Günther Anfang - Videoarbeit

Seit Anfang der 70er Jahre tragbare Videorekorder und -kameras auf den Markt kamen, wurde Video als Medium für einen breiten Nutzerkreis interessant. Nicht nur Hobbyfilmer waren von diesem Medium angetan, sondern auch Jugendliche, Pädagogen, Studenten und politische Gruppierungen. Videoarbeit war angesagt, wobei in den ersten Jahren damit vor allem politische Videoarbeit gemeint war. Die Vorzüge der Videotechnik lagen in der spezifischen Attraktion des Mediums, in der schnellen Verfügbarkeit des Aufgenommenen und in der Ökonomie des Materialverbrauchs (vgl. Bubenik 1974). Dazu kamen spezifisch technische Vorzüge, wie gleichzeitige lippensynchrone Aufnahme von Bild und Ton, hohe Lichtempfindlichkeit und elektronische Nachbearbeitungsmöglichkeiten. Diese Vorzüge führten dazu, daß Video als "Bürgermedium" schnell Verbreitung fand und Videoarbeit in den 70er Jahren vor allem bei politischen Gruppierungen einen hohen Stellenwert hatte. Videoarbeit als einer der wichtigsten Ausprägungsformen der alternativen Medienarbeit wurde hier in erster Linie unter dem Stichwort der Gegenöffentlichkeit betrieben. Das Medium Video wurde dabei als Kommunikationsmittel zur Durchsetzung eigener Interessen und Anliegen eingesetzt. Ziel dieser Arbeit war es, "die Apparatur jenen zur Verfügung zu stellen, die keinen Zugang zu den großen Medien haben und die nicht hoffen können, ihre Probleme jemals von diesen Medien angemessen berücksichtigt zu finden." (Zacharias-Langhans 1977, S. 16) Dabei ging man von einem latenten Veröffentlichungsbedürfnis dieser Gruppen aus. Gearbeitet wurde sowohl mit Randgruppen, als auch mit Interessengruppen in Stadtteil-Projekten. Ihre Alltagsprobleme, die unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle des Fernsehens und der Zeitungen liegen, wurden aufgegriffen und gemeinsam mit den Betroffenen einer Öffentlichkeit zugeführt. Da das Fernsehen als Veröffentlichungsmedium den eigenen Interessen entgegenstand wurden eigene Veröffentlichungsformen in Kneipen und Szenetreffs geschaffen. Die anfängliche Euphorie flaute jedoch schnell ab, als klar wurde, daß die Videos niemand sehen wollte und die teils schlechten Kamera- und Tonaufnahmen auf Unverständnis beim Publikum stießen. Die Videobewegung spaltete sich. Ein Teil versuchte sich zu professionalisieren und im Fernsehbereich unterzukommen, der andere Teil verlagerte seine Aktivitäten auf den Bereich der Jugendarbeit.

So bildeten sich Ende der 70er Jahre verstärkt Medienzentren und Medienstellen, die sich zum Ziel setzten, aktive Medienarbeit im Bereich der Jugendarbeit zu leisten. Schwerpunkt dieser Projekte bildete die Videoarbeit mit Jugendgruppen.

Ausgangspunkt der Videoarbeit mit Jugendgruppen ist, "junge Menschen für einen kompetenten und selbstbestimmten Umgang mit den Medien zu qualifizieren" (vgl. Schell, 1993) Ziel dieser Aktivitäten ist es, Jugendliche zu befähigen, Medien für ihre eigene Lebensbewältigung und -gestaltung zu nutzen und sie als Mittel gesellschaftlicher Kommunikation und Partizipation zu begreifen und zu gebrauchen. Medien sollen dabei als gemachte und machbare erfahrbar werden und Jugendliche befähigen, ihren Umgang mit Medien selbst und bewußt zu kontrollieren und zu steuern. Im einzelnen ergeben sich daraus folgende Zielsetzungen einer aktiven Videoarbeit:

