Wolf-Rüdiger Wagner - Aktive Medienarbeit - Eine Chance für Medienkompetenz und Schulentwicklung

Der Begriff Medienkompetenz hat Konjunktur. Überall dort, wo man sich mit der Zukunft der Informationsgesellschaft und den Herausforderungen für das Bildungssystem beschäftigt, wird die Forderung nach Medienkompetenz aufgestellt.

Der Begriff der "Medienkompetenz" hat einerseits eine pädagogische Tradition. Der Kompetenzbegriff wurde in den 70er Jahren durch Baacke in die medienpädagogische Diskussion eingeführt. Mit diesem Begriff ist die Annahme verbunden, dass der Mensch von Natur aus fähig ist, sich sprachlich und mit Hilfe anderer Symbolsysteme auszudrücken. Da diese Kompetenz dem Menschen angeboren ist, dürfte man streng genommen auch nicht von "Vermittlung", sondern - pädagogisch bescheidener - nur von der "Förderung von Medienkompetenz" sprechen.

Diese Tradition des Begriffs "Medienkompetenz" ist pädagogisch wichtig, da sich aus dem Blick auf die "Kompetenzen", über die Menschen verfügen, eine andere Perspektive für pädagogisches Handeln ergibt als über den Begriff der "Erziehung".

Die aktuelle Konjunktur des Begriffs "Medienkompetenz" ist jedoch kein Beweis für die Langzeitwirkung medienpädagogischer Diskurse. Je weiter man sich aus den Schutzzonen pädagogischer Diskussionszirkel hinausbewegt, desto direkter wird die Forderung nach Medienkompetenz mit dem rasanten technologischen Wandel begründet, von dem alle gesellschaftlichen Bereiche erfasst werden.

Wenn heute in der öffentlichen Diskussion von Medienkompetenz die Rede ist, geht es vor allem um berufliche Qualifikationsanforderungen. In der selbstverständlichen und kompetenten Nutzung von Medien wird eine grundlegende Voraussetzung für die "Teilhabe am Arbeitsmarkt" gesehen. Dies gilt direkt und unmittelbar mit Blick auf die Anforderungen am Arbeitsplatz, aber auch darüber hinaus im Zusammenhang mit der Notwendigkeit zur ständigen Weiterqualifizierung.

Daraus ergibt sich ein enger Zusammenhang zwischen Medienkompetenz und Schulentwicklung, da die Diskussion über Schulentwicklung nicht zuletzt eine Diskussion über die Notwendigkeit von Veränderungen ist, die sich aus den Anforderungen der Informationsgesellschaft an das Lernen ergeben. Ein Blick auf diese gesellschaftlichen Anforderungen zeigt, dass eine zukunftsorientierte Schulentwicklung ohne die systematische Integration von Multimedia und Internet in Lehr- und Lernprozesse nicht denkbar ist. Umgekehrt kann der pädagogische "Mehrwert" der neuen Medien nur über Schulentwicklung, d.h. über Veränderungen in der Unterrichtsgestaltung, im Rollenverständnis von Lehrkräften, in den curricularen und schulorganisatorischen Rahmenbedingungen realisiert werden. Die Medienpädagogik reagiert eher verunsichert auf die Konjunktur von Begriffen und Themen, für die man sich so lange ohne öffentliche Resonanz eingesetzt hat. Verunsicherung löst u.a. aus, daß medienpädagogische Begriffe und Themen nahezu ausschließlich auf die Informations- und Kommunikationstechniken bezogen werden, die bislang eher ein Gegenstand der Informatik bzw. der Informationstechnischen Bildung waren. Kritische Distanz - nicht nur von Medienpädagogen - muß es provozieren, wenn in der öffentlichen Diskussion Medienkompetenz auf eine Art Führerschein für Computernutzer und Netzsurfer verkürzt wird, wenn die Vermittlung von Medienkompetenz auf die bloße Anpassung an Arbeitsplatzanforderungen im Dienste der Standortsicherung hinauszulaufen scheint. Da zur Zeit Konzepte und Rahmenpläne zur Medienkompetenz gefragt sind, versuchen viele Medienpädagogen diese Konjunktur für die Realisierung lange geforderter Ziele und Themen auszunutzen und Konzepte, in denen viel von Medien die Rede ist, Multimedia und Internet jedoch nur am Rande auftauchen, mögen dabei den Kultusbürokratien gar nicht unlieb sein.

Bestünde die Möglichkeit, Medienkompetenz auch ohne Computer, Netzanschlüsse, entsprechende Peripheriegeräte und Software zu vermitteln, entlastete dies doch von der leidigen Frage, wie eigentlich die Ausstattung von Schulen und die laufenden Kosten zu finanzieren sind.

