Kommission Medienpädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE)
Stellungnahme zu den "Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Kommunikations- und Medienwissenschaften in Deutschland" des Wissenschaftsrats vom 25. Mai 2007 (2008)

Mit diesen Empfehlungen verfolgt der Wissenschaftsrat berechtigte Anliegen, die grundsätzlich zu unterstützen sind. Die rasanten Entwicklungen im Bereich der Kommunikations- und Medienwissenschaften erfordern dringend eine Klärung und Neuformierung des Feldes, um angemessen auf "die Herausforderungen der umfassenden Medialisierung der Lebenswelt und der dynamischen technologischen Entwicklungen" reagieren zu können (Einleitung S. 14). Um diese schwierige Aufgabe zu bewältigen, hat sich der Wissenschaftsrat wegen der äußerst diffusen Konturen dieses wissenschaftlichen Feldes für einen "problembezogenen Zugang" entschieden (S. 14). Ausgangspunkt dafür ist die Systematisierung des gesamten Bereichs der Kommunikations- und Medienwissenschaften auf der Grundlage von drei Ausrichtungen: der sozialwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft, der kulturwissenschaftlichen Medialitätsforschung und der Medientechnologie. Dabei können sicherlich nicht alle Forschungs- und Entwicklungslinien erfasst und schlüssig zugeordnet werden. Aber es fällt auf, dass der gesamte Bereich der bildungsorientierten Medienwissenschaften kaum in den Blick kommt.
Eine Konsequenz dieser Neuordnung des Feldes wäre die Ausgrenzung der Medienpädagogik, die sich als erziehungswissenschaftliche Disziplin in dem Überschneidungsbereich zwischen den drei Ausrichtungen etabliert hat, die in den Empfehlungen vorgeschlagen werden. Nach unserer Auffassung müsste die Medienpädagogik mit ihrem eigenen Zugang als vierte Säule in dem Feld der Kommunikations- und Medienwissenschaften verankert werden.
Im Abschnitt A.II. wird eine Neuformierung des wissenschaftlichen Feldes begründet und die einzelnen Zugänge werden genauer beschrieben. Mit dieser Einteilung sind Probleme verbunden, die zwar kurz angesprochen, aber in ihren weit reichenden Konsequenzen nicht bedacht werden.
"Medienwissenschaftliche Fragestellungen werden darüber hinaus in Teilgebieten anderer Disziplinen behandelt, so zum Beispiel in der Philosophie (Medienphilosophie), in der Ökonomie (Medienwirtschaft), in der Erziehungswissenschaft (Medienpädagogik) oder in der Rechtswissenschaft (Medienrecht).
Diese unterschiedlichen Anwendungsfelder, die vielfach über hoch spezialisierte Institutionen und Ausbildungsgänge verfügen, sind zu vielgestaltig, als dass eine weitergehende umfangreiche Binnenanalyse im Rahmen dieser Empfehlungen zu leisten wäre. Gleichwohl tragen diese Wissenschaftseinrichtungen und Studienangebote keineswegs unwesentlich zur kommunikations- und medienwissenschaftlichen Ausbildung bei." (S. 16)
Dieses Zitat verdeutlicht eine Grundproblematik der Stellungnahme: Die Systematisierung des Feldes in drei Teilgebiete ist so grob, dass wesentliche Frage- und Problemstellungen im Zusammenhang mit der Entwicklung der neuen Medien in der heutigen Gesellschaft durch das Raster fallen. Als dezisionistische Setzung wird sie der Tendenz einer fortschreitenden Ausdifferenzierung im Wissenschaftsbereich nicht gerecht. Diese Schwierigkeit wird auch durch die Bestimmung eines ganz neuen Bereichs "kulturwissenschaftliche Medialitätsforschung" nicht behoben. Damit ist vielmehr die Gefahr einer Ausgrenzung gut fundierter wissenschaftlicher Teildisziplinen verbunden, auf deren Erkenntnisse die Kommunikations- und Medienwissenschaften essentiell angewiesen sind, wie das in der Stellungnahme selbst betont wird: "Wesentliche Impulse erhält die Kommunikationswissenschaft aus der regen Auseinandersetzung mit Theorien, Methoden und Befunden anderer Disziplinen... Ihre Erkenntnisse sind elementarer Bestandteil des kommunikationswissenschaftlichen Fachdiskurses und tragen zu dessen Dynamik bei. Fachvertreter in diesen Überschneidungsbereichen sind öfters sowohl in der Kommunikationswissenschaft als auch in einer weiteren Disziplin verortet und sichtbar." (S. 19)
