Dieter Baacke, Projekte als Formen der Medienarbeit

1. Thesen

,Projekte' - für die pädagogische Welt ein Zauberwort. Aber nicht nur das. Teilweise wird auch abgewinkt: Das klappt sowieso nicht, jedenfalls nicht in der Schule.

An Projekte knüpfen sich große Hoffnungen: Wir erwarten, dass die zersplitterte, in Stundeneinheiten aufgeteilte, am zerfaserten Stoff orientierte Lernwelt wieder geschlossen und einheitlich wird, zurückgebracht in den Erfahrungsraum von Schülern und Schülerinnen wie auch von weiterlernenden Erwachsenen. Aber wir haben auch Befürchtungen: Projekte lassen sich, zumindest in der Schule, nicht realisieren, denn sie ,passen' nicht in den Stundenplan, berücksichtigen nicht die fachlichen und disziplinären ,Zuständigkeiten' verschiedener Lehrer; welche nicht so ohne weiteres dazu zu bringen sind, zusammenzuarbeiten.

Die Hoffnungen sind stärker als die Befürchtungen, denn der wichtigste Einwand: Projekte seien in der Schule unter den vorhandenen organisatorischen Bedingungen nicht zu realisieren, ließe sich mit der These aus der Welt räumen, dass Projekte in den außerschulischen Raum gehören, dorthin also, wo Freiwilligkeit, Gruppenorientierung, gemeinsam gestellte Aufgaben und ganzheitliche Lösungswege gefragt sind, die nicht in die Kästchenstruktur eines unterrichtsgebundenen Schul-Stundenplans zu binden sind. Tatsächlich ist dies die eine These: dass ,Projekte' am ehesten dort zu realisieren sind, wo genug Zeit und Raum zur Verfügung stehen. Dazu gehören Bildungsstätten, Häuser der Offenen Tür; auch freie Plätze und andere Areale, die leicht zu Orten projektorientierter Arbeit umzugestalten sind. Hinzu kommt ein weiteres: Gerade die Medien - von der Wandzeitung über ein Videoprojekt bis zum lnfobrett im Internet - sind nur teilweise in den Unterricht zu integrieren, etwa als Bestandteile informationstechnischer Grundbildung oder; neuerdings in einigen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen, auch in Form einer fächerübergreifenden Aufgabenstellung. Aber das Erlernen des Umgangs mit Medien geschieht meist in der Familie und setzt sich dann später im außerschulischen Raum, in der Gleichaltrigenkultur fort: Wer einen Computer hat, setzt sich mit Freunden daran; Computercamps stehen dazu ebenso zur Verfügung wie die Vorräume von Sparkassen und Banken, von Kaufhäusern und den Saturn-Paradiesen des totalen Medienchecks, und vieles bringen sich die Kinder und Jugendlichen ja auch selbst bei. Wir nennen dies mit einer relativ neugeborenen Vokabel Selbstsozialisation und meinen eben damit, dass gerade Medien nicht nur im Kontext geordneten und institutionalisierten Lernens zum Gegenstand der Erfahrung und des Nachdenkens werden, sondern im alltäglichen Gebrauch und Umgang immer schon gegenwärtig sind, so dass wir viele Wissenselemente en passant, durch den Umgang mit Freunden und Freundinnen, in der Familie, vielleicht auch in außerschulischen Bildungseinrichtungen zum medial zentrierten Begegnungskomplex werden lassen.

Pointieren wir diese Einsicht, lässt sie sich als zweite These formulieren: Medien sind Projekte, und in umgekehrter Reihenfolge gilt auch: Medien kommen allererst und in eigentlicher Form als Projekt zur realen Erscheinung.

Hinzu kommt eine weitere These: Tatsächlich erlauben Projekte in ihrer medienbezogenen Form es am ehesten, Lernzusammenhänge als ganzheitlichen Prozess von Produktion und Produkt, Reflexion und Reflexivität, Gestaltung und Präsentation zu erfahren.

2. Ausgangspunkt (1): Sich wandelnde Medienwelten

Kinder und Jugendliche wachsen in sich wandelnden Medienwelten auf. Was heißt dies? Zunächst war damit gemeint die Expansion der Programm-Medien, auch Massenmedien genannt. Neue Verteilkanäle wie Kabel, Satellit, terrestrische Frequenzen sowie die Organisation des Rundfunkangebots in ,öffentlich-rechtlich' und ,privat', dazu die Welt der Kinos und der Printmedien: Hier ging es um Szenarien, die dadurch bestimmt waren, dass ein ,massenhaftes Publikum einseitig durch Programme ,bedient wurde. Die neuen Informations- und Kommunikationstechniken haben dieses Szenario durch die Einführung des Computers, insbesondere aber auch durch dessen An- und Einbindung ins Internet und durch die formalen Ausdrucks- und Mitteilungsmöglichkeiten von Multimedia erheblich erweitert und zugleich grundlegend verändert. Denn die (in abgekürzter Redeweise) Neuen Medien sind nicht einseitig und wenden sich auch nicht an ein anonym-zerstreutes Publikum. Vielmehr besteht ihre besondere Eigenschaft gerade darin, daß sie durch Interaktivität gekennzeichnet sind, wie beispielsweise beim e-mailen, wo schnelle Botschaften zwischen Sender und Empfänger ausgetauscht werden können. Die Kommunikationsbahnen sind nicht mehr ein-, sondern gegenseitig, und sie sind zugleich vielfältig vernetzt: eine weitere Eigenschaft der ,Neuen Medien'. Und schließlich sind die Ausdrucksmöglichkeiten Von ,Multi-Media' derart verbunden, dass Sprache und Sprechen, Töne, Geräusche, Musik und Sounds, stehende und bewegte Bilder; Grafiken und Zeichnungen in Schwarz-Weiß-Manier oder vielfarbig eine multimediale Kombination von Ausdruckswelten ermöglichen, die in ihrer Gleichzeitigkeit bisher so nicht denkbar war. Bisher war vielmehr das Buch fürs Lesen da, das Radio (oder der Kassettenrecorder) fürs Zuhören, und der Fernsehapparat stand für die Welt der audiovisuellen Botschaften. Getrennt davon waren Photoausstellungen und die Darbietung von Bildern (beispielsweise) in Galerien oder Museen.