Kulturtechnik und Medienpädagogik

Ein produktiverer Einstieg in dieses Diskussion ergibt sich aus medienpädagogischer Sicht über den Begriff der "Kulturtechnik". In der Diskussion über Medienkompetenz findet sich häufig das Argument, die immer wichtiger werdenden Fähigkeiten und Fertigkeiten im praktischen Umgang mit den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien avancierten zu einer neuen Kulturtechnik (z.B. Mandl u.a. 1998, S.9). Der Brockhaus liefert zum Stichwort "Kulturtechnik" die Erklärung, daß es sich dabei im engeren Sinne um eine "Sammelbezeichnung für Lesen, Schreiben und elementares Rechnen" handelt. Im weiteren Sinne zähle man auch andere "elementare Fertigkeiten, z.B. das Landkartenlesen, das Telefonieren sowie die Anwendung von Informationstechniken" dazu. (Brockhaus 1990, S.591) Beim Begriff "Technik" ist wiederum zu unterscheiden, zwischen physikalischen Artefakten, wie Geräten und technischen Systemen, als Technik im engeren Sinn und methodischen, planvollen und zielgerichteten Verfahrensweisen als Technik im weiteren Sinn.

Typisch für die "Medienvergessenheit" - und Technikignoranz - von Schule und damit mitverantwortlich für das bisherige Schattendasein der Medienpädagogik ist die Tatsache, daß dem Zusammenhang zwischen "physikalischen Artefakten" und "methodischen Verfahrensweisen" nie gebührend Rechnung getragen wurde, obwohl es z.B. auf der Hand liegt, daß komplexere Rechen- und Denkoperationen daran gebunden sind, das menschliche Gedächtnis durch Speichermedien zu entlasten. Kalkulieren und Kalkül hängt nicht umsonst mit dem lateinischen Wort für Kieselsteine zusammen, die als "Rechensteine" dienten.

Bei den Kulturtechniken im engeren Sinne - also Schreiben, Lesen und Rechnen - hat man sich weitgehend auf die "Kultur" konzentriert. "Kultur" wird aber in der deutschen Tradition - außerhalb der Land- und Forstwirtschaft - dem Bereich des Geistes zugerechnet. Der Umstand, daß die kulturelle Evolution an Medien gebunden ist und dass diese mediale Basis die geistige Tätigkeit ebenso beeinflußt wie die sich die kulturelle Entwicklung in der Medienentwicklung niederschlägt, gerät nicht in den Blick. (Vgl. Wagner 1996)

Man kann sich aber eben nicht abstrakt mit "Geschichten" beschäftigen, da Geschichten immer in einem Medium erzählt werden und eine mündliche überlieferte Erzählung anderen Gesetzen folgt als ein Roman oder Film. Auch Informationen im Sinne von Nachrichten existieren nicht unabhängig von den technischen Systemen, mit deren Hilfe das Recherchieren, Sammeln, Bearbeiten und Verbreiten von Nachrichten realisiert wird. Umgekehrt wird bei den Kulturtechniken im weiteren Sinne dem Anteil der "Kultur" zu wenig aufmerksam geschenkt und somit nur die technische Fertigkeit gesehen. Über Multimedia und Internet wird der Zugriff auf Informationen in einem bisher kaum vorstellbaren Maße von Raum und Zeit unabhängig und gleichzeitig verändern die Möglichkeiten der Suche und Verarbeitung von Informationen radikal. Daraus folgen qualitative Veränderung für das Lernen und Arbeiten.

Wenn der Begriff "Kulturtechnik" auf den engen Zusammenhang zwischen der Benutzung von Apparaten und technischen Systemen und der Anwendung "methodischen Verfahrensweisen" verweist, bedeutet dies auch, dass Medienkompetenz sich nicht in der Fähigkeit, Medien zu bedienen erschöpfen kann. Medienkompetenz zielt auf den kompetenten Umgang mit Medien, zielt auf Kritik- und Analysefähigkeit und muss auch die Erweiterung der Ausdrucks- und Erlebnisfähigkeit einschließen.

Multimedia und medienpädagogische Träume

Mit Multimedia wurde früher die aufeinander abgestimmte Verwendung verschiedener Medien bezeichnet. In der Pädagogik sprach man in diesem Zusammenhang auch vom Medienverbund. Heute bezeichnet der Begriff Multimedia die über den Computer möglich gewordene integrierte Verarbeitung, Speicherung und Darstellung von Texten, Grafiken, Tabellen, Stand- und Bewegtbildern sowie Tonfolgen. Diese computergesteuerte Integration unterschiedlichster Medien oder Symbolfolgen ermöglicht zugleich die interaktive Verknüpfung von Präsentations- und Verarbeitungsformen. Hinzu kommt der mögliche Schritt von linearen Strukturen zu Hypertext-Konzepten, da die über den Computer realisierbaren Multimediasysteme die Verknüpfbarkeit beliebiger Informationseinheiten zulassen.