Auf Grund dieser Positionierung übernehmen solche Disziplinen eine wichtige Brückenfunktion und tragen zu einer Vernetzung zwischen den Kommunikations- und Medienwissenschaften und anderen Wissenschaftsbereichen bei. Das trifft in ganz besonderer Weise auf die Medienpädagogik zu. Sie hat sich seit Jahrzehnten sehr nachhaltig mit den Herausforderungen einer umfassenden Medialisierung der Lebenswelt auseinandergesetzt. Ihr Focus richtet sich darauf, welche Auswirkungen eine von Medien geprägte Alltagswelt auf die als autonom gedachten Bildungsprozesse der Person sowie auf die Institutionen hat, die die personalen Bildungsprozesse das ganze Leben hindurch unterstützen und sichern sollen. Dabei befasst sich die Medienpädagogik mit dem Stellenwert von Medien in der Familie und im Kindergarten, in Schule und Berufsausbildung, bis hin zu den Einrichtungen der Familien-, Erwachsenen- und Altenbildung. Ihre empirischen, methodischen und theoretischen Ansätze greifen nicht nur Fragestellungen aus allen drei Bereichen der sozialwissenschaftlichen Kommunikationswissenschaft, der kulturwissenschaftlichen Medialitätsforschung und der Medientechnologie auf, sondern gerade auch solche Probleme und Themen, die im Schnittpunkt zwischen diesen Feldern liegen. Zu zentralen Bildungsfragen und zu brennenden sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Problemen (z.B. die Forderung nach Medienkompetenz bzw. Medienbildung für alle Menschen) hat sie nicht nur wesentliche Forschungsergebnisse und theoretische Erklärungsansätze, sondern auch Konzepte, Programme und Handreichungen für die Praxis geliefert.
Es ist daher völlig unverständlich, warum die Medienpädagogik bei der Neuformierung dieses Feldes der Kommunikations- und Medienwissenschaften und den Empfehlungen zur Weiterentwicklung dieser gesellschaftlich so bedeutsamen Disziplinen in ihren Ansätzen und Leistungen weitgehend unberücksichtigt geblieben ist. Explizit wird die Medienpädagogik nur ein einziges Mal (S. 16) erwähnt. Viele der Themen, die den drei Feldern der Kommunikations- und Medienwissenschaften zugeordnet sind, werden seit Jahren intensiv von der Medienpädagogik bearbeitet. Das zeigt sich z.B. S. 14 (Probleme des Medienkonsums bei Jugendlichen oder in bildungsfernen Schichten); S. 19 (Rezeptions- und Wirkprozesse der Kommunikation); S. 19/20 (Auseinandersetzung mit Formen computervermittelter Kommunikation; zunehmende Medienkonvergenz); S. 20 ff. (Fragestellungen, die als typisch für die Medialitätsforschung genannt werden, stehen seit langem im Zentrum der Mediendidaktik); S. 23 ff. (informationstechnische Bildung als Teilbereich der Medienpädagogik); S. 25 (Erforschung und Gestaltung mediengestützter Informations-, Wissens- und Lernumgebungen); S. 38/39 (Neue Medien in der Bildung; Telelearning, Teleteaching).
Als wissenschaftliche Disziplin hat sich die Medienpädagogik in die Bereiche der Medienerziehung - Medienbildung, Mediensozialisation, Lehren und Lernen mit Medien/ Mediendidaktik ausdifferenziert. Hierin zeigt sich eine eindeutige Vernetzung mit den in der Stellungnahme ausgewiesenen Teilgebieten der Kommunikations- und Medienwissenschaften. Das Stigma, eine Bewahrpädagogik und generelle Medienschelte zu unterstützen, lehnt die Mehrzahl der wissenschaftlich arbeitenden Medienpädagogen seit 40 Jahren eindeutig ab, aber diese wissenschaftlich überholte Position wird von weniger Informierten als Patentlösung gesellschaftlicher Probleme immer wieder propagiert. Auch neigen viele Medien und Politiker nach spektakulären Vorfällen in Schulen dazu, eine Verschärfung gesetzlicher Vorschriften und eine Verstärkung der Bewahrpädagogik zu fordern.
