Ingeborg Kellner, Christiane Morbach, Darstellung des Menschen - Portraits

Auszug aus einer medienpädagogischen Handreichung der Landesbildstelle Berlin (1997)

Entdeckendes Lernen mit dem Ziel der Aktivierung, Differenzierung und Sensibilisierung sollte die Art des Umgangs mit Kunst kennzeichnen, und zwar gleichermaßen in rezeptiven wie produktiven Phasen des Unterrichts. Das vorliegende wie auch das entstehende Kunstwerk sollen als Wahrnehmungsanlass begriffen werden. Die Schüler sollen erkennen, dass die Mannigfaltigkeit des Daseins, seine Widersprüchlichkeit, der prozessuale Charakter von Erscheinungen an Kunst ablesbar und mit Kunst gestaltbar sind. Über die aktive, selbständig wahrnehmende Auseinandersetzung soll die Neugier geweckt und Freude am Erkennen und Gestalten erreicht werden. Ob der Weg von theoretisch-analytischen Annäherungen zur praktisch-erlebnisorientierten oder umgekehrt gewählt wird bzw. "nur" die eine oder andere genutzt wird, ist sicherlich von untergeordneter Bedeutung.

Der medienpädagogische Baustein "Darstellungen des Menschen - Portraits" versteht sich als ein Arbeitsmaterial für Lehrer, das auszugsweise benutzt werden kann, je nach didaktischer Schwerpunktsetzung. Die Lichtbildauswahl erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern repräsentiert einen Querschnitt durch die Vielfalt bildnerischer Darstellungsmöglichkeiten zum Thema "Portrait". Dabei werden die Bereiche Malerei, Grafik, Plastik, Fotografie, Kunstgewerbe, Werbung etc. bewußt nicht getrennt, da gerade die Gegenüberstellung und das Vergleichen unterschiedlichen Bildmaterials zu einem Thema die Schüler eher zu einer Auseinandersetzung motivieren oder auch provozieren kann.

Die Fotografie als künstlerischem Medium kommt im Zusammenhang mit der vorgegebenen Thematik besondere Bedeutung zu. Fotografierte Gesichter können je nach Grad der Veränderung, zum Beispiel durch Schminke, Licht, Mimik, Gestik oder Accessoires, vermeintliche Stimmungen oder sogar Charaktereigenschaften des Portraitierten ablesbar machen und sie dem Betrachter als Wirklichkeit suggerieren. Indem der Betrachter bestimmte Zeichen bestimmten Bedeutungen zuordnet, wird auch sein Verhalten von Zuneigung oder Ablehnung bestimmt. Zeichen als Bedeutungsträger dienen somit nicht nur der Vermittlung von Urteilen, sondern auch der Verstärkung von Vorurteilen.(1) Diese zu veranschaulichen, um es im Unterricht kritisch zu reflektieren, ist weitere Zielsetzung unseres Materials.

Als Einstieg in die Thematik "Darstellung des Menschen - Portraits" eignen sich vornehmlich die Lichtbilder aus den Bereichen Schminken (Dia-Nr. 89-108), Masken (Dia-Nr. 79-86) und Comics/Pop-Art (Dia-Nr. 62/63).
Es sind Bereiche, zu denen die Schüler einen unmittelbaren Bezug haben, zum einen durch ihre bisherige visuelle Erfahrung damit, zum anderen durch das praktische Tun selbst (Schminken von Gesichtern, Basteln von Masken, Lesen/Zeichnen von Comics.

Vorschläge zur Bild- bzw. Objektbetrachtung

Für die rezeptive Annäherung an bildnerischen Objekten bieten sich nach wie vor traditionelle Fragestellungen an, die modifiziert und ausgewählt zum Verständnis von Kunst beitragen können:

1. WAS ist dargestellt? (Beschreibung / Inhalt der Nachricht)
Was ist auf den ersten Blick zu sehen?
Wer ist dargestellt?
Wer war oder ist das?
Was ist besonders auffällig?
Wer war oder ist der Künstler?