Hier ist ein sozialer Wandel festzustellen, der erheblich ist. Hinzu kommt, daß die ehemals getrennten Bereiche Telekommunikation, Massen-Medien und Informationstechnologien einander mit hoher Geschwindigkeit annähern. Über die Digitaltechnik lassen sich Fernsehbilder; Radiosendungen, Internetseiten und Telefongespräche in ein einheitliches Format zusammenführen und damit von den traditionellen Übertragungstechniken ablösen. Die Grenzen zwischen diesen Branchen verschwimmen immer mehr. Internet-Unternehmen machen ,,plötzlich den Medien Konkurrenz, indem sie Nachrichten und Unterhaltung anbieten, während Medienunternehmen wie Bertelsmann gleichzeitig auf den Internet- und Telefonmarkt drängen. Mit Fusionen und Kooperationen bereiten sich die Unternehmen auf den kommenden großen Multimedia-Markt vor; der Gewinner und Verlierer mit sich bringen wird." (FAZ Nr.38, 15.2.1999, S.28). Zu den Anbietern der Zukunft gehören vor allem die Computerunternehmen, die Telefongesellschaften und die Internet-Betreiber. Eher mit dem Rücken zur Wand stehen die Rundfunkanstalten, Filmindustrie und Fernsehsender; denn eindeutig geht das Surfen im Internet vor allem zu Lasten des Fernsehkonsums und der Fernsehrezeption.

Betrachten wir die Seite der Nachfrager, profitieren vor allem der Versandhandel, die Banken und Versicherungen sowie die Verlage: Ihnen eröffnen sich über das Internet neue, auch kostengünstige Vertriebskanäle. Der öffentliche Sektor hingegen, der Einzelhandel und der Verkehrsbereich erscheinen derzeit eher als Verlierer einer solchen Entwicklung. Beispielsweise will der Musiksender MTV die Musikstücke in Zukunft auch über das Internet vertreiben. Handel und Produktion wachsen zusammen. ,Netzzugang für jedermann', ,Im Fernsehsessel, vor dem Supermarktregal', ,Hier kauft die Maus - geschäftlich: Electronic Commerce im Business-to-Business-Sektor', ,Die Integration von Festnetz, Mobilfunk und Internet', ,Der professionelle Mobilfunk wird digital', ,Versorgung über Nacht: mit TK-Lösungen schneller reparieren', ,Kommunikation und Daten vollständig verknüpfen - Call-Center; die Integration von Fax und Internet steht an', ,Schneller ins Netz: Kabelanschluß und Internet' ,Das Ende der Datensuche: Projektmanagement über das lnternet': Das sind neue Stichworte in Debatten, für die wir vor wenigen Jahren nicht einmal die Begriffe kannten, geschweige denn die politischen, wirtschaftlichen, technischen und sozialen Zusammenhänge und Folgen.

Diese Medienwelten sind noch in der Entwicklung begriffen, Kinder und Jugendliche von heute wachsen von Geburt an in ihnen auf. Neue Lebensordnungen entstehen, altvertraute Trennungen vermischen sich. So müssen geschäftlicher und privater Bedarf technisch gar nicht mehr geschieden werden, denn die ,Datenautobahn' ist für alle da. Man muss nur den Führerschein erworben haben, um sich auf ihr bewegen zu können. Und dieser Führerschein wird bald, so geht die Vermutung, ebenso zur kulturellen Grundausstattung eines jeden modernen Menschen gehören, wie schon jetzt der Auto-Führerschein. Wir sprechen von ,Medienkompetenz' und meinen damit die Fähigkeit des Menschen, die neuen elektronischen Techniken in ihrer Breite und Reichweite produktiv und aktiv nutzen zu können. ,Verkehrstüchtigkeit' bezieht sich heute nicht nur auf den Raum, sondern auch auf die Welt der Symbole, der Zeit (Schnelligkeit) und der übergreifenden Zusammenhänge, in denen die Symbol-Übertragung oft weiter reicht und schneller geht als die ,Übertragung' von Körpern.

Die kommunikativen Dienste werden geschäftlich wie privat unbegrenzt sein: Außer durch Homeshopping, Telelearning über Pay-TV, Tele-Banking werden unsere individuellen Bedürfnisse durch Information on Demand, Video on Demand etc. gestillt, und CD-ROM und andere CD-Anwendungen werden ernstes Lernen wie pornographisches Vergnügen oder persönliche Beratungen und Beichten in gleicher Weise ermöglichen.

Die Multimedia-Technologie ist eine der Globalisierung (seit Tschernobyl wissen wir es: Es gibt kein noch so entferntes Thema, das uns nicht auch angeht) und der Individualisierung (sie schneidern für jedem das passende Informatinosgewand) zugleich. Längst ist es möglich, spezifische Nutzervorlieben gezielt zu erfassen und damit selektiv zu bedienen (vom Formatradio bis zu Special Canals im TV-Bereich). Diese Nutzervorlieben können dadurch, dass sie extensiv bedient werden, zugleich verstärkt und damit manipulierbar gemacht werden - der Weg von der Individualisierung führt also dann wieder, jedenfalls teilweise, zurück in die Standardisierung von Angeboten. Die privaten Wächter des Medienzugangs und die Anbieter von Medieninhalten werden also trotz aller Interaktivität wichtige Instanzen sein, die öffentlicher Kontrolle bedürfen. Zugleich wird der Kampf um die Verteilung knapper Finanzmittel und um kostengünstige Produktionswege eine Rolle spielen, so daß kulturelle Inhalte nicht mehr losgelöst betrachtet werden können von wirtschaftlichen Interessen, und diese wiederum steuern teilweise auch die technischen (Weiter-)Entwicklungen mit.