Pädagogische und medienpädagogische Hoffnungen verbinden sich insbesondere mit dem Begriff der "Interaktion". Ohne auf die inflationäre Verwendung dieses Begriffs einzugehen, lassen sich drei Formen oder Ebenen der Interaktion unterscheiden:

  • Interaktion als die Bedienung des Programms
  • Interaktion als Selektion aus einem Angebot.
  • Interaktion als Einsatz der Verarbeitungsroutinen.

Ohne diese Formen der Interaktivität wäre ein selbstbestimmtes, eigenaktives Lernen, wie es für die neue Lernkultur gefordert wird, nicht zu realisieren. Für medienpädagogische Überlegungen ist "Interaktivität" im Sinne der Verarbeitungsroutinen wichtig, durch die man Informationen auswählen, bearbeiten, an andere weiterleiten bzw. präsentieren. Stehen multimediafähige Computer und Programme mit Verarbeitungsroutinen für Text und Ton, Standbilder und Videosequenzen zur Verfügung, kann handelnder Umgang mit Informationen, aktive Medienarbeit im weitesten Sinne, in alle Unterrichtsfächer integriert werden. Welche Möglichkeiten sich durch Multimedia ergeben, aktive Medienarbeit im Dienste einer neuen Lernkultur in die Normalität des Unterrichts einzubeziehen, zeichnet sich in dem folgenden Zitat aus dem Gutachten der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung über die "Systematische Einbeziehung von Medien, Informations- und Kommunikationstechnologien in Lehr- und Lernprozesse" ab: "Die kooperative Bearbeitung multimedialer Programme etwa regt dazu an, dass die Lernenden sich gemeinsam Wissen zu einem bestimmten Bereich erarbeiten.

Zentral dafür ist, daß die Lernenden in "Lerngemeinschaften" Produkte (z.B. Texte, Animationen) erstellen und Information eben nicht nur rezipiert, sondern produziert und auch gegenseitig kritisiert wird.." (Mandl u.a. 1998, S.23)

Bei diesem Ansatz ergibt sich eine Deckungsgleichheit zwischen allgemein didaktischen Prinzipien und medienpädagogischen Zielvorstellungen. In dieser produktiven Aneignungen von Wissen würden gleichzeitig Auswahl-, Interpretations- und Gestaltungsprozesse durchlaufen, wie sie im Prinzip für alle Medien Geltung haben. Im eigenen Vollzug würde deutlich, daß es sich bei medialen Botschaften immer um Konstrukte handelt.

Medienpädagogik muß nicht neu erfunden werden

Hartmut von Hentig hat vor einiger Zeit in einem Streitgespräch "Schulen ans Netz" mit dem damaligen Bildungsminister Rüttgers eine Forderung aufgestellt: "Eine so große, nicht steuerbare Veränderung, wie die, die uns mit den Neuen Medien ins Haus steht, 'betreibt' man nicht, man wartet sie aufmerksam und aufgeschlossen ab und denkt aus diesem Anlass über die eigenen Vorstellungen vom guten Leben nach. Man macht sich ein 'Konzept' - man 'schmeißt sich nicht ran'." (ZEIT, 19.9.97) Mit Recht wendet sich von Hentig gegen eine überzogene Rhetorik und Hektik, bei der oftmals Allgemeinbildung zugunsten der Sicherung des Wirtschaftsstandorts Deutschland auf das "Handling" der jeweils neuesten Hard- und Softwareversion reduziert wird.

Problematisch wird Hentigs Position, weil er letztlich die Perspektive seiner Kontrahenten übernimmt und seine Argumentation ausschließlich auf die Technik und Geräte konzentriert. Wer die historische Kontinuität der Medienentwicklung ausblendet und nur das "ganz Neue" sieht, muß nach ganz neuen Konzepten und Ansätzen suchen.

Ansonsten bietet sich auch für Internet und Multimedia die Weiterentwicklung vorliegender medienpädagogischer Konzepte an.