2. WIE ist es dargestellt? (Analyse/Form der Nachricht)
Wie ist das Portrait dargestellt?
malerisch, grafisch, plastisch (Technik/Material)
realistisch, verfremdet
Ansicht: Frontalansicht, Profil, Dreiviertelansicht
Ausschnitt: Kopfstück, Brustbild, Kniestück/Dreiviertelfigur
Mimik und Gestik als Ausdruck von Freude, Trauer, Hass, Erstaunen, Wut, Angst,
Gleichgültigkeit, Verträumtheit...
Art der Kleidung
Art der Haartracht
Art der Accessoires

Wie ist das Bild aufgebaut?
Vordergrund/Hintergrund
Figur/Grund-Verhältnis

Wie sind Raum und Fläche behandelt?
Zentralperspektive
Farbperspektive
Raum durch Überschneidung
Raum durch Größenkontraste
Betrachtungsperspektive (Normalansicht, Vogel-, Froschperspektive)
Flächenformen (qualitativ, quantitativ)
Flächenkontraste
Binnengliederung von Flächen

Wie ist die plastische Form behandelt?
geometrisch, organisch
hart, eckig, weich, rund
scharf, zerfließend
raumergreifend, expansiv, blockhaft geschlossen
statisch, dynamisch
Oberflächenstruktur (rauh, glatt)

Welche Farben wurden benutzt?
quantitativ
qualitativ

Welches Malkonzept liegt zugrunde?
impressionistisch, expressionistisch, ...
Lokalfarbe, Erscheinungsfarbe, Ausdrucksfarbe, ...

Wie ist die Farbe aufgetragen?
deckend, lasierend, getüpfelt, gesprenkelt, vertrieben, ...

Welche Farbbeziehungen gibt es?
Kalt-Warm-Kontrast
Komplementar-Kontrast, ...

Wie sind die Linien eingesetzt?
Richtung, Bewegung, Verlauf
Stärke, Dichte
Formbezug (Linie als Umriss)
Linie als Muster
Linie als Ornament

Welche Hell-Dunkel-Qualitäten gibt es?
Grad des Hell-Dunkel-Kontrastes
Abgrenzung zwischen Hell-Dunkel (hart, fließend, ...)
Dominanz heller oder dunkler Bildteile
Verhältnis von Hell-Dunkel zur Form
Hell-Dunkel durch Licht/Beleuchtung

Welche Ordnungsprinzipien sind sichtbar?
Ballung, Reihung, Streuung
Symmetrie, Asymmetrie, ...

3. WARUM ist es so dargestellt? (Interpretation / Frage nach dem Zweck)
Zeitliche und stilistische Einordnung des Kunstwerks
seine Stellung und Bedeutung im Gesamtwerk des Künstlers
Bedeutung des Kunstwerks im Zusammenhang mit der Biografie des Künstlers
Bedeutung des Kunstwerks als Zeitdokument
Bedeutung des Kunstwerks in der Geschichte des Genres 'Portrait'
Moralisierende, belehrende, kritische Aussage des Kunstwerks
Mythologische, allegorische oder symbolische Bedeutungsebenen (Ikonografie)
Bedeutung des Kunstwerks in der Zeit seiner Entstehung
Bedeutung des Kunstwerks in bezug auf die Gegenwart
Persönliche, subjektive Wertung des Kunstwerks

Anregungen zum praktisch-erlebnisorientierten Umgang mit dem Thema "Portrait"

Wer bin ich? Wer bist du?
Die Banknachbarn zeichnen sich gegenseitig. Zu Hause zeichnet jeder Schüler ein Selbstportrait. Im Unterricht reflektieren sie über die Ergebnisse (s. Grundschule, 12/85)
Fächerübergreifend: Schüler dichten anonym zum Thema "Ich" und "Du".
Die entstandenen "Elfchen" (11-Wörter-Gedichte) werden im Tonstudio der LaBi gesprochen. Eine Tonkassette entsteht. (Medienpäd.) Aus den Portraits und Gedichtvorträgen kann ein Video entwickelt werden.

Zeitzeichen (Ich im Heute)
Schüler portraitieren sich und versuchen, ihr momentanes Umfeld bzw. Problemfeld mit zu erfassen. Verbale schriftliche Reflexionen ergänzen die Zeichnungen. (s. Kunsterziehung, 4/91)
Die Bilder werden mit dem Video aufgenommen, die Reflexionen aus dem Off gesprochen. Ein Video entsteht.

Klassenbuch - einmal anders
Schüler stellen eine Fotografie von sich in das Zentrum einer Malarbeit zum Thema: "Ein Stück Leben". Alle Arbeiten werden über einen Farbkopierer vervielfältigt, und aus der Sammlung wird ein "Klassenbuch" gefertigt.

Durch ein Prisma gesehen
Schüler kopieren eine Portraitfotografie von sich mehrmals und zerschneiden die Kopien in gleicher Weise. Die jeweils gleichen Schnittteile werden aneinandergesetzt.

Zerfetzt
Ein Bildnis wird auseinandergeschnitten, die Teile werden auseinandergezogen, evt. einige weggelassen, die freien Stellen werden durch Zeichnen, Malen oder ausgewählte Materialien ergänzt.

