Klimakrise, Coronavirus, Migrationsdebatte - Wie man Falschmeldungen entlarvt und diese kontert (2021)

Impulsreferat von Ingrid Brodnig beim Online-Forum Kommunikationskultur 2020 der GMK (1)

Ich finde es, ehrlich gesagt, sehr beunruhigend, wieviel Falsches, Spekulatives bis hin zu Verschwörungserzählungen kursiert und wie Menschen das glauben. Obwohl es bei vielen falschen Behauptungen wirklich Warnsignale gäbe, dass man vorsichtig werden sollte. Ein Beispiel: Auf Telegram, der Messenger-App, versammeln sich viele Corona-Leugnerinnen und -Leugner und andere aufgebrachte Personen. Und die heizen sich dort regelrecht an. Ein ganz aktuelles Beispiel: Eine Userin postet folgende Meldung, ich lese Ihnen diese vor:

“Vollständiger Lockdown im Januar 2021 geplant! Nach dem gestrigen Treffen der Ministerpräsidenten sind nun weitere Informationen zur Bekämpfung der Coronakrise bekannt geworden. Es wurde festgestellt, dass das Tragen eines Mund- und Nasen-Schutzes keine Wirkung zeigt und die Maßnahmen drastisch verschärft werden müssen. Ein Mitarbeiter des Kanzleramtes fand diese im Abfall entdeckt und (hat) uns diese zur Verfügung gestellt und bat um Veröffentlichung. [...].“

Die Meldung geht noch weiter. Da wird also die Geschichte verbreitet, dass ein anonymer Mitarbeiter des Kanzleramtes top-brisante Unterlagen im Mülleimer entdeckt und irgendjemandem im Internet zur Verfügung gestellt hätte und nun stünde bevor, im Januar 2021 käme ein Lockdown. Das ist natürlich Unsinn. Und genau genommen beinhaltet diese Behauptung etliche Warnsignale: Je anonymer es klingt – “ein Mitarbeiter“ –, desto vorsichtiger sollte man werden. Die Realität ist aber, gerade in solchen Gruppen zum Beispiel passiert das nicht. Was war prompt die Antwort? Eine andere Userin schreibt, als Reaktion: “Vollständiger Lockdown, das ist Wahnsinn.“ Darauf wiederum antwortet eine weitere Person: "Das war doch nach dem Eklat des 18.11. klar! Ist die Frage, wann die KZ‘s eröffnen ...“ Das Beispiel zeigt in meinen Augen, wie furchtbar viele Diskussionen ablaufen: Es beginnt mit einer Falschmeldung, dass angeblich irgendein anonymer Mitarbeiter etwas Brisantes entdeckt hätte – und schließlich landet man in der Debatte bei einem zutiefst problematischen Vergleich, bei dem eine historische Parallele der Corona-Politik zum Nationalsozialismus hergestellt wird und eine Person behauptet, Konzentrationslager würden womöglich eröffnet. Das wiederum passt zur Verschwörungserzählung, dass die deutsche Bundesregierung insgeheim eine Corona-Diktatur planen würde oder dass Deutschland sogar bereits eine Diktatur wäre. Das ist schon faszinierend, in wie wenig Schritten man bei solchen Online-Diskussionen zu total dystopischen Vorstellungen kommt und auch zu einer Verharmlosung des Nationalsozialismus. Aber das sind die Zeiten, in denen wir leben. Es ist so, dass gewisse Streithemen in unserer Gesellschaft die übelsten Reaktionen und auch die übelsten Formen von Spekulationen, Halbwahrheiten bis hin zu Verschwörungserzählungen auslösen.

Ein Teil der Problematik sind natürlich auch digitale Plattformen. Ich habe absichtlich ein Beispiel von Telegram mitgebracht, weil sich dort einerseits die corona-wütenden Userinnen und User stark versammeln. Und zudem ist bei ihnen Telegram so beliebt, weil die Plattform nicht eingreift. Selbst problematischste Inhalte werden nicht gelöscht, die beispielsweise bei Facebook mittlerweile oft gelöscht werden. Das sage ich nicht einfach so, es gibt mittlerweile schon ein paar Zahlen, die interessant sind. Jugendschutz.net hat zum Beispiel getestet, was passiert, wenn sie problematische Inhalte aus der rechten Szene an Telegram melden. Da wurden über 200 Posts gemeldet, zum Beispiel wegen verbotener Kennzeichen oder wegen Volksverhetzung oder wegen Holocaustleugnung. Und von diesen mehr als 200 gemeldeten Post wurden rund 90 Prozent nicht von Telegram entfernt (siehe Jugendschutz.net 2020: 8).