Seit der zunehmenden Digitalisierung und Vernetzung der neuen Medien arbeiten zahlreiche Medienpädagogen insbesondere in dem Überschneidungsbereich zwischen bildungs- und kommunikationswissenschaftlichen und medientechnologischen Fragestellungen (z.B. ELearning, Wissensmanagement, Web 2.0 als Bildungsmedium, Ausweitung informeller Lernprozesse mit neuen Medien über die gesamte Lebensspanne hinweg). Ein zentraler Bereich ist hier die Bildungs- bzw. Lehr-Lernforschung, wo es um die Gestaltung mediengestützter Lernumgebungen für selbstgesteuertes Lernen in den verschiedensten Bildungsbereichen und um die Sicherung geeigneter institutioneller Rahmenbedingungen für solche Lernumgebungen geht (z.B. "Schulen ans Netz"; Laptop im Klassenzimmer; Internetportale für die offene Jugendarbeit und Jugendmedienbildung). Mediendidaktische Konzepte (nicht nur im Schulunterricht, sondern auch im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung) lassen sich heute kaum mehr ohne medientechnologische Erkenntnisse und Entwicklungen entwerfen.
Bei all diesen Themen wird deutlich, dass für die medienpädagogische Forschung eine Kooperation zwischen den Bereichen der Kommunikations- und Medienwissenschaften selbstverständlich ist, wie sie in den Empfehlungen (S.8) nachdrücklich gefordert wird.
Die Medienpädagogik ist sowohl in den Bereichen Erziehungswissenschaft, Pädagogische Psychologie, Bildungssoziologie u.a. als auch in den Kommunikationswissenschaften verankert und hat sich als Disziplin sowohl institutionell, als auch in Forschung und Lehre etabliert: Es gibt
- eine Reihe medienpädagogischer Studiengänge und Zusatzausbildungen,
- ein eigenständiges Forschungsinstitut, das JFF, Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis in München, das neben der Forschung auch intensiv Medien- und Politikberatung betreibt.
- eine ganze Reihe von Lehrstühlen und Professuren zur Medienpädagogik (Medienbildung) und Mediendidaktik,
- wissenschaftliche Fachverbände (Kommission Medienpädagogik in der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft; AG Medienpädagogik in der DGPuK; GMK - Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur; AG Medien im Symposion Deutschdidaktik),
- eigenständige Fachzeitschriften (medien + erziehung; MedienPädagogik - Onlinezeitschrift der Kommission Medienpädagogik) sowie seit 2001 das Jahrbuch Medienpädagogik (herausgegeben von der Kommission Medienpädagogik),
- jährlich zwei Fachtagungen der Kommission Medienpädagogik in der DGfE (zuletzt Herbsttagung 2007 in Paderborn zum Thema: Medienkompetenz, Web 2.0 und mobiles Lernen).
Mit der Standortbestimmung der Medienpädagogik befassen sich folgende Publikationen:
Paus-Haase, I. / Lampert, C. / Süss, D. (Hrsg.): Medienpädagogik in der Kommunikationswissenschaft. Positionen, Perspektiven, Potenziale. Wiesbaden 2002.
Sesink, W. / Kerres, M. / Moser, H. (Hrsg.): Jahrbuch Medienpädagogik 6. Medienpädagogik - Standortbestimmung einer erziehungswissenschaftlichen Disziplin. Wiesbaden 2007.
Herzig, B.: Analoge und digitale Medien im Bildungsprozess. Theoriebasierte Entwicklung einer integrativen Sichtweise für die Medienbildung. (Habil.) Paderborn 2002.
Die darin dokumentierten Positionen belegen den eigenständigen und originären Fachdiskurs, der in der Medienpädagogik seit den 70er Jahren kontinuierlich entwickelt wurde.
Damit sollte deutlich geworden sein, dass die Medienpädagogik mit ihren spezifischen bildungs- und erziehungswissenschaftlichen sowie didaktischen Zugängen bei einer Neuordnung des wissenschaftlichen Feldes der Kommunikations- und Medienwissenschaften als eigenständiges wissenschaftliches Feld zu berücksichtigten ist.

Die Stellungnahme wurde auf der Mitgliederversammlung der Kommission Medienpädagogik am 17.03.2008 in Dresden beraten und verabschiedet.
Prof'in Dr. Dorothee Meister, Prof. Dr. Heinz Moser, Prof. Dr. Horst Niesyto
(Vorstand der Kommission Medienpädagogik)
Kontakt und Homepage der Kommission Medienpädagogik:
http://dgfe.pleurone.de/ueber/sektionen/sektion12/