Die Chancen der digitalen Welt nutzen - Anforderung an eine neue Medienordnung
Beschluss des Parteitags der SPD 2007

Die Chancen der Digitalisierung nutzen

Der Prozess der Digitalisierung ist in vollem Gange und bezieht sich auf wesentliche Lebensbereiche wie Ökonomie, Verkehr, Geldverkehr, Energieversorgung, Forschung, Gesundheit, Kommunikation.
Die Digitalisierung ist ein Basiselement für gesellschaftliche und individuelle Prozesse im 21. Jahrhundert und hat entscheidenden Einfluss auf alle Entwicklungen der Medien-, Informations- und Kommunikationsbranche.
Digitalisierung bedeutet: Ein neues technisches Alphabet für Worte, Bilder und Töne. Digitalisierung heißt: Jedwede Information, von den Nachrichten bis zur Fiktion, global, schnell, umfassend, einzeln adressierbar, aber auch massenmedial bestimmt zu verbreiten. Dabei sind vor allem die Kosten für die Verbreitung solcher Signale dramatisch gefallen und die möglichen Mengen enorm gestiegen.
Gleichzeitig ergeben sich völlig neue Fragestellungen hinsichtlich der langfristigen Archivierbarkeit und Abrufbarkeit von digital gespeicherten Informationen und Daten. Für die Bereitstellung, die Beschaffung und die Nutzung von Information und für jede Form einer technisch gestützten Kommunikation der Menschen bietet die Digitalisierung sowohl unter der Zielvorstellung inhaltlicher Vielfalt als auch unter dem Aspekt eines ökonomischen Wachstums große Chancen. Um diese Chancen möglichst bald und umfassend wahrnehmen zu können, plädiert die Medienkommission beim SPD-Parteivorstand dafür, an einem verbindlichen Zeitplan zur Umstellung bei Fernsehen und Hörfunk von analog auf digital festzuhalten, wie es zwischen dem Bund, den Ländern und innerhalb der Europäischen Union verabredet ist. Für das Fernsehen liegt dieser Zeitpunkt im Jahr 2010. Für den Hörfunk ist der Zeitpunkt mit einer Übergangsphase bis 2015 anzustreben.
Mit dem neuen Genfer Wellenplan für den VHF- und UHF-Bereich (RRC 2006) stehen ausreichend digitale Übertragungskapazitäten auch für den Hörfunk zur Verfügung. Die Schwierigkeiten bei der Digitalisierung im Hörfunk sind ein gutes Stück überwunden. Es kommt nun darauf an, in enger Abstimmung zwischen Politik, Regulierungsbehörden, Rundfunkveranstaltern, Plattformbetreibern, Geräte- und Automobilindustrie eine zielgerichtete Strategie zur Nutzung dieser Möglichkeiten zu entwickeln und dafür geeignete rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Entscheidend dabei ist, dass sowohl von Veranstalter- als auch von Geräteseite Angebote auf den Markt kommen, die dem Nutzer einen echten Mehrwert bieten und ihn von den Vorteilen des neuen Systems überzeugen. In diesem Zusammenhang muss auch die Frage des Übergangs vom bisherigen DAB-Standard zu dem neuen, wesentlich effizienteren Standard DAB+ bzw. DMB geklärt werden.
Insgesamt gilt: Das Bundeswirtschaftsministerium muss - viel stärker als bisher - eine koordinierende, moderierende und führende Rolle einnehmen, um zwischen allen Akteuren verbindliche und verlässliche Verabredungen zum Digitalisierungsumstieg aller Verbreitungswege zu treffen.

Für die Realisierung der Chancen braucht es einen Rahmen

Unstrittig ist: Diese Entwicklung verändert unser gesellschaftliches Zusammenleben und hat Auswirkungen auf unsere Medienlandschaft und unsere Medienordnung. Um das Potential, das in der Digitalisierung der Medien steckt, nutzen zu können, muss jetzt an einem angemessenen Rahmen gearbeitet werden. Sozialdemokratische Medienpolitik ist daher gefordert, ein für die Nutzer vielfältiges (und bezahlbares) Angebot möglich zu machen; sie muss klar und eindeutig sein mit Blick auf die Sicherung von Vielfalt und Pluralismus; sie muss Meinungsmacht, wo immer sie künftig entstehen wird, begrenzen; sie muss einen diskriminierungsfreien Zugang von Inhalten zu allen Verbreitungsplattformen ebenso sicherstellen wie die Auffindbarkeit auf diesen Plattformen; sie muss modern genug sein, um Entwicklungen nicht zu behindern, und zugleich weit genug sein, um das Experimentelle zu erlauben. Sie muss Vorkehrungen zum Schutz des geistigen Eigentums treffen und ein wirksames Urheberrecht für die digitale Welt entwickeln. Kurzum: Sozialdemokratische Medienpolitik muss sich jetzt für die Weiterentwicklung eines umfassenden Medien- und Kommunikationsrechts einsetzen. Damit diese aus der analogen Welt bekannten Vorstellungen auch in der digitalen Welt eine sichere Grundlage bekommen, muss es bald einen umfassenden Medienstaatsvertrag geben, der den Chancen Raum lässt und die Risiken begrenzt.