Das gibt mir schon zu denken, wenn selbst die krassesten Formen der Rede, die in Deutschland nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, wenn die stehen bleiben dürfen. Es gibt hier schon eine Verantwortung der Plattform, die aber zum Teil negiert wird. Wir sehen, dass diejenigen, die besonders problematisch kommunizieren, vielleicht menschenfeindliche Einstellungen haben oder mit Verschwörungserzählungen Stimmung machen, dass die auf solche Plattform ausweichen. Die Userinnen und die User, die auf Telegram Verschwörungsmythen miteinander teilen, sind nur ein kleiner Teil der Bevölkerung – nur die Gefahr ist, dass sich dort diese Menschen zunehmend anheizen.

Ich muss aber sagen, Technik und digitale Plattform sind nicht der einzige bedeutende Aspekt. Sehr relevant ist der Mensch an sich. Darüber werde ich heute vor allem sprechen. Nämlich zum Ersten: Warum ist das so, dass Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen in manchen Themengebieten so erfolgreich sind? Was hilft der Halbwahrheit oder der glatten Lüge, so erfolgreich zu sein? Da geht es sehr stark um den Menschen und seine Denkmuster an sich. Zweitens: Welche fiesen Methoden kann man dann konkret immer wieder beobachten? Denn es gibt so ein paar Tricks, die immer wieder vorkommen, und wenn man darauf achtet, dann tut man sich leichter, das zu erkennen und auch anderen zu erklären, was hier passiert. Und das dritte Thema, worüber ich sprechen werde, sind Möglichkeiten der Aufklärung. Was kann man tun, wenn man an Aufklärung interessiert ist und bei Menschen auch die Schutzmöglichkeit vor Desinformation, die Abwehrmechanismen verstärken möchte. Wenn man möchte, dass auch andere geschützter sind und sensibilisiert werden, genauer hinzuschauen. Ich glaube, wir können es womöglich schaffen, dass es eine Spur besser wird.

Warum so erfolgreich?

Aber gehen wir gleich auf die erste Frage ein. Warum sind Desinformation, Halbwahrheiten und Spekulationen so erfolgreich? In meinen Augen spielen Emotionen eine wichtige Rolle, denn Inhalte, die emotionalisieren, erzielen bessere Reichweiten. Dazu gibt es interessante Untersuchungen. Wir sehen immer wieder, dass emotionale Posts weitere emotionale Posts auslösen. Das nennt man Emotional Contagion (deutsch: Gefühlsansteckung), also es wirkt eine emotionale Ansteckungskraft (vgl. Ferrara/Yang, 2015).

Ich würde auch davon ausgehen, dass Inhalte oder Behauptungen, die bei Menschen zum Beispiel Wut auslösen, stärker herumreisen, weil es diese zum Teilen aktiviert. Dazu gibt es interessante Untersuchungen – zum Beispiel diese: Es geht darin nicht um Desinformation, sondern um seriöse Artikel von der Website der New York Times. Die New York Times ist ein respektiertes Medium. Und wenn Sie einen Artikel der New York Times lesen, können Sie daneben auch auf einen Knopf klicken und den Artikel an Bekannte verschicken. Die Wissenschaftler*innen John Berger und Katherine L. Milkman hatten eine ziemlich gute Idee. Sie haben sich gedacht, wir schauen uns jetzt an, welche Artikel von Menschen stark per E-Mail weitergeleitet werden und ob Emotionalität hier eine Rolle spielt. Kurz gesagt, sie wollten wissen, ob Emotionalisierung in Artikeln zu einer stärkeren Viralität führt (vgl. Berger/Milkman 2012). Und tatsächlich war es so, dass Emotionalität dazu führte, dass Artikel stärker weitergeleitet wurden und dass manche Emotionen besonders viral waren. Die gute Nachricht ist: Artikel, die erfreutes Staunen (im Englischen: “Awe“) auslösten, wurden besonders stark herumgereicht. Für unseren Kontext ist aber auch eine zweite Beobachtung relevant, nämlich auch Wut war eine sehr erfolgreiche Emotion. Denn auch ein Artikel, der Wut auslöste, hatte eine um ein Drittel erhöhte Chance, viral zu werden. Und auch Artikel, die Besorgnis auslösen, wurden stärker geteilt. Das ist für unseren Kontext sehr relevant, weil natürlich Falschheiten, Halbwahrheiten und Verschwörungserzählungen oft genau so formuliert sind, dass Leute wütend werden, dass sie sich über eine Gruppe ärgern, vielleicht Minderheiten, die sie ohnehin schon nicht mögen, indem bestehende Feindbilder angesprochen werden. Und gerade auch Verschwörungserzählungen schüren Wut, zum Beispiel auf eine dunkle Elite, die angeblich alles steuert. Das Problem ist jedoch, dass im Vergleich dazu Aufklärung oft spröde, komplex, unemotional ist. Auch ist die Realität oft ungewiss. Das zeigt übrigens auch das Beispiel von vorher, bei dem die Userin behauptete, im Januar 2021 stünde ein Lockdown bevor. Sie hat zwar keinen Beleg, aber sie emotionalisiert. Und wenn Sie die Maßnahmen gegen das Coronavirus ablehnen, wenn Sie die Lockdowns für eine Bösartigkeit halten, dann werden Sie sich womöglich über so eine Meldung aufregen. Solche Geschichten sind so formuliert, dass Menschen regelrecht wütend werden und das unreflektiert teilen. Emotionen sind ein Erfolgsfaktor.