Aktive Medienarbeit hat Tradition

Aktive Medienarbeit hat in der Schule eine Tradition, die im Rahmen der Schulfotografie und Schülerfilmarbeit bis in die 20er Jahre zurückreicht. Hier gibt es Traditionslinien, die z.B. auf Kunsterzieherbewegung mit ihrer Entdeckung des "Schöpferischen" im Kinde und der Betonung der Eigentätigkeit verweisen. Andere Traditionslinien führen zur Arbeitsschulbewegung und zur Projektmethode. Was ist Medienanalyse durch aktive Medienarbeit anderes als "Learning by doing". In der Freinet-Pädagogik wird der Buchdruck, gekoppelt mit Linolschnitt für die Bilder, zum Medium für aktives und arbeitsteiliges Arbeiten und Lernen. Freinet knüpft am Mitteilungsbedürfnis der Schüler an - heute würde man von der Förderung kommunikativer Kompetenz sprechen.

In Freinets Begründung für die Arbeit mit der Schuldruckerei - und anderen Medien wie Filmkamera und Tonbandgeräte - finden sich die wesentlichen pädagogischen Argumente, die auch heute für die Nutzung von Multimedia und Internet sprechen. Es ging Freinet um das Lernen in Sinn- und Sachzusammenhängen, es ging um die kritische Distanz im Umgang mit den Massenmedien, zu denen er auch die Schulbücher zählte, und es ging ihm um Öffnung von Schule und um Schülerorientierung: "Der wesentliche Vorteil der Schuldruckerei besteht nicht, wie einige glauben könnten, in der Originalität der Handarbeit [...] Die wirklich folgenreiche Unterstützung, die unsere Technik der Pädagogik bietet, ist die Möglichkeit, unseren Unterricht zu modernisieren, indem wir in der Schule die Kommunikationsmittel zwischen Individuen benutzen, die uns die Zivilisation gegenwärtig zur Verfügung stellt." (Freinet 1963, S. 77)

Trotz dieser Tradition und der pädagogischen Legitimation findet aktive Medienarbeit bis heute jedoch nicht als Teil des Regelunterrichtes und integriert in fachdidaktische Konzepte, sondern in Arbeitsgemeinschaften, im Rahmen von Projekten, während eines Schullandaufenthaltes oder bei Klassenfahrten statt. Das Besinnen und Aufarbeiten auf die im engeren Sinne schulpädagogische Tradition aktiver Medienarbeit macht deswegen Sinn, weil man damit unmittelbarer Anschluß findet an pädagogische Leitideen und Konzepte wie "Öffnung von Schule und Unterricht" und "Erfahrungs- und Lebensweltbezug", die auch in der aktuellen Diskussion über Schulentwicklung eine Rolle spielen. Wie sich aus Beispielen aus der Unterrichtspraxis zeigen läßt, setzt aktive Medienarbeit fächerübergreifende Zusammenarbeit und offenere Formen der Unterrichtsorganisation voraus. ("Computer + Unterricht" Heft 29/1998) Da dies so ist, fristete aktive Medienarbeit in der herkömmlichen Schule eine Nischenexistenz. Damit ergeben sich aus der Diskussion um Schulentwicklung und veränderte Lernkultur neue Chancen für die aktive Medienarbeit - und bietet aktive Medienarbeit Chancen für die Schulentwicklung.

Chancen aktiver Medienarbeit im Zeichen von Multimedia

Die Arbeit an Multimediapräsentationen macht bisherige Formen der aktiven Medienarbeit nicht überflüssig, sondern führt ganz offensichtlich - wie es Multicodalität und Multimodalität als Bestimmungsmerkmale von Multimedia nahe legen - zu einer Integration unterschiedlichster Medien und Medienaktivitäten. Ob Videos, Fotografien, Zeichnungen, Sprache, Töne oder Musik alles kann in multimediale Präsentationen integriert werden. Alles kann überarbeitet und mit einander kombiniert werden. Mit Hilfe von (digitaler oder analoger) Foto- und Videokamera, über einen Scanner, durch Sound-, Grafik- und Videokarte sowie der entsprechenden Software lassen sich die vielfältigsten Informationsarten integrieren und verarbeiten.

Die Produktion einer CD-ROM umfaßt die gesamte Medienpalette und bietet für Gruppen eine multimediale Plattform: "auf der sie sich mit ihren Möglichkeiten kreativ ausdrücken kann: in Photos, Gedichten, Videoclips, Interviews, Bildergeschichten, Animationen, Samples, Collagen, Comis usw. Was haben wir damit? Ein echtes Multi-Medium, in dem bei geschickter Verwendung jeder Mitproduzent in der Gruppe seinen Platz findet:

Ästheten wie Techniker, Tüftler wie Spontis, Poeten wie Ingenieure. Ein Produkt, das ohne Team und Kooperation nicht auskommt und das nur in der Vielfalt wirkt." (Findeiß 1997, S. 295) Die bisherigen Formen aktiver Medienarbeit waren vergleichsweise reduziert in ihrer Ausdrucksmöglichkeiten, hatten einen vergleichsweisen geringer Aufforderungscharakter sich der multimedialen Möglichkeiten bzw. der medialen Vielfalt zu bedienen.

