Sonja Ganguin, Jugendarbeit heute - Eine Bestandsaufnahme (2011)

Das Internet ist heute ein soziokultureller Ort für Jugendliche – nicht nur ein Medium, sondern ein virtueller Lebensraum, der Teilhabe an der Kultur ermöglicht. Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Mediennutzung junger Menschen für eine zeitgemäße Jugendarbeit?

Jugendarbeit als eigenständiges Erziehungsfeld und als dritte Sozialisationsinstanz neben dem Elternhaus und den Institutionen des schulischen und beruflichen Bildungswesens (vgl. Stork 1995: 44) ist nach § 11 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) heute Teil der Kinder- und Jugendhilfe. Dort ist das Recht von Kindern und Jugendlichen auf Erziehung verankert, und diese ist auf das Ziel verpflichtet, die persönliche und soziale Entwicklung Heranwachsender zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern. An die Interessen und Bedürfnisse der jungen Menschen anknüpfend gilt es, ihnen Lernfelder zu eröffnen, damit diese lernen, selbstbestimmt politische und gesellschaftliche Prozesse mitzugestalten (§ 11 KJHG).

Die zur Verfügung zu stellenden Angebote der Jugendarbeit sollen sich dabei explizit an alle jungen Menschen richten, also im Unterschied zu anderen Feldern der Jugendhilfe nicht problemgruppenorientiert strukturiert sein (Seckinger et al. 1998: 110). Öffentliche und freie Träger nehmen die Aufgaben der Jugendarbeit wahr, wobei hier hinsichtlich Trägern, Inhalten, Arbeitsformen und Methoden eine große Vielfalt vorzufinden ist. Da die Teilnahme an den Angeboten der Jugendarbeit freiwillig ist und in der Freizeit von Heranwachsenden stattfindet, gilt es, Erfahrungs- und Lernfelder zu bieten, für die sich junge Menschen begeistern (lassen). Allerdings wird seit einigen Jahren kritisiert, dass die Jugendarbeit aufgrund konkurrierender Freizeitveranstalter an Attraktivität verliert. "Mit den fulminanten Highlights des Kommerzes kann Jugendarbeit ohnehin nicht mehr konkurrieren" (Kübler 1998: 12).

Eine weitere Ursache für das (scheinbar) sinkende Interesse Jugendlicher an Angeboten der Jugendarbeit sieht Bauer darin, dass der Alltag Heranwachsender neben der Schule häufig sehr verplant ist, Jugendliche "ein gewaltiges Pensum an ganz unterschiedlichen Terminen zu bewältigen haben" (Bauer 1991: 78) und daher keinen weiteren Verpflichtungen mehr nachgehen wollen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den heutigen Bedürfnissen und Interessen Jugendlicher. Welche Themen sind es, die Jugendliche bewegen und welche Orte des selbstbestimmten Austausches sind ihnen daher in einer sich wandelnden Gesellschaft bereitzustellen, um ihnen Partizipation und die Bewältigung von Entwicklungsaufgaben zu ermöglichen?

Freizeitaktivitäten Jugendlicher – Digitale Medien als Sozialraum

Da Jugendarbeit den Anspruch erhebt, sich an der Lebenswelt- und Alltagsorientierung junger Menschen zu verorten, ist es sinnvoll, bei den Freizeitinteressen von Kindern und Jugendlichen anzusetzen. Betrachtet man die wichtigsten Freizeitaktivitäten Jugendlicher (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2010: 9ff.), dann zeigt sich, dass deren Alltag stark durch Medienkonsum dominiert wird.

Bei einem quantitativen Vergleich zwischen medialen und non-medialen Freizeitaktivitäten belegen Handy-, Internet- und Fernsehnutzung die obersten drei Plätze, gefolgt von Treffen mit Freunden. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich diese Aktivitäten in den sozialen Situationen gegenseitig durchdringen. So spielt etwa bei dem Zusammensein mit Freunden das Handy eine bedeutsame Rolle, indem es auch als Kommunikationsmedium dient, um sich zu verabreden, auszutauschen etc. Gleiches gilt heute für das Internet, das nahezu vollständig, und zwar zu 98 %, in den bundesdeutschen Haushalten vorhanden ist, in denen Jugendliche leben; die Voraussetzung des sozialpädagogischen Ziels von Chancengleichheit im Netz ist demzufolge formal gegeben. So ist dessen Nutzung auch in den letzten sieben Jahren erheblich angestiegen, von 49 % (2004) auf 90 % (2010). Dabei nutzt der bundesdeutsche Jugendliche nach Selbsteinschätzung das Internet im Durchschnitt über zwei Stunden täglich. Dabei bestimmten vor allem Interaktion, Kommunikation und Kooperation die Netzwelt Jugendlicher.

Über Social-Media-Angebote wie StudiVZ, Facebook, YouTube und Blogs vergewissert man sich seiner Zugehörigkeit, präsentiert sich seinen Freunden, schreibt sich Nachrichten, teilt Videos, Musik und Bilder und stupst sich virtuell an, um zu verdeutlichen: "Ich habe gerade an Dich gedacht". So nutzen laut Shell-Studie 2010 24 % der Jugendlichen täglich soziale Netzwerke (vgl. Jugendwerk der Deutschen Shell AG 2010: 103). Hierbei findet zudem eine immer stärkere Verknüpfung zwischen Spielen und sozialen Netzwerken statt: Die sogenannten Social-Games gewinnen zunehmend an Bedeutung.