Dazu möchte ich gleich einen ersten Tipp mitgeben: Gerade, wenn man Aufklärung leisten möchte, finde ich, sollte man Menschen sagen, pass auf deine eigenen Emotionen auf. Wenn man im Netz etwas liest und man denkt sich, das ist so arg, das muss ich sofort allen weitererzählen, dann sollte man genauer hinschauen. Manches, was ärgerlich oder unbehaglich ist, ist wahr – aber eben nicht alles. Und starke Emotionalisierung ist ein Warnsignal, dass man vorsichtig werden sollte. Und noch mehr als das: Verschwörungserzählungen und Falschheiten profitieren nicht nur von ihrer Emotionalität – es kann auch sein, dass solche Geschichten ein emotionales Bedürfnis bei manchen Menschen erfüllen. Speziell bei Verschwörungsmythen wird das deutlich. Denn warum sehen wir gerade so viele Verschwörungsmythen? Weil wir uns in einer ungewissen Situation befinden.

Wenn Menschen verunsichert sind, wenn sie das Gefühl haben, der Boden wurde unter ihren Füßen weggezogen, dann kann passieren, dass manche stärker auf Verschwörungserzählungen einsteigen. Verschwörungsmythen sind ein Weg, scheinbar Sinn auch aus großen Weltereignissen oder verunsichernden Situationen zu machen. Ich habe es schon angeschnitten, die Realität ist oft komplex. Die Realität ist oft auch verunsichernd. Wenn ich jedoch an eine Verschwörungserzählung glaube, dann habe ich Gewissheit.

In einer ungewissen Zeit kann eine Art sein, dass man Verschwörungsmythen als große Erklärung heranzieht – es ist wahrscheinlich nicht die sinnvollste Bewältigungsstrategie. Hinzu kommt noch: Wenn ich mit Menschen aus dieser Szene spreche oder mit Leuten, die ausgestiegen sind, dann fällt mir oft eines auf: Verschwörungsmythen können auch ein Gefühl der Selbstbestätigung geben. Verschwörungsgläubige haben oft das Gefühl, sie kämpfen für etwas Gutes, und sie haben etwas durchschaut, das der Rest noch nicht gecheckt hat. Also man ist Teil einer Minderheit, die aber irgendwie cleverer als der Rest ist. Und viele dieser Bilder, die solche Personen dann teilen, die spiegeln nun genau das wider. Sie nennen uns anderen nämlich die “Sheeple“ (deutsch: Schlafschafe), die wie dumme Herdentiere mitlaufen. Wir sind demnach die ahnungslosen Mitläufer und Mitläuferinnen. Dazu gibt es eine interessante Untersuchung: Die Psycholog*innen Roland Imhoff und Pia Lamberty haben einmal Folgendes beobachtet: Sie sahen, dass Menschen, die ein hohes Bedürfnis nach Einzigartigkeit haben, tendenziell eher auch eine Verschwörungsmentalität aufweisen. Es gibt einen leichten Zusammenhang zwischen dem Bedürfnis nach Einzigartigkeit und der Verschwörungsmentalität (vgl. Imhoff/Lamberty 2017).

