Marlies Schumann, Medienbildung für Klein- und Vorschulkinder - Warum? (19.03.04)

"Mir ist aufgefallen, dass man bei uns die Computerkompetenz viel zu spät vermittelt - das hat mit unserer Bewahrpädagogik in Kindergärten und Schulen zu tun. Und wenn Computerkompetenz vermittelt wird, wie wird sie vermittelt? Als Informatik! Vermittelt wie Technik, wie Mathematik. Es gibt sicher einige Kinder, die auch das interessiert, die haben dieses analytische Denken. Aber die vielen anderen, sagen wir 80%, die interessiert das Thema nicht von dieser Seite. Die werden auch das irgendwann lernen, wie ein Schulfach. Aber diese Spontaneität, dieses intuitive Herangehen mit roten Backen und glänzenden Augen, das ist im späten Schulalter längst vorbei"......
Dieses ist ein Zitat aus dem Buch "Weltwissen der Siebenjährigen" von Donata Elschenbroich.

Auch wenn in der medienpädagogischen Fachöffentlichkeit heute weitgehend Konsens herrscht, dass Medienerziehung im vorschulischen Bereich beginnt, so finden wir die Akzeptanz in der Kita- und Grundschulöffentlichkeit noch nicht immer. So ist mir zumindest ein Berliner Bezirk bekannt, der den Einsatz von Computern für Kinder verbietet. Auch bei vielen Erzieherinnen ist immer noch eine grundsätzliche Medienfeindlichkeit festzustellen. Vor allem der Fernseher, das Videospiel und der Computer werden für auffälliges, negativ bewertetes Verhalten von Kindern verantwortlich gemacht.

Bei allen Auseinandersetzungen um "Kinder und Computer" bleiben die Erwachsenen meist unter sich: Eltern diskutieren mit Erzieherinnen, Eltern werden von Medienpädagoginnen beraten, Politikerinnen befürworten oder verteufeln, Journalistinnen suchen nach tollen Schlagzeilen. Und schon ist es passiert, dass man die Hauptbetroffenen aus dem Blickfeld verliert. Denn es geht um die Kinder und um ihren Umgang mit den neuen Medien. Es geht auch nicht um die Abschaffung echter, realer, sinnlicher Erfahrungen oder um ausschließliche Lerntechniken und es geht ebenso wenig um romantische Idealvorstellungen von Kindheit, so traumhaft schön sie Erwachsenen auch erscheinen. Denn die digitalen Welten machen vor dem Kinderzimmer nicht halt.

Als ich 1996 an einer Studienfahrt nach Israel teilnahm, besuchten wir auch Kindertageseinrichtungen in Tel Aviv. Wie erstaunt waren meine Kolleginnen und ich, dort in den Einrichtungen ganz selbstverständlich Computer für die Kinder vorzufinden. Meist standen zwei in jedem Gruppenraum, neben Bauecke, Puppenecke und Malecke. Ganz selbstverständlich arbeiteten Kinder daran. Unsere Fragen dazu, setzten wiederum die dort tätigen Erzieherinnen in Erstauen, denn für sie war es ganz klar, dass der Computer zur Lebenswelt der Kinder und somit auch in den Kindergarten gehört.

Zurück in Berlin haben sich mehrere Erzieherinnen und Kita-LeiterInnen zu einer Arbeitsgruppe zusammengefunden, um den Einsatz von Computern in Kindertageseinrichtungen zu fördern und zu begleiten.

Damals wie heute sind für mich folgende Aspekte von grundlegender Bedeutung:

  • 1. soziale Chancengleichheit
  • 2. emanzipatorische Erziehung
  • 3. Medienkompetenz.

Zu erstens: Es besteht die Gefahr, dass insbesondere Kinder aus bildungsbenachteiligten und/oder finanziell schlechter gestellten Familien zu den Verlierern der zukünftigen gesellschaftlichen Informationsverteilung werden. In einer Studie des Deutschen Jugendinstituts wurde festgestellt, dass jenen Kindern Nachteile entstehen, denen ein früher Zugang zum Computer verwehrt wird.