Deutlich wird dies bereits bei der Verwendung von Text und Bildern. In der Literatur über Videoarbeit finden sich zwar viele Anleitungen zur Kameraarbeit und Bildbearbeitung, jedoch so gut wie keine Hinweise auf das Zusammenspiel von Bild und Sprache/Kommentar.

Bei Multimediaproduktionen stellt sich dies offensichtlich anders dar. Das Zusammenspiel von Text und Bild bzw. gesprochener Sprache spielt eine viele größere Rolle. Dies ist medienpädagogisch einerseits interessant, da die heftig diskutierten elektronischen "Bilderfluten" selten ohne die ensprechenden Ton-, Musik- Text- und Sprachfluten auftreten. Andererseits zwingt die Verdichtung bzw. Verteilung sprachlicher Aussagen auf das multimediale Grundformat der Bildschirmseite nicht nur zu intensiver Arbeit an Texten, sondern vermittelt auch Einsichten in die Wechselwirkung von Informationsgehalt und Textsorte.

Multimedia - eine Chance für die Medienvielfalt

Je mehr der Computer tatsächlich zum Universalmedium wird, desto einfacher wird es, unterschiedliche Informationsarten zu integrieren. Unter pragmatischen Gesichtspunkten läßt die Arbeit an einem Multimediaprodukt daher die Einbeziehung unterschiedlicher Fächer, aber auch sehr unterschiedlicher Ansätze zu. Inszenierungen und Rollenspiele finden per Videoaufzeichnung und Digitalisierung genauso ihren Platz wie die Arbeit am Text, die Recherche per Interview oder die Suche nach Dokumenten und Bildern in einem Archiv. Diese "integrierende Funktion" der Arbeit an einer Multimediapräsentation sollte nicht unterschätzt werden. Dadurch bietet sich innerhalb einer Schule für Mitglieder des Kollegiums die Möglichkeit, auf der Basis ihrer traditionellen Fachkompetenzen und Neigungen mitzuarbeiten. Als Zuarbeiter, die die inhaltlichen Voraussetzungen für das Multimediaprodukt schaffen, müssen sich nicht zwangsläufig auf den technischen Produktionsprozeß einlassen - und haben doch die Chance, sich legitimerweise mit dem Endprodukt und dessen Erfolg zu identifizieren. Auch innerhalb der Schülergruppe kann das arbeitsteilige und gleichberechtigte Einbringen unterschiedlicher Kompetenzen eine integrierende Wirkung haben.

Multimedia und Hypertextstruktur

Die Hypertextstruktur von Multimediaprodukten mit der Auflösung linearer Strukturen und der "beliebigen" Verknüpfbarkeit von einzelnen Informationseinheiten, ermöglicht - nach entsprechender Planung und Absprache - in viel stärkerem Maße ein arbeitsteiliges Vorgehen als dies z.B. bei einem Videofilm der Fall ist. Hierin liegt ein nicht zu unterschätzender unterrichtspraktischer Vorteil. "Drehbuchschreiben" für einen Hypertext erfordert Methoden wie sie vom Mindmapping bekannt sind. Begriffe und Aspekte, die ein Thema erschließen, werden grafisch so zueinander in Verbindung gesetzt, dass das Netz der Verknüpfungen, Übergänge und Bezüge grafisch dargestellt wird. (Vgl. Frank 1997) Auch hier ergibt sich ein unmittelbarer Bezug zu den Prinzipien der im Rahmen von Schulentwicklung geforderten neuen Lernkultur:

"Speziell diese Phase des Unterrichts habe ich als aktiv konstruierendes und handlungsorientiertes Lernen erlebt. Die Schülerinnen und Schüler hatten sich neue Methoden der Wissens- und Erkenntnisgewinnung angeeignet, sie dachten in Zusammenhängen und gestalteten ihre eigene Lerntätigkeit durch assoziative Konstruktion von Wissen." (Berg 1997, S. 34)

Die Arbeit an Multimediaprodukten ist im Vergleich zu anderen Medienprodukten strukturell bedeutend offener. Dies betrifft, wie eben angesprochen, die zeitgleiche Arbeit, aber auch das Weiterarbeiten und spätere Wiederaufgreifen der Arbeit. Praxisberichte zeigen, dass sich diese Arbeitsteilung vor allem auf die inhaltliche Bearbeitung der einzelnen Themenfelder erstreckt: Die Umsetzung der inhaltlichen Vorarbeiten in die Multimediapräsentation erfolgt offensichtlich - ebenso wie der Schnitt eines Videofilms - von einigen wenigen Spezialisten.