All das führt zu etwas Wichtigem: Wir versuchen oft, auf einer reinen Faktenebene, Falsches oder Spekulatives zu kontern. Man muss aber sagen, der Erfolg solcher Meldungen ist doch nicht auf der Faktenebene begründet. Oft sind die Fakten sehr dünn oder gar nicht vorhanden. Es ist eher die emotionale Ebene oder auch das Wunschdenken von Menschen, aufgrund dessen solche Geschichten reüssieren. Dazu passt auch die dritte Erklärung für den Erfolg von Falschmeldungen: Das hat auch mit der Weltsicht zu tun. Eine Meldung, die mir gut ins Konzept passt, die werde ich eher glauben. Das nennt man übrigens auch den Confirmation Bias (deutsch: Bestätigungsfehler) und wir sehen bei sehr vielen Themen, dass natürlich jene, denen eine Meldung genau recht kommt, unreflektiert darauf einsteigen. Hier ein Beispiel: Aktuell heißt es immer wieder: Wer weiß überhaupt, ob Christian Drosten ordnungsgemäß promoviert hat? Das ist natürlich kompletter Humbug. Es gibt mittlerweile Faktenchecks zu dieser Frage – natürlich ist Christian Drosten ein renommierter Wissenschaftler. Aber bei solchen Meldungen geht es nicht um die Substanz, da geht es um den Drall, um die Bestätigung. Ein Teil der Menschen will partout nicht an die Ernsthaftigkeit des Coronavirus glauben und für diese ist Christian Drosten, der als warnende Stimme beim Coronavirus auftritt, natürlich ein Feindbild. Da hat eine Meldung, die Christian Drosten in einem schlechten Licht zeichnet, natürlich umso mehr Strahlkraft in dieser Szene.

Auch daraus kann man einen zweiten Tipp ableiten: Wenn mich eine Meldung sehr bestätigt, wenn ich mir denke, “ha, endlich zeigt das wer!“, dann sollte ich lieber vorsichtig werden. Und ich glaube, diese Vorsicht, die kann man anderen auch vermitteln.

Taktiken der Irreführung

Ich habe jetzt sehr viele Corona-Beispiele gebracht, aber das Ganze betrifft ja nicht nur dieses Virus. Wir leben generell in erhitzten Zeiten. Und bei jedem Thema, das ein gesellschaftliches Streitthema ist, müssen Sie damit rechnen, dass auch mit solchen unfairen Methoden gearbeitet wird. Ein Beispiel: Auch in der Klimadebatte wurde viel Falsches über Greta Thunberg verbreitet und auch über die anderen Jugendlichen, die demonstrieren gegangen sind, die Fridays for Future-Jugendlichen. Vielleicht haben sie das mitbekommen, da wurde dann auch mit Bildern hantiert. Hier zum Beispiel, man sieht einen Bahnhof in Zürich, und es hieß, ich lese Ihnen das vor: “So sah es nach der Klimademo aus. Ich bin stolz auf die Jugend, denn sie wissen um was es geht.“ Man sieht eine vermüllte Station und es heißt, das seien die Klima-Kids. Es wird suggeriert, die Klima-Kids tun so, als würden sie den Planeten retten wollen, aber in Wirklichkeit würden sie alles vermüllen. Dieses Posting wurde auf Facebook mehr als 2000 Mal geteilt. Dieses Posting ist eine Falschmeldung: Es wurde in einer Zeit gepostet, als die Klimadiskussion extrem erhitzt geführt wurde und sich manche über die jungen Demonstrant*innen extrem aufregten. Da passte dieser Beitrag gut zum Feindbild Fridays for Future. Aber tatsächlich wird hier etwas Falsches behauptet: Das Foto ist echt, aber es wurde in einen falschen Kontext gerückt. Das Foto ist schon Jahre alt und zeigt eine Parade in Zürich, wo offensichtlich stark gefeiert wurde und nachher sehr viel Müll herumlag. Das Ganze hat also nichts mit der Klimadebatte zu tun. Das ist einer der unfairen Mechanismen, die immer wieder auffallen, dass häufig mit Bildern getrickst wird. Bei manipulativen Bildern denken Leute oft an nachträglich bearbeitete Fotos oder Videos. Aber unseriöse Personen sind oft viel fauler: Oft werden Bilder nicht einmal nachbearbeitet, sondern es wird einfach altes Bildmaterial mit einer neuen Überschrift versehen – und damit ein falscher Kontext suggeriert. Auch das funktioniert, um Menschen zu täuschen.