Damit stellt sich die Frage, inwieweit die ,Neuen Medien' nach der grundlegenden Entfaltung der lnformations- und Kommunikationstechniken von uns, den Nutzern - und insbesondere den künftigen Nutzern, den Kindern und Jugendlichen also -, bewusst erfahren und verarbeitet werden oder nicht. Die Veralltäglichungen der Kommunikatinoskultur sind die eigentlichen Träger auch der sogenannten Soziokultur von heute. Ihre bisherige Nutzung ist immer eine spezifische Form parasozialer Beziehungen gewesen, die nicht als Besonderes abgesetzt und erlebt wurde. Ein Beispiel dafür sind die TV-Serien, die Soaps, die Videoclips und die Welt der rituellen Wiederholungen. Ihre stete Wiederkehr und dauernde Fortsetzung schaffen Verlässlichkeit, abgesicherte Erwartungen. Sie routinisieren sozusagen den kommunikativen Erlebniskontext des Alltags, so dass sie nicht als besondere Ereignisse erfahren werden, sondern als stabilisierte und damit stabilisierende Bestandteile des (mehr oder weniger alltäglichen) Lebens. Gerade darum haben Medien erhebliche Bedeutung für Kinder und Jugendliche. Über sie werden Idole produziert, emotional nahe gebracht und für den eigenen Identitätsaufbau zur Verfügung gestellt. Aber dieser Identitätsaufbau erfolgt heute auch über das Lernen von Techniken und anspruchsvollen Inhalten (von der Computerbedienung bis zur entsprechenden Anwendung etwa berufsbezogener Software), so dass neben die Welt der kommunikativen Lust eine der Pflicht und des Anspruchs steht. Medienwelten sind heute derart komplex und anspruchsvoll, dass wir den Blickwinkel der technologisch orientierten Informationsverarbeitung und lnformationserweiterung weiter fassen müssen: in Hinsicht auf die Frage, wie denn die umgreifenden ,Lebenswelten' aussehen werden, in die Kinder und Jugendliche heute hineinwachsen. Stellen wir uns diese Frage, so wird zuletzt auch deutlicher; welchen Stellenwert Projekte haben.

3. Ausgangspunkt (2): Sich wandelnde Lebenswelten

Ist der Zusammenhang von Projekt und Medien zentral, sollten wir auch kurz rekapitulieren, wie sich die Rezipienten-Rolle, die Rolle der Adressaten, also derer; für die der ganze Lernaufwand betrieben wird, geändert hat. Der Soziale Wandel nämlich, wie er über Medien getragen und beschleunigt wird, beeinflusst zum Teil ostentativ, zum Teil aber auch eher schleichend und allmählich die Figuration ,Kindheit und ,Jugend'. Wir sind es bis in unsere Moderne gewohnt, diesen Zeitraum des ,Heranwachsens' zu erleben als einen geschützten Ort des Aufwachsens, der doch genügend Spielräume offenhält, Expeditionen und Abenteuer verspricht, um auf diese Weise Kinder einerseits zu schützen, ihnen andererseits aber auch die Erfahrung von Selbständigkeit und Selbstverantwortung so früh und so weitgehend wie möglich zu vermitteln. Neben eine schützende und zugleich offene Raumstruktur trat bisher eine für Kinder und Jugendliche anders als für Erwachsene gestaltete Zeit. ,Zeiträume für Kinder und Jugendliche zeichneten sich bislang vor allem dadurch aus, dass sie ein ,psychosoziales Moratoriom' (so der Neopsychoanalytiker Erikson) darstellten, das noch außerhalb der Zwänge von Terminkalendern, Regelpflichten und ernsthaften Verantwortungen lag. Der Ausdruck ,Frei-Zeit' meint bis heute genau dies: dass die freie Verfügung über Zeitquanten ein wichtiges Element der Erholung, Besinnung, ldentitätsstabilisierung, also eines umfassenden Lernprozesses darstellt. Schon die Abspaltung der ,Frei-Zeit' von der durchregelten ,Arbeits-Zeit', erweitert zur ,Alltags-Zeit' täglicher Routinen, verrät deutlich, dass die Moderne die Formen des Zeitverbringens im Laufe der Jahrzehnte immer strikter voneinander abzugrenzen und zu reglementieren versucht.

Gerade Medien vermitteln diese Erfahrung sehr früh und in verschärftem Maße. Die Beschleunigung der Lebensrhythmen, die Geschwindigkeiten auf Straßen und Schienen, in der Luft und insgesamt in der wachsenden Verkehrsmenge finden ihre Entsprechung zunehmend in einer zunehmenden Kommunikationsdichte' in immer schnelleren Zeichenübertragungen von Netz zu Netz. Die Verkürzung der Arbeitszeiten geht paradoxerweise einher mit gleichzeitiger Zeitnot und Hektik, sogar im Freizeitbereich. Auch Kinder und Jugendliche leben inzwischen in kalendermäßig erfassten Zeitbudgets, die sie regeln und mit verschiedenen Aufgaben füllen sollen. Schon Kinder müssen sehr früh ,die Uhr lernen', sie haben Terminkalender; koordinieren ihre Verabredungen, stehen in ihren Ferien unter Reisezwang und an den Wochenenden unter dem Druck, Besonderes und Erzählbares erleben zu müssen. Die schnelle Überwindung großer Entfernungen lehrt zunehmend, Panoramen und flüchtige Bilder zu sehen, und dem entspricht das ,Zappen' durch die Fernsehprogramme, die in ihrer reichen Vielfalt und Schnelligkeit (Videoclips) Bewegungen des Körpers, Reizungen des Sehsinns, des Hörsinns zu neuen Formen von Aufmerksamkeit stimulierender Konzentration verdichtet (Baacke 1996, S.7 f.).