1. Erwerb von Medienkompetenz

Medien sind für Kinder und Jugendliche, aber auch für Erwachsene faszinierend. Es ist deshalb gar nicht so einfach, sich der Anziehungskraft medialer Trugbilder bewußt zu werden oder sich gar diesen zu entziehen. Die hohe Glaubwürdigkeit der Medien kann durch das Erfahren der Machbarkeit angekratzt werden. Das Selbermachen eines Films kann Denkanstöße vermitteln, wie mit Medien manipuliert werden kann. Durch den Erwerb von Kenntnissen, wie z.B. ein Film gemacht ist, wie durch die Wahl des Blickwinkels die Wirklichkeit beeinflußt wird, wie durch Schnitt und Vertonung Aussagen manipuliert werden können, gelingt es Kindern und Jugendlichen Medien kritischer einzuschätzen. In der alltäglichen Praxis mit Jugendfilmgruppen kann immer wieder festgestellt werden, daß Jugendliche dem Bild mehr vertrauen, als dem Wort. So werden z.B. Fernsehberichte als objektiver eingestuft als Zeitungsmeldungen, da hier ja das Berichtete mit eigenen Augen gesehen werden kann. Erst wenn Jugendliche mit der Tatsache konfrontiert werden, daß auch Bilder gestaltet sind und einen Standpunkt des Autors wiedergeben, werden Zusammenhänge über Grundlagen des Journalismus deutlich.

Hier Denkanstöße zu vermitteln und Jugendliche gegenüber Medien kritischer zu machen, ist ein wichtiges Anliegen aktiver Videoarbeit. Dabei muß man sich aber auch im klaren sein, daß die Faszination, die von bestimmten Filmen und Genres für Jugendliche ausgeht, damit nicht gebrochen wird. Es wäre auch falsch, Jugendlichen ihre Lieblingssendungen zu vermiesen. Wichtiger ist im Rahmen der Eigenproduktion von Filmen Jugendlichen klar zu machen, wie ein Film funktioniert, wie Spannung intelligent aufgebaut werden kann und wie es mit der Objektivität bei der Filmberichterstattung aussieht.

2. Videoarbeit als demokratische Partizipation

Ganz eng verbunden mit dem Erwerb von Medienkompetenzen ist die Indienstnahme von Medien als Mittel politischer Partizipation. In einer Gesellschaft, in der die Massenmedien in den Händen weniger liegen und somit die veröffentlichte Meinung nicht unbedingt mit der Meinung der Öffentlichkeit bzw. Teilen dieser Öffentlichkeit gleichzusetzen ist, kann Medienarbeit dazu beitragen, daß Medien auch von Gruppen genutzt werden können, die sonst keinen Zugang zu den Massenmedien haben. Darin besteht eine wichtige Aufgabe medienpädagogischer Praxis. Eine Gesellschaft wie unsere, die die aktive Partizipation ihrer Bürger zum Ziel hat, muß Möglichkeiten bieten, sich auch außerhalb der veröffentlichten Meinung öffentlich mitzuteilen. Die Orte der Veröffentlichung können dabei unterschiedlich sein: angefangen vom Stadtteilzentren über regionale Festivals bis hin zu offenen Fernsehkanälen oder Aus- und Fortbildungskanälen, wie sie in einzelnen Bundesländern existieren.

Ein Projekt, wie demokratische Partizipation aussehen kann, sei hier beispielhaft geschildert. Das Projekt hieß "Clips gegen Rechts" und wurde vom Medienzentrum München des Institut Jugend Film Fernsehen in Zusammenarbeit mit dem Stadtjugendamt München durchgeführt. Es forderte Jugendliche auf, mit Hilfe von Video kurze Clips gegen Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus zu produzieren. Ausgangspunkt dieser Aktion waren die Übergriffe rechtsextremer Gruppen und die zunehmende Ausländerfeindlichkeit und Intoleranz in unserer Gesellschaft. Ziel dieser Aktion war, Jugendliche zu motivieren mit Video zu gesellschaftspolitischen Problemstellungen Position zu beziehen und sich zu artikulieren. Damit sollte erreicht werden, daß Jugendliche darüber nachdenken, welche Position sie zu den rechtsextremen Entwicklungen in unserer Gesellschaft haben und wie dagegen Stellung bezogen werden kann. Um nicht von vorneherein das Thema Rechtsextremismus auf eine bestimmte Gruppe wie z.B. Sinheads einzuengen, sollten die Jugendlichen verschiedene Formen der Entwicklung zu Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit in ihren Clips aufgreifen und bearbeiten. Die Reaktion von Jugendlichen auf diesen Wettbewerb war sehr groß. Viele Jugendliche wollten zeigen, daß sie mit den rechtsextremen Entwicklungen in der Bundesrepublik nicht einverstanden sind. In ihren Clips wiesen sie deshalb darauf hin, daß "Gemeinsam vieles leichter" ist, "Gewalt niemals Lösungen schafft" oder "von Lichterketten allein Faschos kein Licht aufgeht." Alle Clips wurden zu einer "Clips gegen Rechts-Rolle" zusammengefaßt, um andere Jugendgruppen anzuregen, über Intoleranz und Rechtsextremismus zu diskutieren oder selbst einen Clip zum Thema zu produzieren.