Es ist sinnvoll, solche deutlichen Beispiele zu zeigen, wie mit Bildern getrickst wird. Denn, wenn ich solche Methoden aufzeige, steigert es die Chance, dass Leute in Zukunft bei manchen Bildern oder Bildüberschriften dann doch skeptisch werden. Es ist also sinnvoll zu überlegen: Ist das Bild echt und wird auch in der Bildunterschrift korrekt beschrieben, was darauf zu sehen ist?

Aber es gibt noch weitere Tricks, wie man Falsches oder Unstimmiges als solches entlarven kann. Zum Beispiel gibt es ein paar mühsame Argumentationsmuster, die wiederkehren. Auf diese kann man achten, man kann die Rhetorik und Logik näher analysieren, um zu erkennen, wie seriös eine Aussage ist. Wie schon erwähnt: In der Corona-Debatte kommen sehr viele schiefe Vergleiche. Zum Beispiel heißt es schnell, die Maßnahmen in der Corona-Politik seien vergleichbar mit dem Holocaust. Das ist eine furchtbare Aussage, es ist eine Verharmlosung der NS-Zeit. Und es ist ein schiefer Vergleich. Ich glaube, wenn Menschen wirklich glauben, dass die Corona-Politik vergleichbar mit dem NS-Regime wäre, dann wird es schwierig, sie argumentativ zu erreichten.

Aber es gibt auch andere schiefe Vergleiche, die nicht sofort für jede*n als solche erkennbar sind, und die weniger extrem sind. Das Coronavirus wird zum Beispiel oft auch mit einer Grippe verglichen. Das stimmt so nicht, das ist auch ein False Equivalency. Wenn etwas eine irreführende Analogie ist, dann kann man diese beiden Dinge miteinander vergleichen und schauen: Gibt es Unterschiede, wo man merkt, dass der Vergleich hinkt? Und wir sehen deutliche Unterschiede zwischen dem Coronavirus und den medizinischen Folgen, die es auslöst, und der Influenza. Wenn man als Laie oder Laiin an Covid-19 erkrankt und einen milden Verlauf hat, dann kann das ähnlich für einen sein wie die Grippe. Jedoch für das medizinische Personal auf den Intensivstationen sieht das Coronavirus sehr anders aus als die Grippe. Wir sehen zum Beispiel, dass es bei älteren Menschen wesentlich gefährlicher ist, wenn sie an dem Coronavirus erkranken. Ab 55 Jahren ist die Infektionssterblichkeit deutlich höher. Das ist also ein relevanter Unterschied. Zweitens kann man davon ausgehen, dass ein Teil der Bevölkerung gegen die Grippe bereits teilweise immun ist (weil Personen die Krankheit schon hatten oder sich impfen ließen). Aber zu Beginn der Pandemie war SARS-CoV-2 ein neues Virus, das für den Körper eine unbekannte Herausforderung darstellt, was ebenfalls einen wesentlichen Unterschied darstellt. Wenn solche Vergleiche aufgestellt werden, die schief sind, schauen Sie sich die verglichenen Objekte an und schauen Sie: Sind diese Dinge wirklich vergleichbar? Und dann kann man auseinanderdröseln, also genau analysieren, wie sich diese zwei Sachen unterscheiden.

Noch etwas Zweites passiert aber leider häufig: Wenn man mit Zahlen und der größeren Statistik kommt, dann werden solche Zahlen gerne ignoriert und weggewischt – und stattdessen irgendeine Anekdote eingestreut. Während die Wissenschaft oft mit Statistik und mit Langzeittrends kommt, kontern wissenschaftsleugnende Stimmen gerne mit Anekdoten. Da möchte ich Ihnen ein Beispiel aus der Klimadebatte geben, dass sie vielleicht selbst kennen. Die Klimadebatte ist auch ein Gebiet, in dem zum Teil polemisch oder mit Falschheiten agiert wird. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen hantieren zum Beispiel mit Langzeittrends, sagen, dass zwischen 1980 und 2005 die Temperatur der Meeresoberfläche um so und so viel Grad Celsius angestiegen ist – und dokumentieren damit die Erderhitzung. Und dann kommt jemand, der das infrage stellt oder kleinredet, und die Person bringt keine belastbaren Zahlen, sondern eine Anekdote. Das klassische Beispiel dafür ist tatsächlich Donald Trump, der das schon mehrfach gemacht hat. Wenn es im Winter kalt ist, dann postet er auf Twitter gerne Dinge wie das: “It‘s freezing outside, where the hell is "global warming"??“ – Also: “Es ist kalt da draußen, wo bitte ist die "Erderwärmung" geblieben??“ Das ist natürlich ein sarkastischer Kommentar, der sich darüber lustig macht, dass die Erde heißer wird. Dabei wird einerseits Wetter und Klima verwechselt, aber es kommt auch zu anekdotischer Beweisführung – nach dem Motto: Wenn es jetzt gerade kalt ist, dann bin ich mir nicht mehr sicher, ob der Klimawandel tatsächlich stattfindet. Das ist ein bisschen so, als würde man in der Nacht zum Himmel schauen und sich denken, es ist dunkel, ich bin mir nicht mehr sicher, ob die Sonne wirklich existiert. Das ist eben anekdotisches Denken, wenn der aktuelle Zustand als wichtiger bewertet wird als der größere, gut dokumentierte Trend.