Das Stichwort der ,Datenautobahn' subsumiert unsere Kommunikationsformen zukünftig unter die Regeln des Verkehrs, dessen Haupteigenschaften zunehmend darin bestehen, Zeit- und Raumdistanzen gegen Null zu minimieren und auf globalisierenden Kommunikationswelten aufzubauen, die die alten Formen der Erfahrung, eines allmählichen Eindringens in die Wirklichkeit, schon für Kinder radikal verändern. Gleichzeitig werden Kinder und Jugendliche aber aus den öffentlichen Räumen verdrängt. ,Globalisierung der Kommunikation bedeutet also keineswegs, dass der öffentliche Raum für alle in gleicher Weise zur Verfügung steht. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sprechen von einer ,Verinselung' des Lebensraums. Damit ist gemeint, daß der öffentliche Raum außerhalb des Hauses vor allem dem Verkehr und dem Durchqueren dient, aber nicht dem Aufenthalt, der Gesellung, der Kommunikation in unmittelbaren, erlebbaren Nachbarschaften. Auf der ,Straße dürfen Kinder nicht sein, und wenn wir später Jugendliche dort finden, dann meist als Gangs, als ,Straßenjungs oder; noch diskriminierender; als ,Straßenmädchen', also in gefährdeten sozialen Lagen. Die Privatisierung des Kindseins und die damit einhergehende Familialisierung machen Kinder zu Opfern von Domestizierungen. Auch diese sind freilich von besonderer Art: Nicht nur die Gameboy-Konsole, auch der Kassettenrecorder; das Fernsehgerät und der Computer; die CD-Plattensammlung, dazu Merchandising-Produkte wie T-Shirts und Spielzeug und schließlich die Poster mit den derzeitigen Pop-Idolen durchdringen die häusliche Abgeschiedenheit, machen gerade den privatesten Raum des Rückzugs im Kinderzimmer gleichzeitig zu einer öffentlichen Insel symbolischer Botschaften, die aus der ganzen Welt grundsätzlich in die geschlossenen Räume dringen und sie auf diese Weise entstrukturieren. Zwar findet also eine zunehmende ,Verhäuslichung von Kindheit statt, weil die ,Straße' zu gefährlich ist; diese ,Verhäuslichung' ist aber nicht als Bollwerk der Stille, der Zurückgezogenheit und der Exklusivität zu interpretieren. Im Gegenteil: Gerade ,Zuhause' sind über Zeichen und Programm-Disseminationen die Aufmerksamkeitsräume besetzt.

Um beim Stichwort zu bleiben, befinden sich Kinder und Jugendliche heute ständig und unabhängig davon, wo sie sich gerade aufhalten, auf dem Highway
- der Information und der wirtschaftsorientierten Durchsetzungsfähigkeit (Computer und Internet als berufliche Leistungszentren),
- der Unterhaltung und der spaßorientierten Telekultur und schließlich
- des Lernens, der Reflexion und des (möglichen) Nachdenkens über das, was um mich herum geschieht.

Die Anforderungen der Informationen und entspannenden Angebote der Unterhaltung sind beide unhintergehbar und jedem von Kindheit an zuzumuten. Ob daraus geordnetes Lernen wird und ob die Erfahrungen im Umgang mit den neuen Kommunikationsmodalitäten (die beruflichen Stressanforderungen ebenso wie die der Entspannung dienenden Unterhaltungselemente) tatsächlich in einen reflexiven Lernprozess eingebunden werden, dies freilich ist am wenigsten garantiert. Kurz: Das Projekt der Selbstsozialisation läuft vor allem über den Information- und Entertainment-Highway, aber keineswegs automatisch und wie von selbst über den (wie wir es jetzt pointierend nennen wollen) Education-Highway. Die Kommunikationsgeräte und die in ihnen enthaltenen Programme sind leicht verfügbar; und es gibt keine Regeln der Dissemination, denn Medien werden nicht nach den Ordnungen des Stundenplans verteilt, sondern sind als allgegenwärtiges Stimulans permanent da. Ob wir bereit sind, das, was wir über die Medien machen, auch einer rechtfertigenden Reflexion zu unterziehen, also medienkritische Elemente in unsere Medienroutinen einbeziehen - das wäre in der Familie Aufgabe der Eltern, in der Schule und im außerschulischen Raum dann Auftrag für die entsprechenden pädagogischen Einrichtungen. Nun ist es so - alle Daten und Beobachtungen zeigen dies immer wieder -, dass die Reflexion über Medien, das Nachdenken über die Reichweite ihrer möglichen Bedeutung für Beruf und Alltag, Vergnügen und Geselligkeit eher zufällig geschieht. Kinder und Jugendliche erleben Projekte meist als Erfahrung und Produkt, aber nicht als Raum der Reflexivität. Sie tun dies zumindest nicht automatisch und notwendigerweise, weil in den Medien-Objekten selbst dieses Nachdenken über Sinn und Zweck von Technik durchaus nicht beschlossen liegt. Gerade auf dem Education-Highway ist also mindestens Nachbesserung verlangt, und dies ist am ehesten denkbar in Projekten, in die pädagogische Begründungen und Ziele mit einfließen können.Wir leben also in einer Welt, die uns Projekte in zweierlei Form anbietet: Einmal selbstsozialisatorisch als information und entertainment, dann im Rahmen geordneter Lernprozesse als education. ,Erziehung' meint ja genau dies: dass hier besondere Arrangements (in der Schule oder im außerschulischen Raum) notwendig sind, die das, was uns als alltägliche Erfahrung fast schon routienehaft bedrängt, irgendwie auf Distanz bringt, um einen Reflexionsbogen zu schaffen, der mehr abfordert als nur die Selbstverständlichkeit der Welthinnahme im Sinne eines achselzuckenden ,So ist es eben'. Pädagogisches Räsonnement kann sich eben nicht mit der Feststellung zufriedengeben, die Medien seien eben da, und darum müsse man sich mit ihnen notwendig und ohne Zögern auseinandersetzen (sie natürlich auch benutzen). Solange wir Menschen uns als handelnde Wesen in offenen Kommunikationsräumen und demokratischem Kontext verstehen, muss bei allem, was wir tun, die Frage hinzutreten: Wie leben wir in sich wandelnden Lebenswelten, und welche Gestaltungsvorstellungen haben wir für das eigene und soziale Leben, die eigene Gegenwart, aber auch Zukunft?Damit haben wir die beiden Begriffe ,Medienwelten' [Ausgangspunkt (l)] und ,Lebenswelten' [Ausgangspunkt (2)] zusammengebunden: Während die Medienwelten alle Symbolkonstruktionen umfassen, die elektronische Medien heute in unsere Handlungen hineingeben, umfassen Lebenswelten in umgreifender Weise alle Formen direkter Kommunikation und direkten Handelns wie Entscheidens, die bei einzelnen, in und zwischen Gruppen, aber auch in staatlichen Gebilden, gesellschaftlichen Ordnungen etc. stattfinden. Der soziale Wandel der modernen Gesellschaft besteht darin, dass Lebenswelten - im Gegensatz zu vormodernen Informationszeiten - integraler Bestandteil von Medienwelten sind. Medien sind jedoch keine von sich aus determinierende Faktoren, sondern sie bestehen in konkreten Abläufen und Handlungen. Diese Konkretheit wiederum wird zusammengebunden durch das Projektkonzept: Medienwelten werden gleichsam zu Lebenswelten, weil diese die Ganzheit lernenden Handelns umfassen.