3. Videoarbeit zur Entwicklung kreativer Fähigkeiten

Ein Stiefkind in unserem Bildungssystem bildet die Förderung kreativer Fähigkeiten. In einer kognitiv orientierten Welt ist der Umgang mit Bildern ungewohnt und wenig geübt. Jugendliche werden zwar vom Kleinkindalter an tagtäglich mit medialen Bildwelten konfrontiert, haben jedoch selbst keine Möglichkeiten, sich aktiv mit diesen Bildwelten auseinanderzusetzen, geschweige denn, kreativ damit umzugehen. In Schule und Ausbildung wird Medienarbeit bisher stark vernachlässigt, weshalb im außerschulischen Bereich vieles kompensiert werden muß. Videoarbeit bietet hier Jugendlichen die Chance, ihr kreatives Potential einzubringen. So können sie angefangen von der Entwicklung einer eigenen Geschichte, über die Ausgestaltung einer Szene bis hin zu Schnitt und Vertonung ihre Fähigkeiten in unterschiedlicher Form einbringen. Die Entwicklung von Kreativität stößt dabei oft auf Hemmschwellen. Da Jugendliche aufgrund ihrer schulischen Karriere es nicht gewohnt sind, eigenständig Ideen zu entwickeln, bedarf es in der Regel Fingerspitzengefühl, kreative Potentiale Jugendlicher freizusetzen. Eine Jugendgruppe, die gerne einen Actionfilm realisieren will und Ideen ß la Terminator entwickelt, muß erst für eigene Geschichten sensibilisiert werden. Eine eigene Idee entwickeln und keinen billigen und schlechten Abklatsch von Profivorbildern zu realisieren ist nicht immer einfach. Denn dazu muß klar sein, was mit den vorhandenen technischen Möglichkeiten realisiert werden kann und wie eine originelle Geschichte funktioniert. Erst wenn einsichtig ist, daß die eigene Geschichte interessanter und aussagekräftiger ist, als irgend ein Aufguß einer bewährten Kinogeschichte kann eigene Kreativität entwickelt werden. Die Vielzahl medialer Produktionen, die in den letzten Jahren entstanden ist, beweist aber, welch kreatives Potential bei Jugendlichen vorhanden ist, das leider viel zu wenig gefördert wird.

4. Themen Jugendlicher auf Video

Die Themen, die Jugendliche in ihren Filmen aufgreifen, lassen sich auf zwei Schwerpunkte reduzieren. Zum einen setzen sich die Jugendlichen in ihren Produktionen mit den Kino- und Fernsehvorbildern auseinander und zum anderen thematisieren sie vor allem Beziehungs- und Cliquengeschichten aus ihrem Umfeld. Während die Auseinandersetzung mit Inhalten der Fernseh- und Kinowelt in erster Linie in Form von Persiflagen und Satiren erfolgt, sind die Beziehungs- und Cliquenfilme eher als kleine Spielhandlungen angelegt, die eine Situation und deren Zuspitzung kurz umreißen. Dokumentarisches Arbeiten bildet die Ausnahme. Viele Jugendliche sind der Meinung, daß eine Persiflage am ehesten gelingt und beim Produzieren am meisten Spaß macht. Aus diesem Grund denkt man sich die irrwitzigsten Geschichten aus, die dann oft völlig übertrieben über das Ziel hinausschießen und eher peinlich als komisch sind. So sind James-Bond- oder Miami-Vice-Persiflagen manchmal so überzeichnet, daß Außenstehende mit diesen Filmen oft nichts anfangen können. Wer somit bei Jugendvideoproduktionen nach neuen ästhetischen und inhaltlichen Ausdrucksformen sucht, wird in der Regel enttäuscht. Das meiste ist vom hergebrachten Kino und Fernsehen übernommen. Hier liegt sicher auch eine Schwierigkeit junger FilmemacherInnen. Schließlich arbeiten sie unter äußerst schlechten Bedingungen. Die Produktionen müssen meist mit minimalem Aufwand realisiert werden. Viele Gruppen sind froh, wenn sie überhaupt den Film fertig bekommen. In der Jugendarbeit kommt noch dazu, daß die Gruppen oft nicht stabil sind und somit geplante Drehtermine nicht mehr realisiert werden können, weil sich die Gruppe aufgelöst hat. Das vorhandene Rohmaterial muß dann mit vielen Einschränkungen zum fertigen Film montiert werden. Jugendfilmarbeit ist somit oft vom Mangel gekennzeichnet: es fehlt an der gründlichen Recherche, es fehlen Sequenzen zur Fertigstellung des Films, es fehlt an Nachbearbeitungsmöglichkeiten uvm. Zwar hat sich im Bereich Technik und Nachbearbeitungsmöglichkeiten in den letzten Jahren einiges getan, doch können die übrigen Probleme damit nicht gelöst werden. Jugendfilmarbeit bleibt Freizeitbeschäftigung und es ist von vielen Zufällen abhängig, ob sie gelingt.