Das Beispiel aus der Klimakrise ist recht offensichtlich. Ähnliches ereignet sich aber auch in der Corona-Debatte. Wenn ich mit Menschen spreche, die das Thema nicht ernst nehmen oder die wirklich viele Falschheiten glauben, dann heißt es oft: Ich kenne niemanden, der am Coronavirus gestorben ist, kennst du jemanden, der daran gestorben ist? Auch das ist anekdotisches Denken nach dem Motto: Weil ich niemanden kenne, der daran starb, kann das nicht so schlimm sein. Das ist eigentlich eine ganz furchtbare Argumentation, weil das eigentlich bedeutet, dass wir das Virus erst ernst nehmen, wenn jemand aus unserem Umfeld stirbt. Es ist sinnvoll, auf solche rhetorischen Muster wie anekdotische Beweisführung hinzuweisen – weil man solche Denkweisen auch ein Stück weit entlarvt. Man sollte zum Beispiel die Frage stellen: Moment, das ist eine Anekdote, aber spiegelt sie auch das größere Bild wider? Wenn sie das nicht tut, dann ist sie nicht so aussagekräftig.

Rhetorische Tricks und unlogische Argumentationsweisen zu erklären, das bezeichnen manche Wissenschaftler*innen als Inokulation. Denn man impft Menschen Abwehrmechanismen ein, in dem man unfaire rhetorische Muster oder logische Fehlschlüsse für sie verständlich macht. Zum Beispiel der Kognitionswissenschaftler John Cook macht sehr viel dazu. Die Überlegung ist Folgende: Wenn man Menschen wiederkehrende, unfaire Diskussionsstile, unlogische Taktiken beim Argumentieren aufzeigt, dann können sie sich in Zukunft leichter tun, das auch in anderen Themengebieten zu erkennen. Für die Bildungsarbeit erscheint mir das besonders interessant, dass man die Mechanismen von Irreführung in einem Themengebiet aufzeigt und damit Menschen die Chance gibt, das in Zukunft auch anderswo leichter zu erkennen.

Das Gute ist auch: Viele der krassen Falschmeldungen oder Verschwörungsmythen, die ich als Beispiel brachte, die glaubt nur eine kleine Minderheit. Das Wichtigste ist, dass wir der Mehrheit, den Bürgerinnen und Bürgern, den Schülerinnen und Schülern erklären, warum das nicht so logisch ist und wir hier auch vorbeugend Aufklärung bieten. Die zweite Frage ist aber auch: Wenn jemand etwas Falsches glaubt, davon getäuscht wurde, wie kann ich das der Person verständlich machen?

Chancen für Aufklärung

Zum Schluss möchte ich noch ein bisschen darauf eingehen, wie man reagieren kann, wenn solche Falschheiten kursieren. Wie kann ich etwas Absurdes oder Halbwahres auch für andere entlarven? Da gibt es schon ein paar Tipps, die man befolgen kann.