4. Schule zwischen Fachanspruch und Schülerorientierung

Das ist eine alte Klage: je mehr wir lernen und unsere Lernansprüche in Stundenplänen und fachlichen Anforderungen ordnen, desto mehr zersplittert das Lernen in spezialisierte Unter- und Teilgebiete, so daß eine ganzheitliche Übersicht nicht mehr möglich ist. Indem wir Lehrpläne aufstellen, zerstören wir die Ganzheit des Lernens und bieten den Rest der Welt zwar geordnet, aber häppchenweise dar.

Auf diese Kritik antwortet die Projektmethode (Oelkers 1997, S.14): ,,Sämtliche erweiterten Lernformen, die in der Diskussion sind, haben mit der Projektmethode zu tun. Sie ist nicht irgendeine mehr oder weniger ,neue' Variante des Unterrichts, sondern die eigentliche reformpädagogische Herausforderung der Lehrplanschule, wie sie im 19. Jahrhundert entstanden ist. Was die Projektmethode letztlich beschreibt, ist eine Sicht des Lernens und Lehrens, die sich theoretisch wie praktisch von der Lehrplanschule nicht nur unterscheidet, sondern diese radikal in Frage stellt."

Schon Dewey hat von einer Balance oder einem Gleichgewicht zwischen kindlichem Lernen und den Anforderungen des Lehrplans gesprochen, und er schreibt beispielsweise (nach Oelkers, ebd., S.21): ,,Ein Erwachsener kann sich nicht zur integrierten Persönlichkeit entwickeln, ohne sich auf die Realität jener Lebenssituationen einzulassen, deren Teil er ist. Das Lernen dieser Realitäten ist von besonderer Bedeutung für die je nachwachsenden Generationen. Der Lehrplan nun (subject matter) ist ,das selektionierte und organisierte Material, das für eine solche kognitive und praktische Inkorporation der Jugend relevant ist'."

Damit hat ,Projekt' zwei wesentliche Ausgangspunkte. Der eine besteht im Konflikt der Schulorganisation mit der Projektmethode. Angesichts des Vorranges der Fachdidaktik sind heutige Projekte im Sekundarbereich beispielsweise meistens Ergänzungen zum normalen Unterricht Sie werden ,,als methodische Variante verstanden, nicht als schulsprengendes Prinzip. Das gilt auch für den Primarbereich, wenngleich hier Projekte häufiger realisiert werden als in den oberen Stufen der allgemeinbildenden Schule. Üblich sind auch hier Mischformen aus Projekt und Fachunterricht, so dass die Praxis gleichsam die Versöhnlichkeit der Prinzipien unter Beweis stellt" (ebd., S.27). "Irgendwie" muss man sich also projektdidaktisch durchschummneln, ausgehend von der eher trivialen Feststellung, dass Tätigkeit Lernen mehr fördert als Untätigkeit. Wie dies im einzelnen aussehen soll, dies lässt sich gerade nicht ,didaktisieren' und in Anforderungskataloge und deren Umsetzung fassen, sondern muss immer erneut ausgehandelt werden. Da dies die fachdidaktisch orientierte Schule häufig nicht kann, stößt Projektunterricht deshalb schnell an seine Grenzen: Der schon vorgenommene Verweis auf außerschulische Lernfelder gewinnt hierdurch an Plausibilität, insbesondere auch durch den Hinweis, dass organisiertes Lernen mit selbstsozialisatorischen Lernprozessen verbunden werden sollte.

Genau dies leistet die Projektmethode, weil sie einen zweiten Grundsatz hat, der fast noch energischer verfochten wird als der erste: Es handelt sich um die Kind- oder Schüler-Orientierung (Child Centered Education). Nicht Disziplinierung und Frontalunterricht, sondern Gruppenarbeit und freies Projektlernen sind die Prinzipien, die seit der Reformdiskussion in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts die Flaggensignale der Zukunft hissen. Leitgedanke muss immer sein, wie Kinder ein Höchstmaß an Förderung erfahren können. Diese Entwicklungschancen eröffnen sich aber nicht über die Verordnung von Lern-Objekten, sondern über Lernprozesse, an denen die Kinder derart teilnehmen, dass sie den Nutzen des Gelernten an ihrer eigenen Tätigkeit und damit sozusagen am eigenen Leib erfahren. Selbstbestimmung der Kinder und das Diktat des Lehrplans, dies steht gegeneinander und fordert abermals das Schulwesen heraus, das den Kindern zwar Spielräume für Autonomie und freies Handeln gibt, diese aber immer wieder nach den Prinzipien notwendiger schulorganisatorischer Maßnahmen einschränkt. Auch hier ist die außerschulische Pädagogik mit ihren offeneren Handlungsräumen eher geeignet, projektmethodisch produktiv vorzugehen.

Hier ist ein weiteres Problem gelöst, das eine lehrplanorientierte Schule eher zuspitzt: Es handelt sich um die Motivationsfrage. Der Satz, wir lernen nicht für die Schule, sondern für das Leben, soll gemeinhin darüber hinwegtrösten, dass wir nicht notwendig einsehen müßten, wozu wir bestimmte Dinge lernen. Die Pädagogen, die Erwachsenen, das Gebot der Zukunft werden uns zeigen, dass nichts vergeblich gelernt wurde und nicht einmal die Züchtigung des Kindes umsonst gewesen sei. Wer einer solchen Ordnung folgt, verzichtet darauf, dem Kind auch Lust und Freude am Lernen möglich zu machen: Ob ein ,Fach' gefällt oder nicht, hängt eher vom Zufall ab (der Beliebtheit eines Lehrers, die persönliche Faszination von einem Stoff), ist aber nicht von der Persönlichkeit des Kindes her ableitbar. Wir nennen dies auch extrinsische Motivation und meinen damit, dass jemand etwas tut, weil er Zwecke verfolgt, die nicht in der Sache selbst liegen, die aber doch wirkungsvoll genug sind, um die Unterwerfung unter bestimmte Zwänge zu erreichen. Wir kennen die Beispiele extrinsische Motivierung: etwa über Schulnoten, Strafen oder Belobigungen.

