Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland - KMK
Zur Rolle der Medienpädagogik, insbesondere der Neuen Medien und der Telekommunikation in der Lehrerbildung
Bericht des Schulausschusses vom 11.12.1998

(Vgl. auch BLK-Orientierungsrahmen "Medienerziehung in der Schule", Heft 44, 1995, und BLK-Gutachten von Prof. Dr. Mandl, München, zum BLK-Programm "Systematische Einbeziehung von Medien, Informations- und Kommunikationstechnologien in Lehr- u. Lernprozesse", Heft 66, 1998)

  1. Vorbemerkung
  2. Grundsätzliche Anforderungen an die medienpädagogische Lehrerbildung
  3. Anforderungen an die medienpädagogische Qualifikation
  4. Konzeptionelle Schwerpunkte für die Lehrerausbildung

1. Vorbemerkung

Die neuen Medientechnologien und Medienangebote, die in ihrer Vielfalt auf gesellschaftliche Entwicklungen einwirken, haben deutlichen Einfluss auf die Erziehung im Elternhaus und auf Bildung und Erziehung in der Schule. Sie erfordern von allen Beteiligten, hier vor allem von den Bildungseinrichtungen, vermehrte Anstrengungen.

Die Kultusministerkonferenz hat sich diesem neuen Aufgabenfeld gestellt. Mit der im Mai 1995 verabschiedeten Empfehlung zur "Medienpädagogik in der Schule" hat sie ein breites Aktionsfeld zur Vertiefung und Erweiterung von Medienkompetenz beschrieben, das schrittweise umgesetzt werden muss. Die Erklärung der Kultusministerkonferenz "Neue Medien und Telekommunikation im Bildungswesen" vom Februar 1997 vertieft den medienpädagogischen Ansatz für den Bereich der neuen Technologien.

Die entscheidende Voraussetzung für die Vermittlung von Medienkompetenz an Schülerinnen und Schüler ist eine entsprechende Qualifikation der Lehrkräfte.

2. Grundsätzliche Anforderungen an die medienpädagogische Lehrerbildung

Für das Leben, Lernen und Arbeiten in der Informationsgesellschaft nimmt die Schule einen doppelten Auftrag wahr:

  • sie macht Schülerinnen und Schüler im umfassenden Sinn medienkompetent und sie befähigt sie, sich in den Medienwelten selbstbewusst und verantwortungsvoll zu bewegen;
  • sie nutzt Multimedia und Telekommunikation verstärkt für das Lernen und Erziehen. Medienpädagogische Ausbildungsinhalte müssen daher integraler Bestandteil der Ausbildung für alle Schularten und in allen Fachbereichen sein.

Medienpädagogik als Aufgabe aller Fächer sollte verpflichtender Bestandteil sowohl der allgemein erziehungswissenschaftlichen als auch der spezifisch fachdidaktischen Ausbildung in der ersten und in der zweiten Phase der Lehrerausbildung sein.
Ein wichtiger Schwerpunkt der allgemeinen pädagogischen Ausbildung ist die Einschätzung der Konsequenzen von Medienrezeption und -sozialisation. Dabei ist insbesondere von den Nutzungsgewohnheiten der Schülerinnen und Schüler auszugehen. Die sich verändernden Wahrnehmungs-, Erlebnis- und Verarbeitungsweisen müssen nicht nur die Formen und Inhalte von Medienpädagogik, sondern auch die didaktisch-methodischen und pädagogischen Planungen bestimmen.

Gerade im Umgang mit Medien sind auch handlungs- und projektorientierte Arbeitsformen wichtig. Die für diese Arbeitsformen notwendigen gestalterischen, kommunikativen und organisatorischen Fähigkeiten lassen sich hierdurch wirkungsvoll entwickeln. Die Zusammenarbeit und Arbeitsteilung mit Bildstellen/ Medienzentren, Einrichtungen der Lehrerfortbildung, Rundfunkanstalten und anderen Medienanbietern, Hochschulen, Kammern usw. sollte als wichtige Voraussetzung für eine inhaltlich produktive Medienarbeit systematisch verfolgt werden. Die gemeinsame Nutzung von Ressourcen ist auch unter ökonomischen Aspekten sinnvoll.
Im Zusammenhang mit der Einführung in die Möglichkeiten neuer Medien sind Datennetze und Datenbanken als zusätzliche Lern- und Kommunikationsangebote zu nutzen.

