Landesarbeitsgemeinschaft Medienarbeit Berlin, Landesarbeitsgemeinschaft Multimedia Brandenburg,
10 Thesen zur Notwendigkeit medienpädagogischer Arbeit im 21. Jahrhundert (2007)

Präambel

Medien beeinflussen heute in immer stärkerem Maße unsere Sicht auf die Welt und damit auch unsere Einstellungen und Werthaltungen. Medien werden zwar aktiv zur Information, zur Kommunikation und zur Unterhaltung genutzt, jedoch sind die Medienangebote durchaus ambivalent zu sehen: Auf der einen Seite ermöglichen sie eine differenzierte und erweiterte Wahrnehmung der Welt, andererseits verstärken sie Tendenzen zur Simplifizierung und Personalisierung komplexer Zusammenhänge. Sie eröffnen erweiterte individuelle Erlebnis- und Ausdrucksmöglichkeiten, verstärken aber auch Tendenzen zur Passivität und im Extremfall zur Flucht in Scheinwelten. Sie bieten verbesserte Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe, können aber auch gezielt Themen setzen, Informationen selektiv verbreiten und die eigene Beurteilung erheblich beeinflussen.
Medienpädagogik bewegt sich in diesem Spannungsfeld. Sie unterstützt Menschen dabei, diese Zusammenhänge zu erkennen und Medien sowohl für die eigene individuelle Entfaltung als auch zur gesellschaftlichen Entwicklung nutzen zu können. ...

Die Landesarbeitsgemeinschaft Medienarbeit e.V. Berlin und die Landesarbeitsgemeinschaft Multimedia Brandenburg e.V. haben gemeinsam 10 Thesen zur Notwendigkeit medienpädagogischer Arbeit im 21. Jahrhundert formuliert. Beide Institutionen wollen damit eine öffentliche Diskussion über die Wichtigkeit medienpädagogischer Angebote für Kinder und Jugendliche befördern, politische Entscheidungsträger für das Thema sensibilisieren und Partner zur Umsetzung der medienpädagogischen Ziele gewinnen. Die Thesen werden anlässlich des zehnjährigen Bestehens beider Vereine veröffentlicht.

Medienpädagogik nimmt Kinder und Jugendliche ernst und geht von ihrem Lebensalltag aus.

Nahezu alle Bereiche des Lebens werden heutzutage durch Medien beeinflusst. Wir leben heute in einer konvergenten Medienwelt mit vielen verschiedenen, miteinander verknüpften Medien. Diese Medienwelt ist eng verzahnt mit dem Konsummarkt. Kinder und Jugendliche müssen heute verstärkt lernen, mit einer Fülle von crossmedial vermarkteten Produkten umzugehen.
Medienpädagogik setzt am Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen an. Medienpädagogik erschließt die Potenziale von Kindern und Jugendlichen, indem deren Medienerfahrungen angenommen und zur Grundlage einer bildungswirksamen Auseinandersetzung über Inhalt und Wirkung gemacht werden.
Medienpädagogik sucht den Dialog statt die Belehrung. Kinder und Jugendliche werden in Planungs- und Gestaltungsprozesse einbezogen. PädagogInnen erforschen gemeinsam mit ihnen, wie sie deren eigenen Weg angemessen begleiten könnten.

Medienpädagogik nutzt Medien, um Kommunikations- und Identifikationsprozesse anzuregen.

Medienpädagogik dient dazu, die Wahrnehmungs- und Kommunikationsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen zu erweitern.
Aktive Medienarbeit ist Teamarbeit und fördert die sozialen Kompetenzen. Jede und jeder Beteiligte trägt zum Gesamtprodukt bei, das im Rahmen eines sozialen Lernprozesses entsteht.
Die Präsentation des eigenen Produkts ist gleichzeitig eine Konfrontation der eigenen Position mit der anderer und damit eine Überprüfung eigener Sichtweisen und Argumentationen.

Medienpädagogik schafft Öffentlichkeit für Kinder und Jugendliche.

Medienpädagogik eröffnet Handlungsspielräume mit dem Anspruch auf Partizipationsmöglichkeiten. Dabei spielt die Befähigung, sich mittels Medien im öffentlichen Raum mitzuteilen, sie für gezielte und bewusste Kommunikation zu nutzen und als Mittel zur Entfaltung eigener Kreativität einzusetzen, eine wesentliche Rolle.

Durch die entstehenden Medienprodukte werden Anliegen von Kindern und Jugendlichen öffentlich wahrgenommen.

Medienpädagogik bietet benachteiligten Kindern und Jugendlichen Integrations- und Beteiligungschancen.

Medienpädagogik bietet mit niedrigschwelligen Angeboten vielfältige Möglichkeiten des selbst gesteuerten Projekt- und Lernverlaufs. Aufgabenstellungen werden den Kompetenzen der Teilnehmer und Teilnehmerinnen angepasst. Die Lösungswege werden von ihnen soweit wie möglich selbst gefunden. Aktive Medienarbeit eröffnet neue Lernwege und -zugänge und bietet gerade benachteiligten Jugendlichen neue bzw. positive Lernerfahrungen zu sammeln.

Medienpädagogik eröffnet Jugendlichen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen gemeinsame Handlungsfelder.