Medienkompetenz und die Entwicklung von Qualitätsstandards

Wenn für Multimedia gilt "Anything goes", eröffnet dies Freiräume, kann aber ohne entsprechende Medienkompetenz zur Beliebigkeit verführen. Solange nur Printmedien, Fotografie, Videofilm, Tonaufzeichnungen, Wandzeitungen oder Schultheater zur Verfügung standen, mußte man sich von Fall zu Fall entscheiden. Jetzt ist alles kombinierbar: Um so wichtiger wird die Fähigkeit, die "produktive Differenz" zwischen Medien zu erkennen und zu nutzen.

Aktive Medienarbeit befördert nur dann Medienkompetenz, wenn an die Multimediapräsentation oder die Videocollage und Wandzeitung, ebenso selbstverständlich qualitative Ansprüche formuliert werden wie z.B: an eine Inhaltsangabe oder den mündlichen Vortrag eines Gedichts und das Medienprodukt an den Anforderungen des Kommunikationsprozesses und den Möglichkeiten des Mediums gemessen werden. Die spezifische Qualität aktiver Medienarbeit entfaltet sich , wenn der Produktionsprozeß durch die Veröffentlichung des Medienprodukts abgeschlossen wird. Erst durch die Veröffentlichung erhält die Arbeit am Produkt Ernstcharakter, erst über die Reaktion der Adressaten erhält man Distanz zur eigenen Arbeit und erschließen sich Einsichten über Angemessenheit der gewählten Vermittlungsform.

Über CD-ROM und Internet ergeben sich im Vergleich zur Fotoausstellung oder auch zum Videofilm vielfältigere Formen der öffentlichen Präsentation und lassen sich die Arbeiten in unterschiedliche mediale Produkte einbinden und umsetzen.

Aktive Medienarbeit und neue Lernkultur

Aktive Medienarbeit gilt schon lange als der "Königsweg der Medienpädagogik". Die Unzufriedenheit mit der ausschließlich sprachlich-analytischen und zumeist lehrerzentrierten Kritik an den Massenmedien war ein entscheidender Anstoß für das pädagogische Interesse an aktiver Medienarbeit.

In der Medienpädagogik wurde die aktive Medienarbeit früher unter anderem damit begründet, daß es darum gehe, den Produktcharakter von Medien aufzudecken. Heute würde man anstatt "produzieren" und Produkt" die Begriffe "konstruieren" und Konstrukt" verwenden. Die (medien)pädagogische Begründung für "Aktive Medienarbeit" reduziert sich jedoch nicht auf den Beitrag zur Medienanalyse und Medienkritik und sollte auch nicht darauf reduziert werden:

  • Aktive Medienarbeit als der produzierende und gestaltende Umgang mit Medien kommt in besonderer Weise den Forderungen nach einem Lernarrangement entgegen, durch das die Aktivität der Lernenden gefördert und strukturiert wird.
  • Die Kompetenz, sich über Medien zu artikulieren, ist eine wichtige Voraussetzung zur aktiven Beteiligung am gesellschaftlichen Willensbildungsprozeß (Herstellen von Öffentlichkeit für bestimmte Fragen und Probleme, Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit).
  • Der aktive Umgang mit Medien eröffnet Ausdrucksmöglichkeiten, die der individuellen und ästhetischen Selbstverwirklichung dienen (ästhetisch-kulturelle Praxis).
  • Aktive Medienarbeit intensiviert durch die Recherche vor Ort und die Bearbeitung der "Medienprotokolle" die Auseinandersetzung mit der Umwelt.
  • Die gemeinsame Arbeit an einem Medienprodukt bietet sich auch als inhaltlicher und formaler Rahmen für Bearbeitung von Gruppen-, Lebens-, Alltagssituationen an (sozialpädagogische Intervention).
  • Aktive Medienarbeit stellt eine besondere Form des projektorientierten bzw. produkt- und handlungsorientierten Lernens dar.

In konkreten Projekten werden diese Ansätze und Begründungsebenen vermischt auftreten, aus ihrer jeweiligen Gewichtung ergeben sich jedoch spezifische Akzentuierungen der Arbeit und besondere Anforderungen an die koordinierende Lehrkraft bzw. fächerübergreifende Zusammenarbeit. Gemeinsam ist diesen verschiedenen Ansätzen jedoch, daß sie zu einer neuen Lernkultur passen, in der schüleraktiverienden und auf Kooperation angelegten Methoden ein hoher Stellenwert zukommt. Bei den bisherigen Ansätzen aktiver Medienarbeit läßt sich eine bestimmte Nähe zu fachdidaktischen Ansätzen feststellen, z.B. zwischen Modellen der "aktiven Videoarbeit" und Ansätzen einer handlungsorientierten Literaturdidaktik oder dem Interesse an "Oral history" bzw. an Lokalgeschichte.