Der erste und in meinen Augen wichtigste ist: Fokussieren Sie auf das Richtige. Das Problem ist nämlich, wenn wir Menschen Falschheiten hören, dann sind wir oft so von der Falschheit schockiert, dass wir sie total wiederholen. Ich gebe ein Beispiel: In den USA gab es wirklich dieses absurde Gerücht, Barack Obama sei Moslem. Gerade manche Fans der Republikanischen Partei haben das wirklich geglaubt. Und wenn Menschen das aus der Welt räumen wollten, dann antworteten sie womöglich: “Nein, Barack Obama ist kein Moslem.“ Aber genau genommen wiederholt man dabei die falsche Behauptung und setzt lediglich ein “Nein“ oder “Kein“ davor. Doch selbst bei der Verneinung besteht die Gefahr, dass man durch die Wiederholung das falsche Gerücht sichtbarer macht. Was kann man da tun? Sinnvoller ist zum Beispiel zu sagen: “Nein, Barack Obama ist Christ.“ Also, dass Sie das Richtige in den Vordergrund stellen. Es gibt auch die Taktik des Truth Sandwiches. Diesen Begriff hat der Linguist George Lakoff begründet. Das Truth Sandwich besagt, es ist sinnvoll, auf Falsches hinzuweisen, aber es ist gut, das Falsche inmitten des Richtigen einzufügen (vgl. Waldow 2018). Beginnen Sie mit einer richtigen Information: “Achtung, es kursieren sehr viele Mythen über Barack Obama.“ Dann erwähnen Sie einmal das Falsche und warum es falsch ist. Und dann enden Sie wieder mit etwas Richtigem. Es ist nämlich so, dass die Wiederholung wirkmächtig ist. Wenn Menschen eine Aussage öfter hören, halten sie sie eher für wahr. Das wird auch im Englischen der Illusory Truth Effect (2) genannt, im Deutschen Illusorischer Wahrheitseffekt. Darum sollte man bei der Aufklärung möglichst auch das Richtige wiederholen und das Falsche mehr in den Hintergrund verschieben. Das ist aber nicht so leicht, denn wenn man sich schockiert fühlt oder wenn etwas Ärgerliches behauptet wird, dann ist es womöglich schwierig, sich immer und immer wieder daran zu erinnern, was man eigentlich selbst sagen wollte. Deshalb ist es sinnvoll, sehr strategisch zu überlegen: Habe ich das Richtige genügend betont?

Meine zweite Empfehlung klingt ein bisschen paradox, aber ich glaube wirklich daran: Lernen Sie auch von den unseriösen Accounts – man sollte sich natürlich nicht abschauen, wie man faktenfern kommuniziert. Aber was unseriöse Accounts oft gut machen: Sie sind oft leicht verständlich. Es ist wirklich wichtig, daran zu arbeiten, die eigenen Botschaften so simpel wie nur möglich zu kommunizieren. Und zum simplen Kommunizieren gehören auch Bilder dazu. Schauen Sie, ob Sie die Information auch als anschauliches Bild kommunizieren können. Dazu gibt es auch eine interessante Untersuchung. Wieder zurück zur Klimadebatte. Da haben die zwei Politologen Jason Reifler und Brendan Nyhan eine Untersuchung durchgeführt: Die beiden wollten wissen, was wirkt stärker, wenn man Menschen richtige Informationen gibt, Worte oder Bilder? Es ging um Informationen zur Erderhitzung. Unterschiedliche Messinstitute auf der ganzen Welt waren zu ähnlichen Ergebnissen gekommen, nämlich, dass allein in den letz- ten drei Jahrzehnten die Erdoberflächentemperatur um 0,5° Grad Celsius gestiegen ist. Und die Politologen haben geschaut, wie diese Information eher einsickert. Sie legten Fans der republikanischen Partei die Information einmal als Text und einmal als Infografik vor. Jene Teilnehmenden der Studien, die das Bild sahen, reagierten positiver darauf. Die Aufklärung wirkte stärker als Infografik. Teilnehmende, die der Partei nicht so wahnsinnig nahestehen, die nahmen dann auch eher ernst, dass die Klimakrise von Menschen verursacht ist. D.h. das Bild (die Infografik) hatte eine gewisse Überzeugungskraft (vgl. Nyhan/Reifler 2018). Ich glaube, dass ist gerade in der Bildungsarbeit und in der Aufklärungsarbeit sehr wichtig, weil wir oft dazu neigen, Menschen mit Text, mit Worten zuzuschütten. Nur lohnt es sich, auch die Bildebene zu bedenken. Man sollte es der richtigen Information leichter machen, verstanden zu werden.