Kein Zufall: Die Grenzen des Medienrechts sind für alle sichtbar

Alle Medienprojekte, die derzeit Schlagzeilen machen, lassen sich als Effekt der Digitalisierung des Signals in der Herstellung, für den Transport und die Speicherung verstehen.
Zu solchen Medienprojekten zählen:
- der Auf- und Ausbau der DVB-T-Infrastruktur
- die Entscheidung der beiden TV-Familien RTL und ProSieben/Sat1 zum Simulcast im Kabel
- die angekündigte Verschlüsselung des digitalen Signals durch den Satellitenbetreiber SES Astra und die für den Nutzer kostenpflichtige Entschlüsselung des Signals (Entavio)
- die erste größere vertikale Integration von Programmanbieter und Kabelnetzbetreiber durch Unity und Arena sowie die beabsichtigte Kooperation mit Premiere
- die Vorstellungen von IP-TV, wie sie sich in dem VDSL-Projekt der Deutschen Telekom AG (inklusive der Kooperation mit Microsoft) darstellen
- die Verbreitung des TV-Signals über DSL
- die Bestrebungen von Telefonanbietern, Fernsehen über Mobiltelefone anzubieten( DMB, DVB-H, UMTS)
- die Neu- und Fortentwicklung nicht-linearer Dienste.
Gemeinsam ist diesen Projekten, dass sie an die Grenzen geltenden Medienrechts stoßen. Sie sind zwar teilweise über Experimentierklauseln oder über die Verabredung von einheitlichen Standards möglich (wie bei DMB), stehen dadurch aber in ökonomischer Hinsicht unter einem Investitionen bremsenden Vorbehalt.

Auch die Digitalisierung hat einen Bezug: Artikel 5GG

Trotz der Öffnung des Medienhorizonts durch Globalisierung und Digitalisierung: Nach wie vor gilt das in unserer Verfassung formulierte Grundrecht der Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt." (Art. ? GG, Abs. 1).
Auch eine revolutionäre neue Technologie ändert nichts an den gesellschaftlichen Zielen, die die Richtschnur sozialdemokratischer Medienpolitik in der analogen Welt waren. Es muss also nach wie vor gefragt werden: Wie können Informations- und Meinungsfreiheit, Vielfalt und Zugang bei diesen neuen Entwicklungen gesichert werden? Wie kann die Meinungsmacht, die sich bei den neuen Akteuren bildet, so kontrolliert werden, dass sie nicht vorherrschend wird? Daher bleiben gerade in der digitalen Welt neben wirtschaftlichen und kartellrechtlichen Regelungen sektorspezifische medienrechtliche Regelungen unverzichtbar. Das gilt für die europäische ebenso wie für die nationale Ebene.

Das Angebot wird größer

Ein entscheidendes Merkmal der digitalen Welt ist die Konvergenz. Darauf reagieren Medien-, Informations- und Kommunikationsunternehmen: Zeitungsverlage sind längst vielfältig aufgestellte Medienunternehmen, ehemals neutrale Plattformbetreiber und Mobilfunkunternehmen sind Inhalteanbieter. Spezifische Medienmärkte gehören der Vergangenheit an. Deshalb wirkt nicht mehr ein spezifischer Medienmarkt auf den Mediennutzer, sondern stärker als bisher der Medienmarkt auf den Mediennutzer. Darauf wird das neue Medienrecht eine Antwort finden müssen.