5. Die Rolle der PädagogInnen

Videoarbeit findet häufig unter pädagogischer Anleitung in Schulen, Jugendzentren oder Jugendverbänden statt. Dabei mischen die PädagogInnen und GruppenleiterInnen bei der Entstehung der Filme kräftig mit. Gar manche Handschrift eines filmbegeisterten Erwachsenen ist in den Filmen beobachtbar. Manchmal störend, weil sie zu pädagogisch aufdringlich ist, oft aber unbemerkt, da nur mal der Dialog etwas umgeschrieben wurde, die Kamera korrigiert oder der Schnitt allein vom Gruppenleiter durchgeführt wurde. Dies muß nicht negativ sein, denn der Anspruch der ersten Jahre der Jugendvideoarbeit, die Jugendlichen alles selbst machen zu lassen, hat sich als falsch herausgestellt. Jugendliche erwarten vom Gruppenleiter oder der Gruppenleiterin, daß Tips und Hilfestellung bei der Realisierung des Films gegeben werden. Viele Projekte würden scheitern, wenn nicht filmbegeisterte PädagogInnen oder FilmemacherInnen mitmischen würden. Vielleicht sollte man nur von der Verschleierung der Tatsachen wegkommen und die Mithilfe von Erwachsenen und Profis deutlicher kennzeichnen. Je mehr Filmerfahrung der Gruppenleiter oder die Gruppenleiterin schließlich hat, desto besser wird in der Regel das Produkt. Hier bestätigt sich auch das eigentliche Manko von Video im Gegensatz zu Super-8. Während Super-8-Projekte immer schon von erfahrenen Filmern begleitet wurden, hat Video jeder genutzt, der irgendwo eine Kamera auftreiben konnte. Das Material war immer billig und wenn alles Mist wurde, konnte man es ja löschen. Erst in letzter Zeit hat sich hier ein Umdenken vollzogen. Seitdem bessere, billigere und leichter handhabbare Schnittanlagen zur Verfügung stehen, versucht man auch mit Video anständige Filme zu produzieren. Videomachen will gelernt sein, war die Devise und man holte sich schon den einen oder anderen Profi von außerhalb in das Jugendzentrum. Projekte wie "In eigener Regie" des Instituts Jugend Film Fernsehen in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien sind dafür Beispiele. Hier können Jugendliche sogar Zuschüsse für die Förderung ihrer Filmprojekte beantragen und haben somit die Möglichkeit, unter professionelleren Bedingungen ihre Ideen zu verwirklichen.