Es gäbe noch so viel mehr zu sagen, aber ich hoffe, ich konnte einen kleinen Einblick in die Wirkmacht der Fehlinformation geben. Falsches, Halbwahres oder Verschwörungserzählungen, die können sehr verlockend sein, das liegt auch am menschlichen Denken und an rhetorischen Kniffen, wie Falschmeldungen geschickt kommuniziert werden. Es ist wichtig, diese Mechanismen zu kennen und anderen diese Tricks oder unfaire Diskussionsstile zu erklären, weil es die Chance erhöht, dass andere dann ebenfalls unfaire Methoden als solche identifizieren. Ich muss aber sagen, all das ist kein Wundermittel. Es gibt nicht die eine Methode und dann hat es garantiert jede und jeder verstanden – aber gerade in der Bildungsarbeit kann man mit solcher Aufklärungsarbeit die Situation ein Stück weit besser machen.

Wir alle haben die Möglichkeit, die Abwehrmechanismen gegenüber Desinformation in unserer Gesellschaft zu stärken, sodass es Halbwahrheiten und Verschwörungserzählungen nicht mehr ganz so einfach haben.

Anmerkungen

(1) Dieser Beitrag ist eine Abschrift des Vortrags, den Ingrid Brodnig am 21.11.2020 auf dem Online-Forum Kommunikationskultur 2020 https://www.gmk-net.de/gmk- tagungen/forum-kommunikationskultur/forum-kommunikationskultur-2020/ [Stand: 06.10.2021] gehalten hat. Zu sehen ist der Impuls auch hier: https:// www.youtube.com/watch?v=stQ2Hvmmha8&t=528s [Stand: 29.07.2021].

(2) Studie zum Thema Illusory Truth Effect: [Stand: 29.07.2021].

Literatur

Berger, Jonah/Milkman, Katherine L. (2012): What Makes Online Content Viral? Abrufbar unter: https://journals.sagepub.com/doi/10.1509/jmr.10.0353 [Stand: 29.07.2021]. Ferrara, Emilio/Yang, Zeyao (2015): Measuring Emotional Contagion in Social Me- dia. In: PLoS ONE, 10(11). Abrufbar unter: https://doi.org/10.1371/journal. pone.0142390 [Stand: 29.07.2021]. Imhoff, Roland/Lamberty, Pia Karoline (2017): Too special to be duped: Need for uniqueness motivates conspiracy beliefs. Abrufbar unter: https://onlinelibrary. wiley.com/doi/abs/10.1002/ejsp.2265 [Stand: 29.07.2021]. Jugendschutz.net (Juli 2020): Report Telegram: Zwischen Gewaltpropaganda und “Infokrieg“. Keine Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche. Abrufbar un- ter: https://www.jugendschutz.net/fileadmin/download/pdf/Report_Telegram_ Zwischen_Gewaltpropaganda_und_Infokrieg.pdf [Stand: 29.07.2021]. Nyhan Brendan/Reifler, Jason (2018): The roles of information deficits and identity threat in the prevalence of misperceptions. Abrufbar unter: https://www.tandfonline. com/doi/full/10.1080/17457289.2018.1465061 [Stand: 29.07.2021]. Waldow, Julia (2018): George Lakoff says this is how Trump uses words to con the public. Abrufbar unter: https://money.cnn.com/2018/06/15/media/reliable- sources-podcast-george-lakoff/index.html [Stand: 29.07.2021].

Weitere Lesetipps:

Brodnig, Ingrid (2021): Einspruch! Verschwörungsmythen und Fake News kontern – in der Familie, im Freundeskreis und online. So diskutieren Sie effektiv und ruhig die Streitthemen unserer Zeit. Wien: Brandstätter Verlag.

Brodnig, Ingrid (2018): Lügen im Netz. Wie Fake News, Populisten und unkontrol- lierte Technik uns manipulieren. Erweiterte und aktualisierte Neuauflage. Wien: Brandstätter Verlag

Der Artikel steht unter der Creative Commons Lizenz CC BY-SA 4.0.

Quelle: Brüggemann, Marion/Eder, Sabine/Gerstmann, Markus/Sulewski, Horst (Hrsg.): Medienkultur und Öffentlichkeit – Meinungs- und Medienbildung zwischen Engagement, Einfluss und Protest. Schriften zur Medienpädagogik 57. München 2021

Vortrag von Ingrid Brodnig am 21.11.2020 auf dem Online-Forum Kommunikationskultur 2020, Minute 08:48 bis Minute 49:10

Siehe ergänzend das gut strukturierte Interview Ingrid Brodnig: Das Internet hat demokratisches Potenzial (2020)

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