Nicht ,um der Sache willen wird gelernt, sondern weil das ,Schulsystem als Chancenzuteilungsapparatur (Schelski) dazu zwingt, unabhängig vom pädagogischen Nutzen und Gedeihen des Kindes oder Jugendlichen bestimmte Leistungen zu erbringen, die als objektiver Qualifikationsbedarf eingefordert werden.

Ein Projekt kann nicht unter die Logik dieses Gedankenganges fallen. Im Gegenteil, hier geht es um die Freisetzung intrinsischer Motivation. Diese liegt nun ,in der Sache selbst' und fällt damit auch ins Zentrum kindlicher Selbstbestimmung quasi automatisch zurück. Denn Kinder; so die These, tun nur das gern und mit Überzeugung, was für sie von Wichtigkeit ist, und die Relevanz dieser Wichtigkeit wiederum bestimmt sich nach einem Menschenbild von Kindern und Jugendlichen, das die Ansprüche an Lernbereitschaft und Lernoffenheit als grundlegende Bereitschaft für Lernprozesse überhaupt (stillschweigend) voraussetzt. Dann lerne ich den Umgang mit dem Computer; weil er mich fasziniert, mir Anerkennung oder persönliches Wachstum verspricht, soziale Wertschätzung anbietet etc.

Diese Erörterung sieht sich schnell zwei Problemen gegenüber; die der eben knapp begründeten Propagierung der Projektmethode relativ harte Einschränkungen oder skeptische Einschätzungen auferlegt. Das erste Argument bezieht sich auf den Vorrang der Kindzentrierung (im Gegensatz zur Disziplinorientierung etwa). Aber ist das Kind, so der erste fragende Einwand, nicht eigentlich überfordert, selbst die Inhalte von Projekten bestimmen zu können, um über sich hinauszuwachsen? Gibt es, so der zweite fragende Hinweis, nicht objektive Anforderungen, die unhintergehbar sind (dazu gehört die Fähigkeit, die Grundrechenarten zu beherrschen, und heute sicherlich auch die Fähigkeit, instrumentell-qualifikatorisch den Computer zu nutzen)? Kurz: Können wir uns ein idealistisch-verzerrtes Menschenbild leisten, das die Spannung zwischen Kindzentriertheit und spontanem Interesse an ganzheitlichem Lernen und den Qualifikationsanforderungen einer rationalistisch-technisch durchkonstruierten Lernwelt einfach leugnet, indem schlicht auf die Spontaneität von Kindern und Jugendlichen gesetzt wird?

Ähnliches gilt für den zweiten Grundlagenkomplex, die Einforderung nach mehr ,Kind- und Jugendgemäßheit'. Sicher gibt es immer glückliche Situationen, in denen ein einzelner oder eine Gruppe etwas ,lernt', und dies einfach darum, weil der Zuwachs an ,Kompetenz' eine Belohnung in sich selbst trägt, die nicht von außen reguliert werden muss. Aber wie ,rein' können intrinsische Motivationen sein, und vor allem: Wie lässt sich deren ,Reinheit', auch moralisch, überprüfen? Wenn ein ,Computerfreak' die ,Wunschmaschine' (Sherry Turkle) dazu benutzt, über seine Computerkompetenz Machtphantasien auszuleben (er kann beispielsweise mit einem Programm sämtliche Fensterläden eines Hochhauses öffnen oder schließen, oder er führt Buch über sämtliche Ein- und Ausziehenden gegen alle Regeln des Datenschutzes). Dies ist kein Lernziel, das in der Schule oder sonstwo ,verordnet' werden kann, aber es kann psychodynamisch eine wichtige Rolle spielen und einen starken intrinsischen Motivationskern darstellen.

Natürlich gibt es Antworten auf diese Problemlagen. Die erste war schon genannt: Wenn die Schulorganisation Projekte erschwert, müssen sie eben nach außen verlagert werden - es werden Freizonen gebildet, ,Freistunden' zur Verfügung gestellt, Arbeitsgemeinschaften gegründet etc. Die Tendenz geht immer dahin, die lehrplanorientierte Schule zu verändern und, zumindest ansatzweise und vorübergehend, in eine kind- und jugendzentrierte Schule zu verwandeln - also auf außerschulische Lernerfahrungen hin zu öffnen.

Schwieriger; weil grundsätzlicher; ist die Frage der Kinder- und Jugendorientierung. Das Argument einer möglichen ,Überforderung' (natürlich wäre dann entsprechend auch eine ,Unterforderung' denkbar) argumentiert: Was Kindern und Jugendlichen zuträglich ist, kann nur teilweise von ihnen gewußt und damit auch verantwortet werden; die kompetente Professionalität pädagogischer Handlungen besteht gerade darin, stellvertretend als Anwalt des Kindes/ des Jugendlichen zu fungieren und damit auch zwischen Sachanspruch und Kindgemäßheit zu vermitteln.

Hier stellt sich die Frage nach den Grundlagen des Menschenbildes und seiner Rechtfertigung. Das ,Projekt' setzt eigentlich voraus, dass Kinder sehr früh und Jugendliche also erst recht über eine autonome Handlungskompetenz verfügen, die grundsätzlich nicht von der anderer Altersgruppen zu unterscheiden ist und die auch nicht den Regeln fachlicher Professionalität unterliegt. Diese können allenfalls als ergänzende Denkhinweise hinzugenommen werden.

