Meine Meinung: Leuchttürme schaffen keine Nachhaltigkeit(2015)

Wer Leuchtturmprojekte zum Lernen mit und über Medien in Schulen initiiert und durchführt, hat meine volle Bewunderung. Allerdings: "tablet"-Projekte mit Produkten unterschiedlichster Hersteller fluten zwar die deutsche Schullandschaft nicht gerade; sie erhalten aber durch ein bemerkenswertes Presseecho eine überhöhte Bedeutung. Zu erklären ist dies ganz einfach: So wie es häufig mehr (politische) Aufmerksamkeit bringt, eine neue Schule einzuweihen, so besteht größeres Interesse von Geldgebern aller Art (Sponsoren, Schulträgern) daran, spektakulär in einen Klassensatz "tablets" zu investieren. Das befriedigt nicht nur das eigene Ego sondern auch die (überzogenen) Erwartungen von Eltern. Weniger Interesse ist bei Ausgaben in leistungsfähige (Medien)Infrastruktur zu beobachten, obwohl dort ein nachhaltigerer Erfolg zu erwarten wäre. Schließlich entscheidet nicht die Gerätetechnik darüber, mit welchem Erfolg Medienbildung, also grob gesprochen "Unterricht mit und über Medien", betrieben wird. Von daher ist grundsätzlich zu hinterfragen, ob Leuchtturm-Projekte die schulische Medienbildung aus einem grundsätzlichen Dilemma befreit: Einerseits soll sie "fester und verpflichtender Bestandteil in den Bildungsplänen" sein, andererseits zeichnet sie sich aber durch eine geringe Wahrnehmung im aktuellen Unterricht aus.

Leuchtturm-Projekte gibt es in der Medienbildung von Anfang an. Aufgrund der immer schneller werdenden technischen Entwicklungen, die teilweise nicht einmal wirklich innovativ sondern meist marktstrategisch angelegt waren, ergaben sich daraus jedoch keine Chancen, die Modelle für die Breite zu nutzen. Hinzu kam die parallel laufende Verarmung der öffentlichen Schulträger, die einer umfassende Anpassung der digitalen Infrastruktur für modernen Unterricht im Wege stand.

Daher wäre heute höchste Zeit innezuhalten und darüber nachzudenken, ob eine geräteorientierte Medienbildung zum einen dem schulischen Bildungsauftrag entspricht und zum anderen nachhaltige Wirkung hat.

Dies gilt umso mehr, als sich mit der zunehmenden Verbreitung von webbasierten Anwendungen ein Weg auftut, der ohne eine bestimmte (Prestige)Marke und ohne ein bestimmtes Betriebssystem zu nutzen wäre. Eine Wikipedia-Recherche funktioniert z.B. heute nicht nur mit dem iPad, einem Samsung-Tablet oder einem PC des Computerraums. Was bei der Speicherung von persönlichen Daten problematisch sein kann, eröffnet so der Medienbildung neue Wege.

Leider gibt es solch eine Umorientierung der schulischen Medienbildung nicht von allein. Es müssen sich viele bewegen:

  • Politische Mandatsträger müssen die rechtlichen Voraussetzungen schaffen, dass eine offene Nutzung digitaler Angebote möglich ist. (beispielhaftes Stichwort: Störerhaftung)
  • Politische Mandatsträger und die örtlichen Schulträger müssen endlich Investitionen in eine sinnvolle digitale Infrastruktur tätigen. (beispielhaftes Stichwort: Breitbandversorgung)
  • Die örtlichen Schulträger und die Kultusverwaltung müssen die Betreuung der digitalen Infrastruktur von Schulen professionalisieren. (beispielhaftes Stichwort: Support)
  • Die örtlichen Schulträger müssen bei der Einrichtung der digitalen schulischen Infrastruktur die Bedürfnisse der Medienbildung berücksichtigen. (beispielhaftes Stichwort: offene Nutzung schulischer Netze)
  • Die Lehrerausbildung muss sich so organisieren, dass in jedem Fach Medienbildung integraler Bestandteil ist. (beispielhaftes Stichwort: "keine Bildung ohne Medien")
  • Die Kultusverwaltung muss initiativ werden, Lehrerinnen und Lehrer zur Anwendung von digitalen Unterrichtsmitteln (schul)alltagstauglich zu unterstützen. (beispielhaftes Stichwort: adäquate Berücksichtigung von Mehrbelastungen)
  • Lehrerinnen und Lehrer müssen bereit sein, sich auf die didaktischen Veränderungen einzustellen, die medienadäquater Unterricht mit und über Medien erfordert. (beispielhaftes Stichwort: Individualisierung der Lernprozesse)
  • Lehrerinnen und Lehrer müssen ihren Zugang zu digitalen Geräten in Schülerhand überdenken. (beispielhaftes Stichwort: didaktisch bestimmte Nutzung statt Verbote)
  • Schülerinnen und Schüler müssen lernen, die altersgemäß bereit gestellten Freiräume beim Lernen mit Neuen Medien verantwortungsvoll zu nutzen. (beispielhaftes Stichwort: aktives Gestalten eigener Lernprozesse)

Wolfgang Antritter, Arbeitsgemeinschaft Jugendliteratur und Medien der GEW