Mit der Konvergenz kommen neue Akteure in den Medienmarkt - diesen Akteuren geht es um Investments, nicht um Inhalte

Parallel zu diesen durch die Digitalisierung ermöglichten Entwicklungen vollzieht sich auch ein Paradigmenwechsel auf der Ebene der Ökonomie der Kommunikationssysteme. Immer stärker bestimmen Finanzinvestoren und deren Kriterien. Diese Kriterien berücksichtigen bislang gültige Kriterien wie Vielfaltsicherung oder diskriminierungsfreien Zugang nicht. In diesen Fällen geht es vielmehr um Investments und nicht um Inhalte. Die zunehmende crossmediale Konzentrationsentwicklung stellt erhöhte Ansprüche an die Instrumente zur Vielfaltsicherung, deren Stärkung und Anpassung Aufgaben einer verantwortungsvollen Medienpolitik sein müssen. Auch vor diesem Hintergrund plädiert die Medienkommission dafür, die Beteiligung von nicht EU-Investoren an Medienunternehmen in Deutschland auf ?? Prozent zu begrenzen. Die Medienkommission ist darüber hinaus der Auffassung, dass Regelungen geprüft werden müssen, die verhindern, dass Medienunternehmen zum bloßen Finanz- und Spekulationsobjekt werden. Zur Machtbegrenzung von EU-Investoren sind ergänzende europäische Maßnahmen zur Vielfaltsicherung anzustreben.
Das sind die Gründe, warum eine effiziente Medienregulierung auch künftig unerlässlich ist, wobei allerdings neue Regulierungsinstrumente (insbesondere bezogen auf den Plattformbetrieb, die Verschlüsselung sowie die Verflechtung zwischen kapitalkräftigen TK-Unternehmen und Inhalteanbietern) erforderlich sind.

Der Zugang sichert Vielfalt - wer sichert den Zugang und die Auffindbarkeit?

Neben dem Nutzer und seiner Kompetenz sind die Konditionen für den Zugang zu den Plattformen und die Auffindbarkeit für Vielfalt entscheidend. Es wäre aus Sicht sozialdemokratischer Medienpolitik geradezu absurd, wenn mit der Digitalisierung nicht mehr, sondern weniger Vielfalt entstünde. Deswegen sind Konditionen erforderlich, die es auch kleinen und kleineren Inhalteanbietern und -veranstaltern ermöglichen, auf den Plattformen präsent und auffindbar zu sein. Das heißt: Es muss Kostentransparenz hergestellt und die Konditionen müssen reguliert werden, um Vielfalt zu sichern.
In diesem Zusammenhang kommt auch der Fort- und Weiterentwicklung von offenen Standards eine entscheidende Bedeutung zu. Der Einsatz offener Standards kann Märkte öffnen oder neue Märkte schaffen.

Auch in der digitalen Welt gilt: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bleibt unverzichtbar

Mit der Digitalisierung geht eine Unübersichtlichkeit einher, von der Marken profitieren werden. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine Qualitätsmarke, an der sich die Nutzer orientieren können. Aber er ist nicht bloß eine Marke unter anderen: Denn die Bürgerinnen und Bürger unserer Demokratie haben mit dem Anspruch auf freien Zugang zu Information auch das Recht, am gesellschaftlichen Leben sowie an der öffentlichen Debatte teilzuhaben. Diese Bürgerrechte in und mit der digitalen Medienwelt zu gewährleisten, ist jedoch kaum ein Anliegen eines freien Marktes. Unverzichtbar sind deshalb öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter, die in einem dualen System eine andere Aufgabe als ihre kommerziellen Konkurrenten haben: Nämlich die Bürger mit unabhängiger und sorgfältig recherchierter Information zu versorgen, die sie für ihre Orientierung benötigen, verbunden mit der Verpflichtung, unterschiedlichen Meinungen und Einstellungen in der Gesellschaft eine Stimme zugeben.
Der dynamisch zu interpretierende Funktionsauftrag - im Kontext der verfassungsrechtlich garantierten Bestands- und Entwicklungsgarantie - macht ihn auch in Zukunft zu einem unverzichtbaren Bestandteil der digitalen Welt mit einer Vielzahl von programmlichen und gesellschaftlichen Aufträgen wie Information, Bildung, Meinungsbildung, Beratung, Unterhaltung, Kritik, Integration, Kultur, Qualitätssicherung. Kurzum: Die Aufgabe ist und bleibt als Medium und Faktor in und für unsere demokratische Gesellschaft zu wirken.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk findet auch auf europäischer Ebene als Teil der nationalen Identität und Kultur Anerkennung. Im Amsterdamer Protokoll ist festgelegt, dass es der alleinigen Kompetenz der Mitgliedstaaten überlassen ist, festzulegen, ob und in welchem Umfang der öffentlich-rechtliche Rundfunk tätig sein kann. Für uns ist unbestritten: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist Kulturgut und kein Wirtschaftsgut. Trotz mancher gegenteiliger Bemühungen auf der EU-Kommissionsebene muss es dabei bleiben.
Gerade deshalb hält die Medienkommission grundsätzliche Beschränkungen mit Blick auf Verbreitung, Budgets (z.B. Begrenzung der Online-Aktivitäten) oder Programme und Inhalte für falsch. Im Grundsatz muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf allen technischen Wegen machen können, was im Rahmen seines Programmauftrags liegt. Aber er muss nicht alles machen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird im Gegenteil stärker als bisher darauf zu achten haben, sich gegenüber kommerziellen Anbietern abzugrenzen. Die Medienkommission ist davon überzeugt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Programm-, Qualitäts- und Seriositätskompetenz als Alleinstellungsmerkmale sichern wird.
Dazu muss ein Katalog von anwendbaren Kriterien für die Beurteilung von Programmqualität aufgestellt werden. Diese Kriterien müssen konsensfähig, überprüfbar und operationabel sein. Mit wissenschaftlicher Beratung könnten die Aufsichtsgremien besser in die Lage versetzt werden, ihre Qualitätssicherungsaufgaben zu erfüllen.

