Memorandum für eine verpflichtende informatische Bildung und Medienbildung (2011)

Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien prägen nachhaltig die Lebenswelt junger Menschen und verlangen neue, weitreichende Kompetenzen im Umgang mit Medien und informationsverarbeitender Technik. Sie sind sowohl für den Einzelnen zur Lebensbewältigung und gesellschaftlichen Partizipation als auch für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Hamburg von zentraler Bedeutung und avancieren zu einer zentralen Kulturtechnik (vgl. z .B. Expertenkommission des BMBF 2010). Diese Einschätzung wird von Bildungsexperten und politischen Entscheidungsträgern in Hamburg gleichermaßen getragen, es mangelt aber an curricularer Verbindlichkeit und konkreten Hinweisen, wann und wie unsere Schülerinnen und Schüler diese wichtigen Kompetenzen erwerben sollen.

In Hamburg ist Medienerziehung kein Unterrichtsfach, sondern eines von neun Aufgabengebieten, das quer zu den Fächern liegt und durch schuleigene Curricula sichergestellt werden muss, da es per Schulgesetz die Vorgabe gibt, alle neun Aufgabengebiete fachintegriert umzusetzen. Die Umsetzung des fachintegrativen Ansatzes weist aber hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit und Qualitätssicherung Schwächen auf, wie in 2010 in einer Expertise der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein festgestellt wurde.

Informatische Inhalte, die sich an den in 2008 von der Gesellschaft für Informatik empfohlenen Grundsätzen und Standards für die Informatik in der Schule orientieren, sind in Hamburg an den Stadtteilschulen im Lernbereich Naturwissenschaften und Technik integriert, aber an den Gymnasien gibt es das Fach Informatik nur als Wahl- oder Wahlpflichtangebot, das nicht alle Schülerinnen und Schüler erreicht.

Wenn der kompetente Umgang mit Medien und informationsverarbeitender Technik eine zentrale Kulturtechnik ist, dann muss sie, wie die klassischen Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen, alle Schülerinnen und Schüler erreichen und in einem verbindlichen Fach oder Lernbereich verankert werden. Hier wäre dann auch Raum für die wichtige Aufgabe der Förderung der Datenschutzkompetenz, die Schülerinnen und Schülern ein selbstverantwortliches Verhalten in der digitalen Gesellschaft erst ermöglicht.

Die Argumentation, dass Computer und Internet heute in allen Fächern genutzt werden und deshalb kein eigenes Fach für die informatische Bildung und Medienbildung erforderlich ist, ist u. E. nicht haltbar. Die klassischen Kulturtechniken Schreiben, Lesen und Rechnen werden ebenfalls im täglichen Leben und in allen Unterrichtsfächern genutzt, aber - eben weil es Kulturtechniken sind - in den Kernfächern Deutsch bzw. Mathematik systematisch unterrichtet. Heute an der Schwelle des Übergangs zur Informations- und Wissensgesellschaft ist analog zu den klassischen Kulturtechniken für die informatische Bildung und Medienbildung ein eigenständiges Fach oder ein gemeinsamer Lernbereich vorzuhalten.

Informatische Bildung und Medienbildung sind in unserem Verständnis zwei sich ergänzende, wechselseitig bedingende Aufgaben schulischer Bildung und Erziehung, die sich immer weiter aufeinander zubewegen. Dass ihre Aufgabenfelder nicht überschneidungsfrei sind, liegt in der Natur der neuen, digitalen Medien. Der spezifische Beitrag der informatischen Bildung zur Medienbildung liegt deshalb in der Bereitstellung grundlegender informatischer Methoden und Sichtweisen, die ein Verständnis des Mediums Computer bzw. computerbasierter Medien erst ermöglichen. Indem die Schülerinnen und Schüler die Struktur von Informatiksystemen sowie deren Wechselwirkungen mit den Nutzern analysieren und selber mediale Produkte und Informatiksysteme gestalten, erarbeiten sie sich zugleich Grundbausteine einer Medienkompetenz. Dieser Beitrag kann u. E. von keinem anderen Bildungsangebot geleistet werden.

Wir fordern die politischen Entscheidungsträger der Freien und Hansestadt Hamburg auf, die informatische Bildung und Medienbildung im Pflichtkanon der Sekundarstufe I aller allgemein bildenden Schulen in einem gemeinsamen Fach oder Lernbereich "Informatik und Medien" zu verankern und dafür ein gemeinsames Curriculum zu entwickeln.

Hamburg, 21. Januar 2011

  • Prof. Dr. Norbert Breier, Didaktik der Informatik, Universität Hamburg;
  • Prof. Dr. Rudolf Kammerl, Medienpädagogik, Universität Hamburg;
  • Prof. Dr. Reiner Lehberger, Vorsitzender des Landesschulbeirates Hamburg;
  • Prof. Dr. Johannes Caspar, Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit;
  • Jürgen Sponnagel, Vorstandsvorsitzender des Kuratoriums IT-Management und Consulting;
  • Prof. Dr. Norbert Ritter, Prodekan für Lehre der MIN-Fakultät, Universität Hamburg;
  • Prof. Dr. Horst Oberquelle, Leiter des FB Informatik Universität Hamburg;
  • Prof. Dr. Ingrid Schirmer, Verantwortliche für die Lehramtsstudiengänge Informatik im FB Informatik, Universität Hamburg;
  • Prof. Dr. Hans-Dieter Kübler, Medienwissenschaften, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg;
  • Prof. Dr. Wolfgang Swoboda, Medienwissenschaften, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Hamburg;
  • Torsten Otto, Sprecher der GI-Fachgruppe SH-HILL der Schleswig- Holsteiner und Hamburger Informatiklehrerinnen und -lehrer