Hier ist eine meta-professionelle pädagogische Entscheidung notwendig. Hilfreich ist dabei, was Martens/Bockhorst (1989, S.10) an einem zunächst anders gelagerten Kompetenzbeispiel, nämlich von in Lernprozesse einbegriffenen Frauen, formuliert haben. Unter der Zwischenüberschrift ,,Frauen müssen ihre Sache selbst in die Hand nehmen" heißt es: ,,Während wir die Projektberichte sammelten und uns mit den praktischen und theoretischen Werken von Frauen in den verschiedensten Künsten und über sie beschäftigten, wurde uns erst das ganze Ausmaß kultureller und künstlerischer Domestizierung und Verhinderung von Frauen in unserer Gesellschaft bewusst. Dies gilt z.B. für die Sprache, mit der auch in der kulturellen Bildung Mädchen und Frauen als Teilnehmerinnen, Referentinnen, Musikerinnen, Künstlerinnen etc. durch den Gebrauch männlicher Sprachformen ausgeschlossen werden. Dies gilt mit wenigen Ausnahmen ebenso für Strukturen der kulturellen Bildung, in denen patriarchales Denken und Handeln dominiert. Männer-Macht wird da selten durch Beteiligung von Frauen in Entscheidungsinstanzen abgegeben. Die Folge ist, dass die kulturelle Bildung Zielgruppenarbeit durchführt, die Zielgruppe Mädchen und Frauen jedoch eine unbekannte Größe ist.

Da Mädchen und Frauen in der kulturellen Bildung quantitativ stärker vertreten sind als z. B. in der politischen Bildung, meint man, das Angebot sei ausreichend und beweise, dass es für Jungen wie Mädchen gleich gut sei, also Allgemeingültigkeit beanspruchen könne. Jedoch dadurch, dass geschlechtsspezifische Verhaltensmuster; wie sie in der Familie, im Kindergarten, in der Schule angeeignet werden, von der außerschulischen Jugendbildung unhinterfragt übernommen werden, entsteht die Situation, dass Jungen und Mädchen einseitig gefordert und gefördert werden.

Die Konsequenz: technische Medien für die jungen, Tanzen für die Mädchen. Die kulturelle Bildung bestätigt mit ihren Angeboten diese scheinbar natürlichen Bedürfnisse und gesellschaftlich definierten Rollenbilder entsprehend dem herrschenden Kulturverständnis."

Übernehmen wir diese durch Erfahrung gestützte und bestätigte Argumentation, finden wir in zweierlei Hinsicht brauchbare Verweise. Zum einen wird bisher gerade auch den Mädchen im technischen Bereich, jedenfalls im Vergleich zu Jungen, Kompetenz eher abgesprochen. Wahre 'Computer-Freaks', etwa geniale Hacker; sind nun einmal Jungen und junge Männer; und damit basta. Ausnahmen bestätigen allenfalls die Regel.

Inzwischen haben wir zwar ein entschieden differenzierteres Bild. Wir wissen etwa, daß Mädchen (man möchte sagen: natürlich) ebenso souverän und kompetent mit dem Computer umgehen können wie Jungen (und eine ,Minderleistung nicht im kognitiven Potential begründet liegt, sondern in der schlichten Tatsache, daß Mädchen weniger oder gar nicht an die Benutzung von Computern herangelassen werden und wenn, dann über die Brüder in der Familie), und im Gebiet kreativer Gestaltungsmöglichkeiten haben Mädchen - freilich auch bei geringerer Beachtung - erhebliche Leistungen vorzuweisen.

Gerade über die alten und neuen Medien wird also eine Benachteiligung offenkundig, die bei Kindern und Jugendlichen allerdings deshalb weniger laut ausgesprochen wird, weil hier im Gegenteil die Staunen erregende Erfahrung gemacht wird, dass Kinder sich problemlos ins Netz einloggen, während Erwachsene eher ängstlich beiseite stehen. Sie können oft nicht einmal die richtigen Knöpfe in der gehörigen Reihenfolge bedienen.

Da hier also eher die Jüngeren kompetente Interaktionsteilnehmer sind, gibt es ein anderes Argument, das die Projektfreiheit einschränkt: Die Dimension der Medienkritik (vgl. dazu den Beitrag ,,Medienkompetenz als zentrales Operationsfeld von Projekten" vom gleichen Autor) werde von Kindern, die eher dem Automatismus des Apparates folgten, nicht reflexiv erreicht. Dies Argument ist insofern nicht falsch, als (etwa nach Piaget) tatsächlich abstrakte Operationen und ethische Reflexionen allgemeinerer Art erst Jugendlichen (Jungen wie Mädchen übrigens) nach der Pubertät zugänglich sind. Tatsächlich ist hier insofern nachzubessern, als die Funktionslust, die Kinder und Jugendliche beim Umgang mit Kommunikations-Apparaten erleben, eine reflektierende Distanz zunächst einmal eher ausschließt. Gesichtspunkte der kognitiven Entwicklung sind also auch bei der Anwendung der Projektmethode keineswegs auszuschließen. Dieses Argument bedeutet jedoch nicht, dass gerade darum das grundsätzliche Argument der Kinder- und Jugendzentriertheit aufgegeben werden muss. Im Gegenteil: Tatsächlich verfügen Kinder und Jugendliche selbstsozialisatorisch über ein erhebliches Funktionspotential, und wer Routinen und Handlungen beherrscht, hat damit zumindest die Chance, seine Erfahrungen in der Werkstatt dann auch reflektierend umzusetzen: nicht als Nachlieferung im Überbau des Philosophierens, sondern über das Anwenden selbst.

Dennoch: Differenzierung ist wichtig. In Hinsieht auf ,Medienkompetenz' bedeutet dies: Sie ist zum einen zwar grundsätzlich gegeben, weil als menschlicbe Ausstattung qua Geburt verfügbar gemacht, gleichwohl muss sie zur ,Performanz gebracht, also durch Übung, Wissen und Reflexion ganzheitlich orchestriert werden. Dazu bedarf es - um im Bild zu bleiben - der Verstärkung einiger Stimmen, der Hinzunahme ganzer Klangelemente (möglicherweise).

Die Antwort auf die didaktischen Prinzipien der Projektmethode ist also so grundlegend-bedeutsam wie eigentlich einfach. Grundlegend-bedeutsam ist sie, weil sie es erlaubt, die Verbindung von Medien- und Lebenswelt, von Erfahrung und Reflexion in ganzheitlichem Gruppenlernen (in den Konstellationen: Labor; Werkstatt, aber auch Piazza, privater Lern- oder Spielraum etc.) als identitäts- und subjektvergewisserndes Lernen zu ermöglichen. Einfach ist die Grundkonstellation, weil es selbstverständlich eine nicht festgelegte und festlegende, aber je nach Situation und Bedarf vorhandene Rollenteilung zwischen den Dimensionen von Medienkompetenz gibt, die im konkreten Projekthandeln jeweils neu auszuhandeln ist. Dann wird auch schnell deutlich, an welchen Stellen Kinder und Jugendliche kaum Hilfen brauchen, weil sie sich selbstsozialisatorisch zur Hand gehen, und an welchen Stellen pädagogische Beratung, Intervention, praktisches Helfen oder Vermittlung von Wissensstoff sinnvoll und notwendig ist.