Für die aktive Medienarbeit im Zeichen von Multimedia ergeben sich neue "Schnittstellen": So eröffnen die vielfältigen Informationsarten (Text, Grafiken, Illustrationen aller Art) und die hypermediale Verknüpfung von Bildschirmseiten andere Möglichkeiten als ein Videofilm, eine Tonkassette oder eine Ausstellung/Wandzeitung. Nicht zufällig bieten sich daher Multimediaproduktionen offensichtlich für die Aufarbeitung historischer und ökologischer Themen an bzw. fördern eine multiperspektivische Auseinandersetzung mit einer Thematik.

Lernen - insbesondere wenn es um das Aushandeln von Bedeutung geht - ist an soziale Interaktion gebunden. Damit ergibt sich die Forderung, Medien nicht in erster Linie zur Informationsvermittlung einzusetzen, sondern in kooperative Lernformen einzubinden, sie als Kommunikationsangebote und -anlässe einzusetzen. Dies ist auch eine originär medienpädagogische Forderung: Mediale Botschafen sind ebenso wie ihre Rezeption das Ergebnis von Selektions- und Konstruktionsprozessen. Die Selektions- und Konstruktionsprinzipien der medialen Botschaften und der eigenen Medienrezeption lassen sich jedoch nur über dialogische Verfahren aufdecken und bearbeiten.

Dieses Sinnaushandeln setzt dialogische Prozesse voraus wie sie sich in der gemeinsamen Arbeit an einem Medienprodukt ergeben. Aktive Medienarbeit ist verbunden mit einem "Prozeß des Sinnaushandelns", in dem die eigene Perspektive und die Perspektive des Kommunikats bewußt gemacht und verglichen werden müssen.

Medienkompetenz als qualifikatorische Grundanforderung

Wenn Medienkompetenz zur qualifikatorischen Grundanforderung sowohl für die Teilhabe am Arbeitsmarkt als auch für das lebenslange Lernen wird. ergibt sich dadurch eine entscheidende Ausweitung der bisherigen Diskussion über Medienpädagogik. Medienpädagogik hatte bisher vor allem die Mediennutzung im Freizeit- und Unterhaltungsbereich sowie die Rolle der Massenmedien im Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung im Blick. Diese Aufgabe von Medienpädagogik, einen Beitrag zur selbstbestimmten, kritischen und kreativen Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben zu leisten, bleibt bestehen.

In der Informationsgesellschaft erweitert sich jedoch der Aufgabenbereich der Medienpädagogik und das Selbstverständnis der Medienpädagogik muß sich dementsprechend verändern: "Zur medialen Ausbildung gehört insbesondere auch die Vorbereitung auf den medialen Umgang in verschiedenen Rollen: in der Rolle als Partizipierender an der Informationsgesellschaft (in Belangen der Ausbildung und beruflichen Tätigkeit), in der Rolle als Konsument in der Freizeitgesellschaft und insbesondere auch in der Rolle als Bürgerin/Bürger in der Demokratie." (Doelker 1998, S.66) Da der Begriff Multimedia genauer betrachtet für Multicodalität und Multimodalität steht, steht er auch für eine zunehmende Komplexität medialer Botschaften. Damit wird die Fähigkeit zur Decodierung komplexer medialer Botschaften zu einer Schlüsselqualifikation. Hier handelt es sich nicht nur um den in unserer "Schriftkultur" zu konstatierenden Nachholbedarf an einer "visueller Alphabetisierung", sondern im besonderen Maße um die Fähigkeit, das Zusammenspiel von Sprache, Bildern und Ton zu entschlüsseln.

Freinet hat - wie bereits angesprochen - von der Arbeit mit der Schuldruckerei gesagt, das pädagogisch Wichtige sei nicht der handwerkliche Umgang mit dem Setzkasten, sondern die Tatsache, daß die Schüler Kommunikationsmittel der Gesellschaft benutzen, in der sie aufwachsen. In Anlehnung und Weiterführung dieses Ansatzes müssen die Kinder und Jugendlichen heute im handelnden Umgang mit den Medien unserer Zeit, die Chance erhalten, Erkenntnisse und Einsichten über die Leistungsfähigkeit - und Grenzen - von Medien zu erwerben. Noch nie war der Wechsel vom Rezipienten zum Produzenten so einfach, heißt es im Blick auf Internet und Multimedia. Diese gesellschaftlich wichtige Fähigkeit zum Rollenwechsel muß jedoch gelernt und trainiert werden.

