Digital Manifest(2015)

Die Wissenschaftler Dirk Helbing , Bruno S. Frey , Gerd Gigerenzer , Ernst Hafen , Michael Hagner , Yvonne Hofstetter , Jeroen van den Hoven , Roberto V. Zicari und Andrej Zwitter haben im November 2015 in mehreren Artikeln ihr "Digital Manifest" auf der Website der Verlagsgesellschaft Spektrum der Wissenschaft veröffentlicht.

In ihrem Hauptartikel "Digitale Demokratie statt Datendiktatur" liefern sie zahlreiche aktuelle Daten, Beschreibungen neuerer Entwicklungen und Anwendungen der so genannten Künstlichen Intelligenz in Verbindung mit Big Data wie "Deep Learning", "Big Nudging" und "Citizen Scores" und in Form von Tatsachenbehauptungen vorgetragene Voraussagen wie "Algorithmen werden in den kommenden 10 bis 20 Jahren wohl die Hälfte der heutigen Jobs verdrängen. 40 Prozent der Top-500-Firmen werden in einem Jahrzehnt verschwunden sein."

Sie warnen sie vor einer "Automatisierung der Gesellschaft durch Algorithmen und künstliche Intelligenz" und formulieren ihren

"Appell zur Sicherung von Freiheit und Demokratie."

Hierin fordern sie die "Einhaltung folgender Grundprinzipien:

  • die Funktion von Informationssystemen stärker zu dezentralisieren;
  • informationelle Selbstbestimmung und Partizipation zu unterstützen;
  • Transparenz für eine erhöhte Vertrauenswürdigkeit zu verbessern;
  • Informationsverzerrungen und -verschmutzung zu reduzieren;
  • von den Nutzern gesteuerte Informationsfilter zu ermöglichen;
  • gesellschaftliche und ökonomische Vielfalt zu fördern;
  • die Fähigkeit technischer Systeme zur Zusammenarbeit zu verbessern;
  • digitale Assistenten und Koordinationswerkzeuge zu erstellen;
  • kollektive Intelligenz zu unterstützen; und
  • die Mündigkeit der Bürger in der digitalen Welt zu fördern - eine "digitale Aufklärung"."

Im von ihnen beschriebenen "Konzept eines Citizen Scores" in China sehen sie "die Säulen der Demokratie unmittelbar bedroht:

  1. Durch Verfolgen und Vermessen aller Aktivitäten, die digitale Spuren hinterlassen, entsteht ein gläserner Bürger, dessen Menschenwürde und Privatsphäre auf der Strecke bleiben.
  2. Entscheidungen wären nicht mehr frei, denn eine falsche Wahl aus Sicht der Regierung oder Firma, welche die Kriterien des Punktesystems festlegt, würde bestraft. Die Autonomie des Individuums wäre vom Prinzip her abgeschafft.
  3. Jeder kleine Fehler würde geahndet, und kein Mensch wäre mehr unverdächtig. Das Prinzip der Unschuldsvermutung wäre hinfällig. Mit "predictive policing" könnten sogar voraussichtliche Regelverletzungen bestraft werden.
  4. Die zu Grunde liegenden Algorithmen können aber gar nicht völlig fehlerfrei arbeiten. Damit würde das Prinzip von Fairness und Gerechtigkeit einer neuen Willkür weichen, gegen die man sich wohl kaum mehr wehren könnte.
  5. Mit der externen Vorgabe der Zielfunktion wäre die Möglichkeit zur individuellen Selbstentfaltung abgeschafft und damit auch der demokratische Pluralismus.
  6. Lokale Kultur und soziale Normen wären nicht mehr der Maßstab für angemessenes, situationsabhängiges Verhalten.
  7. Eine Steuerung der Gesellschaft durch eine eindimensionale Zielfunktion würde zu Konflikten und damit zu einem Verlust von Sicherheit führen. Es wären schwer wiegende Instabilitäten zu erwarten, wie wir sie von unserem Finanzsystem bereits kennen."

In weiteren kurzen Beiträgen wird dies - auch an konkreten Beispielen - erläutert und kommentiert:

Abschließend formulieren sie ihre zur Reflexion und zur Diskussion anregende "Strategie für das digitale Zeitalter."

Neben grundlegenden Bedingungen wie

  • Ablehnung von Ansätzen wie Big Nudging und Citizen Scores
  • "auch in Zeiten der digitalen Revolution die Grundrechte der Bürger zu schützen"
  • ein neuer Regulierungsrahmen, "der die Kompatibilität von Technologien mit Demokratie garantiert. Dieser muss die informationelle Selbstbestimmung nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch sicherstellen."

formulieren sie anregende Umsetzungsvorschläge wie

  • über eine Person gesammelte Daten müssen gesetzlich verpflichtend in Kopie automatisch an eine "persönliche Datenmailbox" gesendet werden
  • "Such- und Empfehlungsalgorithmen nicht vom Anbieter vorgegeben, sondern vom Nutzer auswählbar und konfigurierbar"
  • Bildungskonzepte "sollten stärker auf kritisches Denken, Kreativität, Erfinder- und Unternehmergeist ausgerichtet sein ..."
  • Einrichtung kommunaler https://de.wikipedia.org/wiki/FabLab Fablabs
  • konsequente Open-Data-Strategie
  • Bau eines von den Bürgern betriebenen "digitalen Nervensystems", um "die neuen Möglichkeiten des Internets der Dinge erschließen und über Echtzeitmessungen Daten für jeden bereitstellen" zu können
  • "persönliche digitale Assistenten", verbunden über dezentral gesteuerte "Netzwerke von menschlicher und künstlicher Intelligenz"
  • "spezielle Diskussionsplattformen" sollten "die Voraussetzungen dafür schaffen, eine Demokratie 2.0 mit mehr Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger zu realisieren"