Medienproduktion ist zumeist Teamarbeit. In heterogenen Gruppen wachsen die Beziehungen über Verständigungs- und Aushandlungsprozesse. Spannungen können dort aufgegriffen und thematisiert werden.
Auch kulturell homogene Gruppen können Sinn machen, wenn z.B. auf medialem Wege Dialog und Gleichberechtigung eingefordert werden.

Medienpädagogik befähigt zur Medienkritik.

Medienpädagogik hat zum Ziel, durch die Erfahrung eigener Produktion urteilsfähiger und kritischer für Produktionen anderer zu werden. Sie unterstützt dabei, manipulative Tendenzen der Massenmedien zu durchschauen.
Medienpädagogik befähigt somit Kinder und Jugendliche, Medienangebote sinnvoll auszuwählen und zu nutzen, sie kritisch zu analysieren, in Zusammenhänge einzuordnen und deren Wirkung zu reflektieren. Sie gewinnen einen Einblick in die Bedingungen der globalisierten Medienproduktion und Medienverbreitung.

Medienpädagogik trägt zur demokratischen Kultur bei.

Medienpädagogik fördert eine selbstbestimmte Mediennutzung und Persönlichkeitsentwicklung. Sie mildert Nachteile und nutzt Vorteile neuer Technologien, schafft Zugangsmöglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe aller.
Medienpädagogik beteiligt Kinder und Jugendliche an der Gestaltung neuer Technologien, lenkt die Sichtweise auf Medien als wichtiges Element der Demokratie und ermuntert zur gesellschaftlichen Teilhabe.

Medienpädagogik trägt zu einer neuen Lernkultur bei.

Medienpädagogik bedient sich Methoden kreativen, entdeckenden und praktischen Lernens, etabliert neue Lernmethoden und fördert das Selbstlernen. Gleichzeitig nutzt Medienpädagogik die Lernchancen durch den Austausch unter Gleichaltrigen (Peer-to-Peer-Education). Sie liefert Impulse zur Schul- und Unterrichtsentwicklung. Medienpädagogik fördert den Erwerb von theoretischem und praktischem Wissen und lässt Kinder und Jugendliche Medien selber gestalten und verbreiten. Lehrkräften wird eine neue Rolle als Begleiter zugewiesen. Nicht nur die Kinder und Jugendlichen lernen von Erwachsenen, sondern auch umgekehrt.

Medienpädagogik braucht Ressourcen und Vernetzung.

Die Förderung von Medienkompetenz ist Querschnittsaufgabe der gesamten Kinder- und Jugendarbeit. Alle Kolleginnen und Kollegen sind aufgefordert, die Thematisierung und produktive Nutzung der Medien in ihre alltägliche pädagogische Arbeit einzubeziehen (und sich hierfür entsprechend zu qualifizieren).

Medienpädagogik fördert die Kommunikationskultur zwischen Kindern und Jugendlichen einerseits sowie weiteren Sozialisationsinstanzen wie beispielsweise Elternhaus und Schule.

Die unter den Schlagwörtern "Social Software" und "Web 2.0" diskutierten neuen partizipativen Angebote bieten hervorragende Möglichkeiten für die Weiterentwicklung der aktiven Medienarbeit. Ihre Adaption und reflektierte Nutzung in der Jugendarbeit sollte verstärkt öffentlich gefördert werden.

Die alte Forderung nach Integration von medienpädagogischer Theorie und Praxis in die pädagogische Ausbildung wird immer wichtiger und sollte endlich umgesetzt werden. Dauerhaft erfolgreiche Förderung von Medienkompetenz findet nur statt, wenn alle professionell mit Kindern und Jugendlichen arbeitenden Fachkräfte (KiTa- und Jugendhilfe-Mitarbeitende sowie Lehrkräfte an Schulen) eine medienpädagogische Qualifikation im Rahmen ihrer Berufsausbildung durchlaufen haben und sich permanent auf diesem Gebiet weiterbilden.
Solange diese Forderung nicht in die bildungspolitische Praxis umgesetzt ist, füllen medienpädagogische Angebote insbesondere im Bereich der Jugendarbeit diese Lücke. Hierfür sind in dem Maße personelle und materielle Ressourcen bereitzustellen, wie für eine qualitativ hochwertige Förderung von Medienkompetenz erforderlich ist.

Medienpädagogik leistet präventiven Kinder- und Jugendschutz.

Medienpädagogik macht Kinder und Jugendliche stark und kompetent für eine sich ständig wandelnde Medien- und Lebenswelt mit einer Vielfalt von medialen Angeboten. Sie leistet damit präventiven Kinder- und Jugendschutz.

Kinder und Jugendliche werden bei ihrer Mediennutzung mit entwicklungsbeeinträchtigenden Darstellungen oder auch jugendgefährdenden Inhalten konfrontiert. Entwicklungsbeeinträchtigend sind mediale Angebote, wenn diese aufgrund des Entwicklungsstandes des jungen Menschen noch nicht angemessen verarbeiten können, besonders zu nennen sind hier Angst auslösende, gewalthaltige oder desorientierende Darstellungen. Von Kindern und Jugendlichen werden in unserer medialisierten Welt ständig Entscheidungen verlangt, wie sie mit solchen Angeboten umgehen. Medienpädagogische Angebote unterstützen sie dabei, sich in ihrer Persönlichkeit zu stärken, um selbstsicher und kompetent im Alltag mit der Medienvielfalt umgehen zu können.