Unter pragmatischen Gesichtspunkten lässt die aktive Medienarbeit die Einbeziehung unterschiedlicher Fächer, aber auch sehr unterschiedlicher Ansätze zu. Inszenierungen und Rollenspiele finden genauso ihren Platz wie die Arbeit am Text, die Recherche per Interview oder die Suche nach Dokumenten und Bildern in einem Archiv.

Diese "integrierende Funktion" der aktiven Arbeit an einer Produktion sollte nicht unterschätzt werden. Dadurch bietet sich innerhalb einer Schule für Mitglieder des Kollegiums die Möglichkeit, auf der Basis ihrer traditionellen Fachkompetenzen und Neigungen mitzuarbeiten. Als Zuarbeiter, die die inhaltlichen Voraussetzungen für das Produkt schaffen, müssen sie sich nicht zwangsläufig auf den technischen Produktionsprozess einlassen - und haben doch die Chance, sich legitimerweise mit dem Endprodukt und dessen Erfolg zu identifizieren.

Auch innerhalb der Schülergruppe kann das arbeitsteilige und gleichberechtigte Einbringen unterschiedlicher Kompetenzen eine integrierende Wirkung haben.

Aktive Medienarbeit und Öffnung von Schule

Seit der Gründung von Offenen Kanälen wird den Schulen in diesen Regionen die Möglichkeit geboten, ihre Arbeit in der lokalen Öffentlichkeit zu präsentieren und den OK für die Entwicklung von Medienkompetenz im beschriebenen Sinne zu nutzen. Pädagoginnen und Pädagogen sind also aufgefordert, sich die kreativen Potenziale, die in dieser Form der Medienarbeit liegen, zu erschließen und produktiv zu nutzen. Dies würde zugleich zu einer Optimierung des Schulklimas beitragen. Schulradio und -fernsehen könnten beispielsweise Kooperationen mit Offenen Kanälen und dem NKL eingehen, schulische Medienwerkstätten mit praktischer Foto-, Film- und Videoarbeit könnten das technische Equipment und die fachliche Betreuung der Offenen Kanäle nutzen. Über diese Nutzung hinaus bieten Offene Kanäle und NKLs die Möglichkeit, die medialen Produkte einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren - also einer realen Rezeptionssituation auszusetzen. Erst hierdurch wird die spezifische Qualität aktiver Medienarbeit voll entfaltet und durch die Präsentation schulischer Fernseh- und Radiobeiträge eine Öffnung von Schule erreicht.

Literatur:

  • Baacke, Dieter: Kommunikation und Kompetenz: Grundlegung einer Didaktik der Kommunikation und ihrer Medien, München, 1973
  • Berg, Günter : Hypermedien und Geschichtsunterricht. Ein Annäherungsversuch, in: Computer und Unterricht 28/1997
  • Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 12, 19., völlig neubearbeitete Auflage, Mannheim 1990, S. 591
  • "Computer + Unterricht": Themenheft "Aktive Medienarbeit" Heft 29/1998
  • Doelker, Christian: Internet oder das allmähliche Verschwinden der Schule, in: Journal für Schulentwicklung, Heft 1/1998, S.63 - 68
  • Findeiß, Frank : Die CD-ROM ist tot - lang lebe die CD-ROM! Multimedia in der pädagogischen Gruppenarbeit - Möglichkeiten und Grenzen, in: Wolfgang Zacharias (Hrsg.): Interaktiv - Im Labyrinth der Möglichkeiten. Die Multimedia-Herausforderung, kulturpädagogisch, Remscheid 1997
  • Frank, Andrea : Clustering und Mindmapping, in: Lernbox - Tipps und Anregungen für Schülerinnen und Schüler zum Selbstlernen, Velber 1997
  • Freinet, Elise: Naissance d'une pédagogie populaire, Cannes 1963
  • Friedrich-Ebert-Stiftung: Bausteine eines Masterplanes für Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft, (Vorabausdruck oO. u. o.J.)
  • Mandl, Heinz/Reinmann-Rothmeier, Gabi u. Gräsel, Cornelia: Gutachten zur Vorbereitung des Programms "Systematische Einbeziehung von Medien, Informations- und Kommunikationstechnologien in Lehr- und Lernprozesse" - Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung, hrsg. von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, Heft 66, Bonn 1998
  • Wagner, Wolf-Rüdiger: Ein umfassendes Medienverständnis. Voraussetzungen für die Integration von Medienerziehung und informationstechnischer Bildung, in: LOG IN Heft 3/1996, S. 10 - 14

Mit freundlicher Genehmigung des Autors
Eine gekürzte Fassung dieses Artikels ist erschienen in: Materialsammlung Offener Kanal und Schule, Heft 1, Fernsehen zum Selbermachen - OK und Schule, Hildesheim 1999, S.11 - 17