5. Projekte als medienorientierte demokratische Entwicklungsformen von Lernen und Erfahren

Die Argumentation ist vorgetragen, ihre Ergebnisse seien noch einmal rekapituliert. Sicher ist ein bemerkenswertes Ergebnis: dass das lernende Handeln mit Medien über die Grenzen und Vorstellungen von schulorganisatorischen Prinzipien hinausgeht und die Frage nach ,fächerübergreifendem Lernen' (Huber 1997) neu stellt bzw. beantwortet. Eigentlich ist es erstaunlich, dass die pädagogische Diskussion auch in Hinsicht auf Projektunterricht vor allem eine schulpädagogische Diskussion war und alle bedeutenden Arbeiten sich auf die Organisationsform schulischen Lernens bezogen. Erst die vom sozialen Wandel auferlegte Nötigung, sich in den neuen Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen zurechtzufinden, hat Zusammenhänge und Fragen neu sichtbar werden lassen. Jetzt wird deutlich, dass das Projekt als Methode und als prinzipienorientierter Lernbereich tatsächlich eine starke Herausforderung an die schulorganisatorische Nomenklatur darstellt. Auch dieses Buch zeigt klar; dass es zwar wenig zweckmäßig wäre, einen Gegensatz zwischen schulischem und außerschulischem Lernen zu konstruieren, aber ebenso unzweckmäßig, die traditionellen Prinzipien schulischen Lernens auch auf medienorientierte Projektinhalte anzuwenden. Vielmehr zeigt sich, dass jeweils in dem Augenblick, in dem es ,um Medien' geht, grenzüberschreitende didaktische Konstellationen herausgefordert werden, und zwar von allen Beteiligten, von den Schülerinnen und Schülern ebenso wie von denen, die Lernprozesse organisieren und letztlich verantworten.

Die Nähe von Projekt und Projektmethode zu demokratischer Theorie und demokratischer Praxis liegt (spätestens seit Dewey) auf der Hand und darf ebenfalls nicht zurückbuchstabiert werden. ,Demokratisches Lernen ist gerade im Hinblick auf Medien deshalb notwendig, weil sonst die medienkritische Komponente nicht hinreichend zum Zuge kommt. Umgekehrt besteht das Potential der ,öffentlichen Medien' ja gerade darin, dass sie auch über die neuen Formen globalisierter Vernetzung (die auf Regionalität und Lokalität zurückweist) den radikalen Rückzug aufs Private und Subjektiv-Persönliche zunehmend nicht möglich macht oder es doch erschwert, ,sich aus der Verantwortung zu stehlen'. Demokratische Teilhabe an Medien ist kein Begriffssystem, kein Lerngegenstand, sondern anstrengende sozial-kommunikative Erfahrung, und dies Tag für Tag. Medien sind in diesem Sinne zweifellos eine Zumutung, denn sie sind keineswegs einfache Glücksbringer. Informationen beispielsweise sind nicht nur notwendig und breiter als zu anderen Zeiten verfügbar; sie sind zugleich eine Bedrohung für demokratische Ziele, wenn sie über manipulative Mechanismen, versteckte Kontrollsysteme oder auch Zufälligkeiten des freien Marktes allein sich präsentieren. Insofern gilt: Erfahrung ohne Reflexion und Lernen bleibt blind, Lernen und Reflexion ohne Erfahrung bleibt leer. Dieser alte Satz kann, auf die Projektmethode angewendet, so formuliert werden: Die grundsätzliche Zuschreibung von Autonomie an das Subjekt ist die Basis und zugleich Folge projektorientierter Lernprozesse, und es liegt in der Verantwortung medienkritischer Dimensionen, diese Verantwortung als eine gemeinsame zu bewahren und zu bewähren.

Insofern ist ,Projekt' und ,Projektmethode' mehr als nur ein methodischer Kniff, Gegenstände lebendiger zu vermitteln, und es geht auch mehr als um eine didaktische Grundsatzentscheidung. Beides eingeschlossen, wollen Projekte im Kontext mit Medien vor allem eins deutlich machen: dass es keine Selbstläufigkeit kommunikativer Prozesse gibt, sondern dass diese einen schwierigen Aushandlungsprozess darstellen, an dem jeweils all diejenigen zu beteiligen sind, die an (Medien-)Projekten mitwirken.

Literatur

Baacke, Dieter, Medienpädagogik, Tübingen 1997

Baacke, Dieter, Jugend im Spannungsfeld von Medienexpansion und sozialem Wandel. Zum Stellenwert medienpädagogischer Projektarbeit, in: GMK-Rundbrief Nr.39/40,1996, S.2 - 13

Dewey, John, Democracy and Education. An Introduction to the Philosophy of Education, New York et al.: The Free Press 1966 (1. Ausgabe 1916)

Hänsel, Dagmar (Hrsg.), Handbuch Projektunterricht, Weinheim/Basel 1997

Huber; Ludwig, Vereint, aber nicht eins: fächerübergreifender Unterricht und Projektunterricht, in: Dagmar Hänsel (Hrsg.), Handbuch Projektunterricht (siehe dort), S.31-53

Martens, Gitta/Bockhorst, Hildegard (Hg.), Feministische Kulturpädagogik. Projekte und Konzepte, Akademie Remscheid 1989

Oelkers, Jürgen, Geschichte und Nutzen der Projektmethode, in: Dagmar Hänsel (Hg.), Handbuch Projektunterricht (siehe dort), S. 13 - 30

Quelle:

Baacke, D. u.a. (Hrsg), Handbuch Medien: Medienkompetenz - Modelle und Projekte, Bonn (Bundeszentrale für politische Bildung) 1999, S.86 - 93

Mit freundlicher Genehmigung von Ippazio Fracasso-Baacke