Jugendmedienarbeit bedarf nachhaltiger Strukturen

Das Internet ist heute ein soziokultureller Ort für junge Menschen – nicht nur ein Medium, sondern ein virtueller Lebensraum, der Teilhabe an der Kultur ermöglicht. Doch die Selbstverständlichkeit des Sich-im-Netz-Bewegens der so genannten Digital Natives, deren Bedienungskompetenz häufig die des Jugendarbeiters bei Weitem übertrifft, bedarf auch eines kritischen Blicks. Neben den Chancen der boomenden Web 2.0-Angebote wie der Selbstpräsentation, dem Spielen mit der eigenen Identität, neuartigen Kontaktaufnahmen und der Kommunikation mit anderen Nutzerinnen und Nutzern gehen auch Risiken einher, die etwa mit den Fragen nach der informationellen Selbstbestimmung, des Datenschutzes und der Privatsphäre verbunden sind.

Diese Probleme zeigen sich beispielsweise dann, wenn bei Online-Diensten den Nutzerinnen und Nutzern nicht das Recht zugesprochen wird, Informationen über sich zu löschen, wenn persönliche Informationen ausgespäht werden oder wenn ein unsensibler, unreflektierter Umgang mit den persönlichen Daten erfolgt – etwa durch Veröffentlichung individueller Vorlieben, der Telefonnummer oder den Missbrauch des Internets, um andere junge Menschen zu belästigen und zu nötigen, wie es beim Cyberbullying und -mobbing der Fall ist (vgl. Ganguin 2010: 97f.). So sind Nutzen und selbstbestimmtes, kritisches Handeln nicht gleichzusetzen. Jugendliche bedürfen mehr und mehr der Förderung eines medienkompetenten Umgangs: "Es gilt, die Neugier von Kindern und Jugendlichen auf Kommunikation unbekannter Art derart freizusetzen, dass sie autonom, zugleich sozial verantwortlich in eine Weltgesellschaft hineinwachsen" (Baacke 1997: 34). In diesem Sinn ist es auch das Anliegen der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK), die mediale Beteiligung, die Kreativität und Kritikfähigkeit Jugendlicher zu fördern. Da Jugendarbeit sich an den gesellschaftlichen Veränderungen zu orientieren hat, muss auch eine verstärkte Jugendmedienarbeit stattfinden.

Obwohl von der Politik seit Jahren der Erwerb einer umfassenden Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen gefordert wird, um die Zukunft der Informationsgesellschaft mitzugestalten – wozu auch der Einsatz des Internets als Kommunikations- und Recherchemedium gehört – mangelt es zurzeit an der finanziellen Unterstützung, bildungspolitischen Umsetzungen und an nachhaltigen Strukturen. In diesem Sinn gilt es, wie es auch die Arbeitsgruppe "Digitale Jugendbildung" auf dem Kongress Keine Bildung ohne Medien! gefordert hat, den "Aufbau einer nachhaltigen (nicht nur auf eine Vielzahl begrenzter Einzelprojekte beschränkten) und systematischen digitalen Jugendbildung" zu fördern und "Medienbildung in der Ausbildung von Pädagoginnen und Pädagogen der Jugendarbeit" zu verankern (AG Digitale Jugendbildung 2011:2).

Literatur

  • AG Digitale Jugendbildung (2011): Ergebnisse der Arbeitsgruppe "Digitale Jugendbildung" vom Kongress Keine Bildung ohne Medien! am 24./25. März in Berlin. Abrufbar unter: http://www.keine-bildungohne-medien.de/ergebnisse-der-arbeitsgruppen [Stand:01.04.2010].
  • Baacke, D. (1997): Jugend und Internet. Ersetzen des Erziehungs-Paradigmas durch das Dialog-Paradigma. In: Baacke, D./ Schnatmeyer, D. (Hrsg.): Neue Medien - Neue Gesellschaft? Bielefeld, S. 26-36.
  • Bauer, W. (1991): Jugendhaus. Geschichte, Standort und Alltag offener Jugendarbeit. Weinheim: Beltz.
  • Ganguin, S. (2010): Browsergames. In: Ganguin, S./ Hoffmann, B. (Hrsg.): Digitale Spielkultur. München: kopaed, S. 93-104.
  • Jugendwerk der Deutschen Shell-AG (2010): Jugend 2010. 16. Shell-Jugendstudie. Frankfurt a.M.: Fischer.
  • Kübler, H.-D. (1998): Info online: von Jugendlichen noch nicht entdeckt? Informationsbedürfnisse Jugendlicher: Voraussetzungen zur Konzeption eines Jugendinformationszentrums. Sozial extra, 22 (6), 11-13.
  • Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (2010): JIM-Studie 2010: Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Stuttgart: MPFS. Abrufbar unter: http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-pdf10/JIM2010.pdf [Stand: 01.04.2010].
  • Seckinger, M./Weigel, N./van Santen, E. /Markert, A. (1998): Situation und Perspektiven der Jugendhilfe. Eine empirische Zwischenbilanz. München: DJI Verlag. Stork, R. (1995): Jugendhilfeplanung ohne Jugend? Chancen der Partizipation am Beispiel der Jugendarbeit. Münster: Votum.

Quelle

Dr. Sonja Ganguin,
Universität Paderborn, Lehrbereich Medienpädagogik und Empirische Medienforschung,
Mitglied im Bundesvorstand der GMK – Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur in der Bundesrepublik Deutschland e.V.

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Quelle: "Jugend online", Herausforderungen für eine digitale Jugendbildung, Projektdokumentation 2006-2011;
Die Dokumentation kann als PDF-Datei kostenfrei heruntergeladen werden.