Sachverständigenrat für Verbraucherfragen, Verbraucher in der Digitalen Welt - Verbraucherpolitische Empfehlungen (2016)

Der im November 2014 neu berufene Sachverständigenrat für Verbraucherfragen beim Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz hat im Januar 2016 Empfehlungen vorgelegt "wie die Politik auf den Wandel in der Digitalen Welt reagieren sollte": Verbraucher in der Digitalen Welt - Verbraucherpolitische Empfehlungen (19 S.)

Die Empfehlungen werden detailliert, fachlich begründet und mit Quellenverweisen versehen in den hierzu gesondert vorgelegten Stellungnahmen

Neben strukturellen Empfehlungen, die mir auch für die Fundierung der medienpädagogischen Diskussion wichtig erscheinen, enthalten sie in 10. und 11. auch direkt auf die Förderung von Medienbildung bezogene Argumentationen - ein weiterer Grund, hier verstärkt die Zusammenarbeit zu suchen:

"Verbraucherpolitik in der Digitalen Welt: 12 Empfehlungen

  1. Eine umsichtige Regulierung durch den Staat erscheint angesichts der sich schnell verändernden Digitalen Welt und ihrer Verschränkung mit der analogen Welt angebracht. In der Digitalen Welt müssen grundlegende Voraussetzungen geschaffen werden: Verbesserung der Qualität der Information, Verbesserung der Alltagskompetenzen der Verbraucherinnen und Verbraucher sowie eine rechtliche Sicherung der persönlichen Daten als Eigentum der Verbraucher. Zudem muss der Zugang zu echten Alternativen innerhalb und außerhalb der Digitalen Welt möglich sein, also tatsächlich Wettbewerb stattfinden.
  2. In der Digitalen Welt gehören vorhandene Instrumente der Verbraucherpolitik auf den Prüfstand, vor allem diejenigen, die bereits in der analogen Welt als problematisch eingestuft wurden. Dazu gehört beispielsweise die Zustimmung zu AGBs, die Verbraucher kaum lesen und verstehen können. Qualitativ hochwertige, einfache und verständliche sowie überprüfbare Information schafft Transparenz und Vertrauen und ist eine notwendige Bedingung dafür, dass Verbraucher auf Augenhöhe mit Anbietern agieren können. Verantwortung von Individuen kann nur soweit eingefordert werden, wie diese über die notwendigen qualitativ hochwertigen Informationen sowie über die notwendigen Alltagskompetenzen zur Umsetzung verfügen.
  3. Auch in der Digitalen Welt ist es Aufgabe der Verbraucherpolitik, Informations-, Gestaltungs- und Betroffenheitsungleichgewichten zwischen Angebots- und Nachfrageseite entgegenzuwirken; denn diese werden durch die Digitalisierung nicht verschwinden, sondern eher wachsen. Gleichzeitig ist es Aufgabe der Politik, die Gestaltungsmöglichkeiten und Chancen, die sich für Verbraucherinnen und Verbraucher in der Digitalen Welt ergeben, zu erweitern und zu sichern; denn die Digitalisierung bietet Möglichkeiten für neue Formate der Exploration, Aufklärung und Empfehlung sowie ggf. auch der Kontrolle, die die digitale Verbraucherpolitik nutzen sollte.
  4. Es ist Aufgabe staatlicher Institutionen - in Koordination mit supra-nationalstaatlichen Einheiten - in Form einer grundlegenden Mindestsicherung der persönlichen Daten und der IT-Sicherheit nicht nur den notwendigen Rechtsrahmen zu setzen, sondern auch für eine effektive und effiziente Rechtsdurchsetzung zu sorgen. Dazu gehören auch Formen der kollektiven Rechtsdurchsetzung, um beispielsweise unlautere Geschäftspraktiken oder Verstöße gegen Datenschutzgesetze zu unterbinden und um Verbraucherinnen und Verbraucher angemessen zu entschädigen. Unterstützt werden kann dies durch behördliche Maßnahmen und zivilgesellschaftliche Aktivitäten.
  5. Das Ideal der freiwilligen Einwilligung in die vermehrte Sammlung, Verwertung und Weitergabe persönlicher Daten erfordert Transparenz und entsprechend kompetente Verbraucherinnen und Verbraucher. Eine tatsächlich freiwillige Einwilligung ist nur dann realisierbar, wenn die Bedingungen der bewussten Zustimmung verständlich dargelegt sind, wenn bei geänderten Bedingungen jeweils eine Zustimmung erneut erfragt wird und wenn die Konsequenzen der (Nicht-)Zustimmung eindeutig sind. Damit all dies wirksam werden kann, muss es einfach zugängliche Alternativen geben, die eine Datenvermeidung oder aber eine bewusste Selbstvermarktung persönlicher Daten ermöglichen.
  6. Der Wert der eigenen Daten ist aus Sicht der Verbraucher schwer zu bestimmen; häufig ist sogar unklar, was "private Daten" sind und was nicht. Die digitale Verbraucherpolitik sollte geeignete, leicht verständliche technische Lösungen, zum Beispiel Tools zur Einschätzung des Werts der eigenen Daten, zur Verfügung stellen, die es erlauben, klar zu erkennen, welche persönlichen Daten einen institutionellen, sozialen, und/oder ökonomischen Wert besitzen. Verbraucherinnen und Verbraucher werden dadurch in die Lage versetzt, zu entscheiden, inwieweit sie ihre Daten vermarkten oder aber sperren möchten.
  7. Algorithmen zur Datenverwertung spielen bei der Profilbildung eine immer größere Rolle und wirken sich direkt auf Preis und Qualität möglicher Angebote aus. Verbraucher sollten ein einfaches, gerichtlich durchsetzbares Recht auf qualitativ hochwertige Transparenz über die Verwertung ihrer personenbezogenen Daten sowie über die den Algorithmen zugrundeliegenden Kriterien erhalten. Widerspruchsrechte zur Datenverwertung sollten gestärkt und ihre praktische Durchsetzbarkeit sichergestellt werden.
  8. Eine besondere Rolle spielen in der Digitalen Welt Transparenz- und Qualitätssignale durch Test-, Vergleichs- und Bewertungsportale sowie zugehörige Gütesiegel, Label oder Zertifikate. Wenn sie methodisch hochwertig, nutzerfreundlich, rechtlich überprüfbar und inhaltlich relevant gestaltet sind, können sie eine deutliche Begrenzung der Risiken der Wahl bewirken; andernfalls tragen sie zur Verwirrung oder Täuschung und letztlich zur Fehlsteuerung auf digitalen Märkten bei. Hohe Aussagekraft, Vollständigkeit, Übersichtlichkeit, einfache Nutzung, nachprüfbare Unabhängigkeit sowie qualitative Transparenz der Test-, Vergleichs- und Bewertungskriterien sind wichtige Merkmale solcher Informationsangebote und Empfehlungen. Auch in der Digitalen Welt muss die Verbraucherpolitik für glaubwürdige Metainformation sorgen, Mindeststandards in der Verbraucherinformation festsetzen und mit Hilfe geeigneter Rechtsinstrumente überwachen.
  9. Verbraucherpolitik muss die Mindestsicherung der Privatsphäre auch durch technische Standards regulieren. Der Schutz vor existenziellen Risiken im alltäglichen Umgang mit Angeboten sollte durch gesetzliche sowie technische Lösungen gewährt werden. Dazu gehören eine datenschutzfreundliche und sichere Technikgestaltung (sog. "privacy by design" und "security by design"), einfache Verschlüsselungstechnologien, datenschutzfreundliche Voreinstellungen ("privacy by default") und eine einfache Portabilität der Daten zur Vermeidung von Lock-in-Effekten.
  10. Ein wesentliches Element der Verbraucherbildung ist die Digitale Medienkompetenz. Diese soll befähigen, informiert und kritisch die Möglichkeiten und Chancen der Digitalen Welt zu nutzen. Beispielsweise sollten Verbraucherinnen und Verbraucher in der Lage sein, die Unabhängigkeit und Qualität von Portalen, Suchmaschinen und Labels einzuschätzen und zwischen Verbraucherinformation und Werbung zu trennen; sie sollten die Methoden und Ziele des digitalen Marketing kennen (wie Profilierung, Tracking, Stealth Marketing).