Partizipation bleibt auch in der digitalen Welt eine wichtige Aufgabe

Wir wollen die Partizipation der Bürgerinnen und Bürger in den elektronischen Medien auch in der digitalen Welt sicherstellen. Aufgrund der Vervielfachung digitaler Verbreitungswege werden regionale und lokale Angebote zusätzliche Hürden der Einspeisung ihrer Programme zu überwinden haben.
Deshalb treten wir dafür ein, dass der Gesetzgeber durch klar definierte Auflagen sicherstellt, dass die Inhalte der Bürgermedien, dort wo sie produziert werden, auch in die lokalen und regionalen Medienübertragungsplattformen eingespeist werden.

Wer verschlüsseln will, soll verschlüsseln - wer nicht verschlüsseln will, soll nicht verschlüsseln müssen

Es gibt eine Reihe nachvollziehbarer Gründe für einen kommerziellen Anbieter und Vermarkter, Inhalte zu verschlüsseln. Ein Programm verschlüsselt anzubieten, Inhalte für den Endkunden adressierbar zu machen, ist das grundlegende Geschäftsmodell in der digitalen Welt. Es steht nicht im Widerspruch zu einer sozialdemokratischen, auf Vielfalt angelegten Medienpolitik. Wesentliches Merkmal einer solchen Politik wird es vielmehr sein, den Zugang (technisch wie finanziell) und die Auffindbarkeit auf den unterschiedlichen digitalen Plattformen so zu regulieren, dass beides möglich bleibt: Die Verschlüsselung für den, der sie will und braucht, und die Verbreitung eines unverschlüsselten Signals für den, der darin sein Alleinstellungsmerkmal sieht. Das neue Medienrecht muss den Verkehr auf den Datenbahnen so regeln, dass alle denkbaren Datenströme ankommen können, unabhängig davon, welche technischen Faktoren dafür in Anspruch genommen werden. Kurzum: Es muss medienrechtlich sichergestellt werden, dass unverschlüsselte Programme diskriminierungsfrei über alle Verbreitungswege transportiert werden.
Sollten die Akteure wirksame selbstregulierende Initiativen entwickeln, so können sie Bestandteil eines modernen Medienrechts werden. Dies gilt auch mit Blick auf einen Interessenausgleich zwischen den neuen und den alten Akteuren, etwa mit Bezug auf den Bit-Ratenanteil der jeweiligen Angebote über die jeweils spezifischen Übertragungswege. Grundsätzlich soll gelten, dass Rundfunkübertragungswege (dazu gehören auch DMB und DVB-H) auch primär für Rundfunkangebote zur Verfügung stehen.
Verschlüsselung kann aber unter bestimmten Voraussetzungen höchst problematisch sein. Die Verschlüsselung des digitalen Signals und die für den Nutzer kostenpflichtige Entschlüsselung, wie sie von SES Astra geplant ist, ist deswegen für den Nutzer so ärgerlich, weil sich für ihn kein Mehrwert ergibt, wofür er nun mehr bezahlen soll. Diese Form eines "Pay-TV light" und ihre Konsequenzen können dem Prozess der Digitalisierung einen empfindlichen Dämpfer versetzen. Damit werden sowohl publizistische wie ökonomische Chancen auf's Spiel gesetzt.

