Meike Richter, Hintergrund Urheberrecht

Das Urheberrecht vollbringt einen Balance-Akt. Einerseits sorgt es dafür, dass Urheber und Rechteverwerter durch ihre Arbeit ein Einkommen erzielen können. Andererseits soll es sicherstellen, dass die Allgemeinheit auf geistige Güter zugreifen kann. Werke der Kunst beispielsweise entstehen niemals aus dem Nichts, immer schöpfen Musiker, Filmemacher und Autoren aus dem reichen Pool bereits bestehender kreativer Werke: Kein Regisseur kann einen Film drehen, ohne selbst welche gesehen zu haben. Kein Musiker kann komponieren, ohne von Werken anderer inspiriert worden zu sein. Ähnlich sieht es in der Welt der Bildung aus: Damit Forscher, Lehrer oder Studenten ihre Arbeit tun können, müssen sie die Werke anderer kennen, nutzen und zitieren dürfen. Auch aus diesem Grund kennt das Recht für geistige Güter - im Unterscheid zum Materialrecht - eine zeitliche Befristung. In Deutschland laufen Urheberrechte 70 Jahre nach dem Tod des Autors aus.

Urheberrecht im analogen Zeitalter

Der oben geschilderte Balance-Akt funktionierte damals, in Zeiten von Schallplatte, Videokassette und Kopierer, recht gut. Wie die Urheber vergütet wurden und unter welchen Bedingungen die Allgemeinheit kreative Werke vervielfältigen oder verändern durfte, das regelten allein Fachleute. Wer beispielsweise Songs aus dem Radio mitschnitt, um seinem Schwarm eine Mixkassette zu schenken, durfte das legal tun. Über Pauschalabgaben, die an Urheber ausgeschüttet wurden, war sichergestellt, dass die Kreativen Lohn für ihre Arbeit bekamen. Das Procedere handelten Medienindustrie, Verwertungsgesellschaften, die die Rechte der Urheber wahrnahmen, und die Hersteller von Leermedien und Vervielfältigungsgeräten gemeinsam aus. Privatpersonen kamen mit dem Urheberrecht in der Regel nicht in Berührung. Um Musik, Filme oder Texte in großem Maßstab zu vervielfältigen, musste man schon ein Presswerk in einer Fabrikhalle unterhalten. Damit war die Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke leicht zu kontrollieren, sie fand nur im gewerblichem Rahmen statt.

Im Internet-Zeitalter bricht das System zusammen

Doch seit Computer und Internet die Welt erobern haben, ist das massenweise Kopieren von Film- oder Musikdateien zum Volkssport geworden. Online-Tauschbörsen und CD-Brenner machen es möglich. Das Urheberrecht greift nicht mehr. Seitdem beherrscht der Streit um das Immaterialrecht - also das klassische Urheberrecht - die Schlagzeilen, der Ton ist scharf: Medienindustrie und Urheber klagen über den Diebstahl ihres geistigen Eigentums und treten routinemäßig Klagewellen los. Ihr wirtschaftliches Überleben steht auf dem Spiel, denn ihr Geschäftsmodell - zugeschnitten auf die analoge Welt - ist in Auflösung begriffen. Verbraucherschützer und Konsumenten werfen der Industrie dagegen vor, die "Kinderzimmer zu kriminalisieren". Laien seien kaum in der Lage, das komplizierte Urheberrecht zu verstehen. Tatsächlich kommen gerade Halbwüchsige mit dem Gesetz in Konflikt: Schließlich basteln sie heute keine Collagen mit Papier und Schere, sondern eher Soundcollagen am PC. Verwenden sie dabei Musik aus den Charts und präsentieren das Ganze auf ihrer Webseite, droht juristischer Ärger.

Die Abschreckungs-Strategie hat der Medienindustrie wenig gebracht. Beispielsweise hat die Verweigerungshaltung gegenüber dem Internet die Musikindustrie Marktanteile gekostet: Erst wanderten ihre ehemaligen Kunden in Tauschbörsen ab, denn legale Musikdownloadportale ließen lange auf sich warten. Schließlich verloren sie ihr Stammgeschäft an den Computerhersteller Apple und dessen Online-Musikplattform iTunes.

Zwei Lösungsansätze

Die Industrie setzt weiterhin auf hohe Strafen bei Urheberrechtsverletzungen und technische Sperren wie Kopierschutz-Technologien. Außerdem sollen Image-Kampagnen Kindern und Jugendlichen den Respekt vor dem Urheberrecht beibringen. All das nennen Kritiker einen Versuch, das Urheberrecht der analogen Welt dem digitalen Zeitalter mit Gewalt aufzudrücken. Und das sei von vorneherein zum Scheitern verurteilt, weil nicht durchzusetzen: Information wächst durch Teilung. Das Verbreiten von Musik- oder Filmdateien sei kaum zu kontrollieren, stehen sie einmal im Netz. Theoretisch reiche eine Werkausgabe, um die Internetnutzer der Welt damit zu versorgen.

Die Urheberrechtsnovelle

Vielmehr komme es darauf an, tragfähige Lösungen zu finden, damit dem Urheberrecht wieder der schwierige Balance-Akt gelingt. Die kürzlich verabschiedete Novelle des Urheberrechts, die zum Ziel hat, das Urheberrecht fit für das digitale Zeitalter zu machen, gilt als umstritten. Verbraucherschützer, IT-Branchenverbände und Musikindustrie kritisieren das Gesetz in seltener Eintracht und fordern weitere Anpassungen - das große Ziel scheint verfehlt worden zu sein.

Neue Wege gehen

Projekte wie Creative Commons, eine Art Urheberrecht für das Internet-Zeitalter, erproben neue Wege. Beispielsweise erlauben diese Lizenzen die Verbreitung kreativer Werke unter bestimmten Bedingungen (siehe Artikel "Creative Commons: Wie funktioniert das?"). Unterstützer der sogenannten Kulturflatrate möchten Pauschalabgaben beispielsweise auf Breitband-Anschlüsse erheben, und die Einnahmen dann an Kreative ausschütten. Dieser Ansatz ist aber über den Status einer Idee nicht hinaus.

Der lachende Dritte

Solange die beteiligten Parteien weiter darüber streiten, welche Spielregeln im Netz gelten sollen, profitiert allein die Berufsgruppe der Anwälte von der Urheberrechts-Misere. Abmahn- und Klagewellen sind ein lukratives Geschäft. Kreative und Verbraucher haben das Nachsehen.

Quelle:

Dossier "Creative Commons: Kopieren erwünscht" des NDR http://www.ndr.de/meinnorden/mitnehmen/creative_commons/urheberrecht2.html

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