    Diese Alltagskompetenzen sollten unabhängig von der Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Gruppen, Bildungsschichten oder Altersgruppen systematisch gefördert werden. Hier sind alle Abschnitte der Bildungskette relevant, von der Vor-Schule über die Schule und Ausbildung bis hin zu Weiter- und Erwachsenenbildung.
  11. Die Digitale Welt hat aus Sicht von Verbrauchern heute schon Stärken und Schwächen und birgt auch zukünftig Chancen und Risiken. Dies verlangt elementare Kenntnisse im Erkennen, in der Einschätzung und Bewertung sowie im Umgang mit solchen Chancen und Risiken. Beispielsweise kann Selbstvermessung durch "Wearables", Implantate oder Netzwerke innerhalb des Körpers ("in-body internet") Früherkennung von Erkrankungen ermöglichen - aber auch unnötige Ängste durch falsche Alarme und dadurch entstehende Kosten durch unnötige Folgetests und Behandlungen verursachen. Im Bereich Finanzen führen relative Angaben, zum Beispiel in Prozent, oft in die Irre, weil Verbraucherinnen und Verbraucher pragmatisch ihre Alltagskompetenzen eher an absoluten Werteinheiten wie dem Euro ausrichten. Ähnliches gilt für Angaben zu zukünftigen Entwicklungen, zum Beispiel zur Zinsstruktur oder Inflation, die gerne als "Rechnung" mit Nachkommastellen eine Genauigkeit vorspiegeln, die gar nicht möglich ist.
  12. Nur Wettbewerb, also Angebot und Nachfrage außerhalb von Oligopolen und Monopolen, erlaubt Verbraucherinnen und Verbrauchern, von verbesserter Qualität bei Sachgütern und Dienstleistungen, von Innovationen, steigender Qualität und angemessenen Preisen zu profitieren. Besteht eine solche Wahl nicht oder nur eingeschränkt, dann haben Verbraucher keine Möglichkeit zum Wechsel, da dieser prohibitiv teuer oder folgenschwer ist. Die marktbeherrschende Stellung, insbesondere von Intermediären wie Amazon, Facebook oder Google, bedroht die mögliche Vielfalt der Angebote und hält potentielle Innovatoren vom Markteintritt ab. Eine durchsetzungsstarke Wettbewerbspolitik in der Nutzung der Digitalen Welt ist daher eine notwendige Bedingung, die Innovationskraft der Digitalen Welt zugunsten der Verbraucher auszubauen und zu erhalten. Das bestehende Wettbewerbs- und Kartellrecht sowie die kommende EU-Datenschutzgrundverordnung bieten durchaus Möglichkeiten hierzu. Allerdings müssten verstärkte Anstrengungen der Rechtsdurchsetzung unternommen werden, um die Vielfalt und die Offenheit der Digitalen Welt zu erhalten und zu erweitern."