Zu zweitens: Die Medien- und Computertechnologie wird wieder einmal männlich dominiert. Dieser Umstand hat selbstverständlich Auswirkungen auf die geschlechtsspezifische Sozialisation von Jungen und Mädchen. Selbst in einer kleinen Befragung von 65 Kindern in Kindertagesstätten des Berliner Bezirks Reinickendorf Ende der 90ger Jahre stellte die Arbeitsgruppe "Kids und Computer" fest, dass der Zugang zu Computern im Vorschulalter keine geschlechtsspezifischen Unterschiede aufweist. Aber schon etwa ab der 2. Klasse geht das Interesse an und auch der reale Umgang mit dem Computer bei Jungen und Mädchen deutlich auseinander. Immer mehr Mädchen distanzieren sich, während viele Jungen ihn immer intensiver nutzen. Die Computerfreaks sind zunächst fast ausschließlich Jungen. Wenn Mädchen jedoch mit dem Computer umgehen, dann stellt sich auch bei ihnen, ebenso wie bei den Jungen, Spaß und Begeisterung ein. Deshalb ist es auch unser Anliegen in der Kita, genau auf geschlechtstypisches Aneingnungsverhalten Acht zu geben und ggf. Mädchen entsprechend zu motivieren.

Und zu drittens: Heute wachsen Kinder von Geburt an mit unterschiedlichen Medien der Informationsvermittlung auf. Wir sehen es als unsere Aufgabe in der Bildungseinrichtung Kindertagesstätte, den Kindern frühzeitig den sachgerechten, verantwortungsvollen und selbstbestimmten Umgang mit den Medien zu vermitteln. Wir sehen es so, wie es auch im Bayerischen Bildungsplan ausgedrückt wird, dass der kompetente Umgang mit Medien den Stellenwert einer Basiskompetenz erlangt.

Für unsere Arbeit in der Kindertagesstätte ist auch völlig klar, dass das Thema "Medienbildung und Medienerziehung" nur in Zusammenarbeit mit Eltern gelingen kann, denn Kinder nutzen Medien (Fernsehgerät, Computer, Videospiele) oft zuerst und vor allem zu hause.

Unsere Erfahrungen in den vergangenen acht Jahren haben sich auch im Bereich der El-ternarbeit sehr verändert. Standen 1996 noch viele Eltern sehr zurückhaltend, skeptisch bis ablehnend dem Einsatz des Computers in der Kita gegenüber, so ist es für uns heute wesentlich leichter, den Eltern den Grund unserer Medienarbeit zu erläutern bzw. wird auch öfter direkt nachgefragt, ob wir Computer haben.

Zu einer qualitativ guten, den Erfordernissen entsprechenden, medienpädagogischen Arbeit sowie deren Vermittlung ist aber eine entsprechende Qualifikation der Erzieherinnen erforderlich. Wir brauchen Erzieherinnen, die keine Scheu vor dem Medium haben, ebenfalls medienkompetent sind. Dieses muss in der Zukunft über eine veränderte Ausbildung und über ausreichende Fortbildungsmöglichkeiten gewährleistet werden.
In unserer Kita haben wir das Glück durch die Teilnahme am KidSmart-Projekt, dass alle Mitarbeiterinnen fortgebildet wurden.

Ich möchte meinen Vortrag mit einem zweiten Zitat aus dem bereits eingangs erwähnten Buch abschließen: "Einen sinnvollen Umgang mit dem Computer. Das läuft nicht ganz von selbst. Der Computer ist für jedes Kind zunächst etwas Fremdes. Computerisierte Abläufe gibt es zwar an jeder Ecke, aber wir sind dafür verantwortlich, dass die Kinder diese künstlich geschaffene Umwelt verstehen lernen...."

Marlies Schumann, Leiterin der Kita Tausendfühler, Berlin-Spandau