Auf der Spur
Ein Schüler fotografiert einen anderen mit ca. 25-30 Momentaufnahmen in der Bewegung innerhalb eines relativ begrenzten Raumes, der jedoch Aussagen über die Individualität des "Fotoobjekts" beinhalten muss. Die einzelnen Fotos werden "offen" aneinandergesetzt, so dass für das Auge des Betrachters verschiedene Zugänge (Annäherungen) möglich sind. (s. Video 425 2102, David Hockney - Maler und Fotograf)
Entdeckungsfahrt Kunst
Ein Bildnis wird mittels einer Kamera ikonographisch abgetastet, vom Detail zur Totalen und umgekehrt. Ein Video entsteht.

Zurück zur Natur
Früchte und Materialien werden gesammelt und in Anlehnung an Arcimboldo zu Portraits zusammengesetzt. (s. Video 420 0513 Beiträge zur Medienerziehung: Wahrnehm-Geschichten 1-3)

Strukturen
Die Schüler suchen reliefartige Strukturen und übertragen sie mittels Durchreibeverfahren auf Papier und lassen intuitiv Masken entstehen. (s. Video 425 2867, Max Ernst - Mein Vagabundieren. Meine Unruhe)
Frottage

Mein Stil
Schüler kopieren 3 Bildnisse unterschiedlichen Malstils in Farbe. Anschließend wählen sie einen Malstil aus, um die Kopie eines Portraitfotos in dem ausgewählten Malstil umzusetzen.

Begreifen
Schüler ertasten mit verbundenen Augen Skulpturen und beschreiben ihre Entdeckungen. Ein Tonband entsteht.

Vom Ich zum Wir
Schüler zeichnen sich, malen sich, fotografieren sich (Einzelportraits) und filmen mit der Videokamera, z.B. ihre schulische Atmosphäre. Die Portraits werden mittels Trick in die Realaufnahmen eingeblendet. Ein Video entsteht.

Durchs Schlüsselloch gesehen
Ein Bildnis mit vielen Details wird mittels Projektor stark vergrößert auf die Leinwand projeziert. Die Schüler formen sich ihr "Schlüsselloch". Ein Zeichenblatt wird zur Röhre gerollt und auf eine Stelle des Bildes gerichtet. Nacheinander erklären die Schüler den anderen, was sie sehen.

Die Jahreszeiten des Lebens
Die Schüler sammeln Fotos und Reproduktionen von Kunstwerken, die Menschen in unterschiedlichen Lebensaltern zeigen. Sie reflektieren über Allgemeingültiges und Individuelles, Spezifisches. Sie diskutieren den "Wert" des jeweiligen Lebensalters und befragen sich selbst und andere Menschen dazu. Die gesammelten Bilder werden mit den Aussagen zu einem Buch verbunden, evt. mit Lyrik, Zitaten und Sprichwörtern ergänzt.


Wir verstehen unsere Anregungen nur als Impulse. Weiterführende und ausführliche Anregungen finden Sie z.B. in der Bibliothek des BIL (s. Literaturangaben) und in den Angeboten des Museumspädagogischen Dienstes sowie in Fortbildungskursen.

Fortbildungsangebot zum Thema Portrait"

"Klassenbuch - einmal anders"
Die Foto-Collage als künstlerisches Ausdrucksmittel

Ein jahrgangsunabhängiges, medienpädagogisches Projektangebot zur Förderung von Kreativität, Sensibilität, Kommunikation, Identitätsfindung sowie zur Intensivierung sozialer Beziehungen.

Portraits der besonderen Art entstehen. Das Projekt soll Anlass sein, sich selbst zu suchen, zu finden, sich anderen mitzuteilen auf ganz individuelle Weise, den anderen zu entdecken und ins Gespräch zu kommen - über Eigenheiten, Vorlieben, Lebensart und Lebenssinn.

Vorkenntnisse sind nicht erforderlich.

Geeignet auch als Schulprojekt: "Schüler stellen sich vor."

Leitung: Ingeborg Kellner, Landesbildstelle Berlin

Fächerübergreifende Anknüpfungspunkte

Deutsch: Arbeit am Ausdruck (Personenbeschreibung)
Arbeit am Adjektiv (Adjektive, die Gefühlszustände, Wesensarten und äußere Erscheinungsbilder von Personen beschreiben)
Darstellendes Spiel (mimische Ausdrucksformen)
Literatur (Dichterportraits)

Sachkunde: Briefmarken, Münzen

Geschichte, Erdkunde, Biologie, Musik, Sport, Ethik:
Bedeutende Persönlichkeiten

(1) Vergl. hierzu: Dia-Reihe und Begleittext 105 1897 / Zeichen - Mittler menschlichen Verhaltens