Meike Richter, "Für Kreativität soll bezahlt werden" - Interview mit Lawrence Lessig über Creative Commons (2011)

Das Internet ermöglicht das Verteilen kreativer Werke, das klassische Urheberrecht setzt dem freien Tauschen Schranken. Und das, obwohl viele Filmemacher oder Musiker ihre Werke online zur Verfügung stellen möchten. Die Urheberrechts-Initiative Creative Commons möchte dieses Dilemma lösen. Auf ihrer Webseite stellt Creative Commons kostenlos Lizenzen zur Verfügung, die Urheber nach ihren Wünschen per Mausklick zusammenstellen können. NDR Online sprach mit dem Stanford-Professor und Verfassungsrechtler Lawrence Lessig, dem Gründer der Initiative.

NDR Online: Mr. Lessig, warum haben Sie Creative Commons ins Leben gerufen? Was passt Ihnen nicht am "klassischen" Urheberrecht?

Lawrence Lessig: Ich bin kein Gegner des Urheberrechts. Ich kritisiere aber, dass es für viele Urheber keinen Sinn mehr macht, und das gilt besonders im Internet. Die Vorgabe "alle Rechte vorbehalten" - das Grundprinzip des klassischen Urheberrechts - ist nicht das, was die meisten wollen, die im Netz ihre Werke zur Verfügung stellen. Creative Commons ist für diese Urheber ein einfacher Weg, um ihre Werke mit bestimmten Freiheiten auszustatten. So können sie beispielsweise erlauben, dass andere ein Musikstück vervielfältigen dürfen. Zu kommerziellen oder zu nicht-kommerziellen Zwecken.

NDR Online: Welche Ziele verfolgt Creative Commons?

Lawrence Lessig: Creative Commmons macht es den Menschen einfacher, kreative, wissenschaftliche und bildungsrelevante Werke zu teilen, wiederzuverwenden und mit anderen Inhalten zu mischen. Und zwar legal.

NDR Online: Klassisches Urheberrecht sorgt dafür, dass Kreative für ihre Werke Vergütung bekommen. Creative-Commons-Lizenzen erlauben beispielsweise das freie Remixen und Vervielfältigen von Musik. Zerstört Creative Commons die Einnahmequelle der Künstler und Verlage?

Lawrence Lessig: Klassisches Urheberrecht gewährleistet nicht, dass Urheber vergütet werden. Vielmehr stellt es sicher, dass kreative Werke nicht ohne Erlaubnis der Urheber legal von anderen genutzt werden dürfen. Diese Kontrolle lässt sich aber nicht zwangsläufig - in den meisten Fällen übrigens gar nicht - in Einkommen für den Schöpfer übersetzen. Creative-Commons-Lizenzen machen es Urhebern einfach, ihre Werke mit bestimmten Freiheiten auszustatten. Viele entdecken, dass sich diese Freiheiten auszahlen. Es kommt ihnen zugute. Entscheidend ist doch: Creative-Commons-Lizenzen werden immer und nur vom Urheber ausgewählt. Die Kreativen sollten diese Lizenzen nur wählen, wenn sie ihnen nützen - in wirtschaftlicher wie in ethischer Hinsicht.

NDR Online: Höhlt Creative Commons das Urheberrecht aus? Untergräbt es die Rechte der Schöpfer?

Lawrence Lessig: Jede Creative-Commons-Lizenz basiert auf dem Urheberrecht, jede drückt die Rechte der Künstler aus. Es gibt einen Netzwerkeffekt mit Creative Commons: Jede Lizenz vergrößert die Zahl der Menschen, die auf das Urheberrecht vertrauen. Sie können ihre Rechte nur besser und flexibler handhaben. Ich glaube nicht, dass das Urheberrecht aufgeweicht wird, wenn ein Urheber seine Rechte auf eine andere Weise ausübt, als man es vom klassischen Urheberrecht her kennt. Ich glaube, dass Creative Commons die eigentliche Idee des Urheberrechts stärkt: Es richtet sich schließlich an die Urheber, sie sollten selbst kontrollieren und frei entscheiden können, wie sie mit ihren Rechten umgehen.

NDR Online: In Ihrem Buch "Freie Kultur" schreiben Sie, dass ein starkes Urheberrecht die Meinungsfreiheit bedroht und Innovation behindert. Warum?

Lawrence Lessig: Wenn das Urheberrecht nur festlegen würde, wie Werke vervielfältigt werden dürfen, gäbe es nichts zu beanstanden. Aber das Urheberrecht hat eine weit größere Reichweite. In einer Welt, wo jeder digitale Technologien benutzt, um kreative Werke herzustellen, sie mit anderen teilt oder sich von älteren Werken inspirieren lässt oder sie remixt, wird es problematisch. Dann wird die freie Meinungsäußerung behindert. Denken Sie beispielsweise an "The Grey Album" von DJ Dangermouse. Das ist ein Remix des "White Album" der Beatles und des "Black Album" von Jay-Z. Der Remix hatte mit den Originalen nichts mehr zu tun - mehr noch, er hat das Interesse für die ursprünglichen Alben erhöht. Trotzdem haben die Anwälte der Beatles alle juristischen Hebel in Bewegung gesetzt und DJ Dangermouse verboten, das Werk zu verbreiten.

NDR Online: Was raten Sie Künstlern, Rechte-Inhabern und der Medienindustrie? Wie sollten sie mit dem Internet umgehen? Wie sollten sie auf die Herausforderungen der digitalen Technologien reagieren?

Lawrence Lessig: Experimentiert! Künstler brauchen Freiheit, um experimentieren zu können. Seid offen, um Sachen auszuprobieren! Hört nicht auf die Leute, die glauben, dass es die einzige Aufgabe der Regierungen sei, mithilfe des Rechts das große Potenzial zu zerstören, dass das Internet uns allen bietet! Für Kreativität soll bezahlt werden. Wir müssen neue Wege finden, um das zu erreichen.

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