Die Auseinandersetzung lohnt: Einen digitalen Vertriebsweg ohne weitere direkte Kosten soll es geben können

Vor allem der Gebührenzahler hat den erfolgreichen Aufbau der DVB-T-Infrastruktur finanziert. Entstanden ist eine Marke, das Überallfernsehen. Auch deswegen lohnt es sich, wenn sich sozialdemokratische Medienpolitik dafür stark macht, dass dieser Vertriebsweg in der digitalen Welt ohne kostenpflichtige Entschlüsselung bleibt. Möglicherweise steigen einige kommerzielle Veranstalter dann ganz aus, aber die Chance ist groß, dass andere Anbieter diesen Vertriebsweg für sich und ihre potentiellen Zuschauer entdecken - auch das kann ein wichtiger Beitrag zur Vielfaltsicherung sein.

Medienanstalt der Länder

Alle aktuellen Konzentrationsprozesse, die gescheiterten (zum Beispiel: Springer/ProSiebenSat1) wie die vollzogenen (zum Beispiel: Unity/Arena), haben gezeigt, dass man bei konzentrationsrechtlichen Entscheidungen heute nicht mehr nur in den klassischen Medienkategorien denken kann und darf. Gleichzeitig lohnt es sich, auf die Stärken des Föderalismus zu setzen. Deshalb schlägt die Medienkommission beim SPD-Parteivorstand die Einrichtung einer Medienanstalt der Länder vor. Die Lösung bundesweiter Sachverhalte erfordert bundesweit rechtsverbindliche Entscheidungen. Hierfür kann es nur eine Stelle mit eigener Rechtspersönlichkeit geben. In dieser Medienanstalt der Länder können (und müssen) die Aufgaben aller bestehenden oder noch erforderlichen Kommissionen integriert werden. Sie wäre Koordinierungs-, Entscheidungs- und Vollzugsstelle für alle bundesweiten Sachverhalte zugleich. Vor diesem Hintergrund muss die Medienanstalt der Länder besser früher als später ein eigenes bundesweit geltendes einheitliches Medienrecht erhalten. Mit der Medienanstalt der Länder kann die notwendige Verzahnung mit den Kartellbehörden, der Netzagentur und der Medienaufsicht weiter verbessert werden. Die Medienanstalt der Länder kann auch mit dazu beitragen, einen Zugriff der Brüsseler Bürokratie zu verhindern helfen.
Unstrittig ist aber zugleich, dass föderale Zuständigkeiten nach Maßgabe des Landesrechts bestehen bleiben müssen. Auch in Zukunft gibt es wichtige Aufgaben im Zuständigkeitsbereich der einzelnen Länder. Dies sind beispielsweise die Zulassung und Aufsicht von landesweitem, regionalem oder lokalem Rundfunk, die Förderung technischer Infrastrukturen in einzelnen Regionen und insbesondere die Förderung von Medienkompetenz und Bürgermedien.
Aus sozialdemokratischer Sicht ist es wesentlich, dass auch in Zukunft eine medienspezifische Regelung existiert, die nicht einfach Marktmacht, sondern speziell Medienmarktmacht kontrollieren kann. Dazu gehören auch flexiblere Generalklauseln zum Schutz der Rundfunkfreiheit und ausreichende prozessuale Handlungsmöglichkeiten der Medienaufsicht.

Die große Stärke der deutschen Rundfunkentwicklung liegt in ihrer Begründung in Artikel 5 GG. Aus sozialdemokratischer Sicht lohnt es sich daher, dafür zu streiten,
- dass auch in den künftigen Medienmärkten die duale Rundfunkordnung in Deutschland als eine kulturelle Errungenschaft der Länder erhalten bleibt,
- dass die Länderkompetenz für den Rundfunk durch Gemeinschaftsrecht und die Politik in der Europäischen Union nicht ausgehebelt wird,
- dass die Bestandsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an künftige technische und mediale Entwicklungen angepasst wird,
- dass ökonomisches Kalkül nicht zu Lasten der Vielfalt die digitalisierte Medienwelt regiert,
- und dass frei zugängliche Medien ihre für die Demokratie zentrale Aufgabe weiterhin wahrnehmen.

Quelle:

Parteitag der SPD in Hamburg, 26. bis 28. Oktober 2007, Beschlüsse http://www.spd.de/show/1751465/Beschlussbuch_Hamburg.pdf