6. Videoarbeit und Öffentlichkeit

"Öffentlichkeit und Erfahrung" von Negt/Kluge gilt immer noch als die Bibel der Videobewegung. Darin wurde der Begriff der "Gegenöffentlichkeit" geprägt. Doch schon die Videofreaks der ersten Stunde mußten schmerzhaft zur Kenntnis nehmen, daß sich für ihre Produkte niemand ernstlich interessiert. Um so mehr machen Jugendfilmgruppen immer wieder die Erfahrung, daß ihre Filme außerhalb des Freundeskreises nicht laufen. Filme und Videos von Jugendlichen haben zwar inzwischen Platz gefunden auf diversen Jugendfilmfstivals. Hier werden sie jedoch nur von einer kleinen Fangemeinde gefeiert, von der Öffentlichkeit sind sie weiterhin wenig beachtet, geschweige denn von den Medien goutiert. Es ist die Ebene des "Da darf die Jugend sich einmal filmisch austoben" und "Das ist ja alles so kreativ", ernst genommen wird es nicht. Was Jugendliche hier zu sagen haben, wird schon deshalb nicht ernst genommen, weil es gängiger Medienerfahrung widerspricht. Filme von Jugendlichen sind in der Regel hölzern und man braucht Geduld, sich auf sie einzulassen. Da werden dann schon Klassifikationen wie "Alles unscharf und Video!" von Cineasten geprägt oder "Interessant, aber für uns nicht brauchbar" von Fernsehverantwortlichen. Von "Gegenöffentlichkeit" spricht schon lang keiner mehr, außer ein paar Pädagogen aus der Zeit um '68. Vielleicht sollte man von diesem Begriff auch Abschied nehmen und besser von einer "Öffentlichkeit von unten" sprechen. Es sind Filme, die einen Einblick in den "Medien"-Alltag von Jugendlichen geben. Sie zeigen Sichtweisen von alltäglicher Realität, die sich dem Zuschauer oft erst beim zweiten Mal hinsehen erschließen. Es sind sowohl Bilder der Auseinandersetzung mit Themen der unmittelbaren Umwelt, als auch Versuche dem übermächtigen Medium Film und Fernsehen eigene mediale Welten gegenüberzustellen. Es sind Versuche Jugendlicher, sich mit Hilfe von Video und Film auszudrücken und ihre Standpunkte innerhalb der Gesellschaft zu formulieren. Es ist eine Öffentlichkeit von unten, die nicht mit großem Gepolter daherkommt, sondern tastend versucht, Realität filmisch zu erobern. In diesen Filmen inszenieren Jugendliche ihre Alltagprobleme sehr behutsam und oft verdeckt, um ja nicht zu viel von sich preiszugeben. Dabei spielen die Kino- und Fernsehvorbilder oft eine größere Rolle als die eigene Umwelt. Da muß schon eine richtige Schlägerei her, wie man sie aus dem Film kennt, um einen Gruppenkonflikt zu inszenieren und die Liebesgeschichten müssen nach filmdramaturgischen Gesichtspunkten zurecht gestutzt werden, um publikumswirksam zu sein. Doch ist das kein Manko, sondern nur ein Beleg, daß Themen Jugendlicher auf Video und Film stark von diesen Vorbildern aus zweiter Hand geprägt sind. In ihrer teils unbeholfenen Art und Weise der Verformung medialer Vorbilder sind sie authentisch und spiegeln sowohl die Wirklichkeit der Jugendlichen als auch ihre Rezeptionserfahrungen in einer von Medien geprägten Umwelt wider. Es sind aufschlußreiche Facetten einer "alternativen" Öffentlichkeit, die sich ihre Themen aus dem Wust von Erfahrungen aus erster und zweiter Hand zusammensuchen. Diese Bilder zu analysieren und decodieren, wäre eine lohnenswerte Aufgabe, denn in diesen "Geschichten von unten" sagen Jugendliche oft sehr versteckt, was oben faul ist. Vielleicht hätten diese Filme dann auch bei PolitikerInnen und Verantwortlichen für Jugendpolitik eine größere Resonanz und endlich die Öffentlichkeit, die sie verdienen.

Literatur:

Anfang, Günther: Zwischen Ideal und Wirklichkeit, in: Institut Jugend Film Fernsehen (Hg.): In eigener Regie, München 1986
Anfang, Günther: Videoarbeit mit Jugendlichen, in: Bürer, Margrit/ Nigg, Heinz: Video. Praktische Videoarbeit mit Kindern und Jugendlichen, Zürich 1990
Anfang, Bloech, Hültner: Vom Plot zur Premiere. Gestaltung und Technik für Videogruppen, München 1994
Bubenik, Anton: Video zum Alltag, in: medium 9/74
Haufe, Ulrich u.a.: Videoarbeit mit Kindern, Tübingen 1982
Inhülsen, Burkhard/Köhler Margret: Auf nach Hollywood! Schüler machen Filme, Weinheim und Basel 1986
Kügler, Röll: Von der Wort- zur Bilderkultur, in: Deutsche Jugend 5/87
medien concret: Themenheft "Videopraxis" 1/90
Schell, Fred: Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. Theorie und Praxis, München 1993
Zacharias-Langhans, Garleff: Bürgermedium Video. Ein Bericht über alternative Medienarbeit, Berlin 1977

Mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Verlags.
Quelle: Hüther, J., Schorb B., Brehm-Klotz, Ch.(Hrsg.), Grundbegriffe Medienpädagogik, München (KoPaed) 1997, S. 347-352