen und deren Artikulation und dynamisiert sozialen Aktivismus.
     
  4. Wie kann Social Media zur Mobilisierung für die Menschenrechte genutzt werden?
    Social Media ist der schnellste und flexibelste Masseninformationskanal der heutigen Welt, aber anfällig für Zensur und Manipulation. Für eine menschenrechtsbasierte Gesprächs- und Streitkultur im Internet müssen Unternehmen und User gemeinsam gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.
     
  5. Wie kann Technologie zum Schutz der Menschenrechte beitragen?
    Anwender sind häufig mit Fragen zu Sicherheit und Schutz der Privatsphäre im Netz überfordert. Gleichzeitig führt die Doppelrolle von Internetdienstanbietern als Vertragspartner und staatliche Hilfspolizei zu einer Funktionenverwirrung. Daher müssen technische Schutzmaßnahmen, wie unabhängiges Identitätsmanagement, von einer speziellen kompetenten Stelle durchgeführt werden und Zugang und Überwachung entflochten werden.
     
  6. Welche Erfahrungen machen Menschen in Entwicklungsländern?
    Dem Internet wohnt ein spektakuläres Potenzial zur Stärkung des Menschenrechtsschutzes in Entwicklungsländern inne. Westliche Menschenrechtsdiskurse können nicht ohne Anwendungsverluste übertragen werden. Genuin eigene Ermächtigungsdimensionen sind die Selbstbefähigung durch Informationszugang, weltweite Vernetzung auch mit der Diaspora und die Förderung gerade auch der Menschenrechte der Frau und besonders benachteiligter Gruppen.
     
  7. Welche Best-Practice-Modelle gibt es, um Menschenrechte im Internet durchzusetzen?
    Lokal ist global. Blogger und Menschenrechtsaktivisten weltweit nutzen das Internet, um aus den künstlich erstarrten Kommunikationswegen in autoritären Regimen auszubrechen: Videos von lokalen Menschenrechtsverletzungen schaffen Änderungsdruck auf Regime; Blogs von Citizen Journalists machen das Leiden erlebbar und mobilisieren die globale Öffentlichkeit; mit dem Internet kann die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft wie durch ein Brennglas auf lokale Menschenrechtsverletzungen fokussiert werden.
     
  8. Wie sieht die Welt einer polyzentrischen Internet Governance im Jahr 2035 aus?
    Bis dato regulieren lediglich Marktmechanismen und multilaterale Handelsabkommen internationale Telekommunikation und den grenzüberschreitenden Fluss von Informationen. Der Ansatz der polyzentrischen Internet Governance dagegen ermöglicht allen drei Stakeholder-Gruppen (Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Politik) auf Grundlage einer weltweit verbindlichen Basis eine effektive Selbstregulierung. Als Gedankenspiel gründen wir eine transnationale Republik, in der digitale Menschenrechte zentrales Schutzgut sind.
     
  9. Wer sind die zentralen Internetakteure?
    Immer mehr Internetakteure stehen in immer komplexeren Macht- und Einflusszusammenhängen. Mit gezielten netzpolitischen Interventionen (etwa durch politische und gesellschaftliche Weichenstellungen) müssen wir dafür sorgen, dass der Austausch zwischen den beteiligten Gruppen nicht durch einseitige Machtverschiebungen ausgehebelt wird.
     
  10. Mit welchen Regulierungsinstrumenten können Menschenrechte im Internet durchgesetzt werden?
    Menschenrechtsschutz muss tägliche Praxis aller Internetuser werden, denn auch soziale Normen können in einem Prozess der Selbstregulierung Menschenrechte im Internet sehr effektiv schützen. Wo soziale Normen versagen, müssen staatliche Normen Rückhalt geben und rechtsstaatlichen Schutz garantieren.

Quelle:

Internet und Gesellschaft Collaboratory, Menschenrechte und Internet - Zugang, Freiheit und Kontrolle, Abschlussbericht, Berlin 2012, http://www.collaboratory.de/

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