3. Anforderungen an die medienpädagogische Qualifikation

Medienpädagogische Qualifikationen sind zunehmend komplex und verflochten - u.a. wegen der wechselseitigen Beeinflussung von Medientechnik und Medieninhalt, der wachsenden Mächtigkeit medientechnischer Instrumente und der vermutlich noch lange ungeregelten Schutzbedürftigkeit jugendlicher Nutzer vor allem im Bereich international vernetzter Systeme. Um so wichtiger ist es, die (oft nur noch theoretisch unterscheidbaren) Teilqualifikationen wie folgt näher zu beschreiben.

  1. Anwendungsfähigkeit
    Von den Lehrkräften wird ein effektiver, pädagogisch verantwortbarer und rechtlich abgesicherter Umgang mit Geräten, Netzen und Datenbanken erwartet. Das bedeutet u.a.:
    • Handwerklich-technische Handhabung der Hard-, Soft- und Netware, einschließlich klassischer Medientechniken, muss in ausreichenden Zeiträumen praktisch eingeübt werden.
    • Eine gute Kenntnis des sich beschleunigt verändernden Medienangebotes und der rechtlichen Grundlagen sowie die Folgerungen bei der Nutzung medialer Angebote ist erforderlich, um Jugendliche im Unterricht, aber auch für die Beschäftigung in der Freizeit kompetent beraten zu können.
    • Dem didaktisch begründeten, d.h. lernprozessorientierten Einsatz von Medien kommt angesichts der meist vordergründig auf emotionalen Effekt zielenden Angebote der Spiele- und Edutainment-Branche eine immer wichtigere Rolle zu.
  2. Analysefähigkeit
    Angesichts der immer stärkeren Durchdringung aller Bereiche des täglichen Lebens und der intensiveren Nutzung vor allem der elektronischen Medien durch Jugendliche kommt einer kritischen Analyse medialer Erzeugnisse - vor allem ihrer ungewollten Wirkungen - eine immer größere Bedeutung zu.
    • Die Beobachtung und Beurteilung der Entwicklung von Medien - vor allem der Neuen Medien - im gesellschaftlichen Kontext und in der eigenen Sozialisation und Medienbiografie sowie deren Bedeutung für die Sozialisation der Schülerinnen und Schüler muss praxisnah vermittelt werden.
    • Aufgrund der Einflüsse der Medien auf die personale Interaktion, z.B. auf die Lese- und Ausdrucksfähigkeit der Lernenden, ist eine Kenntnis der Wort- und Bildsprache der Medien und eine kritische Einschätzung ihrer Wirkungen und Rezeptionsweisen bei Kindern und Jugendlichen unverzichtbar.
    • Angesichts der durch intensivere Mediennutzung und durch den Rückgang personaler Bindungen abnehmenden Einflussdauer und Wirksamkeit schulischer Erziehungs- und Ausbildungsarbeit kommt dem Verstehen der Medienerfahrungen von Kindern und Jugendlichen in ihrer Relevanz für pädagogisches Handeln im zeitlich begrenzten Aktionsraum von Unterricht und Schule große Bedeutung zu.
  3. Kommunikationsfähigkeit
    Einer umfassenden Kommunikationsfähigkeit kommt gerade im Informationszeitalter eine besondere Bedeutung zu, d.h. die Lehrkräfte müssen in der Lage sein,
    • mit Kindern und Jugendlichen offen und einfühlsam über Medienerlebnisse und Medienwirkungen zu sprechen;
    • die jeweils angemessene Rolle im Lern- und Erziehungsprozess wahrzunehmen;
    • eine Diskussionskultur für den kritischen Umgang mit Medien und Medienproduzenten zu vermitteln und zu fördern;
    • Sensibilität im Umgang mit kulturell unterschiedlichen Partnern, mit denen über Medien kommuniziert wird, zu entwickeln und zu vertiefen.
  4. Gestaltungsfähigkeit
    Elektronische Medien - insbesondere multimediale Soft- und Hardware - haben ein noch nicht hinreichend genutztes spezifisches Gestaltungs- und Motivationspotential.
    • Den Schülerinnen und Schülern ist die Fähigkeit zu vermitteln, mit Medien kreativ und produktiv umzugehen.
    • Die praktische und gestalterische Medienarbeit von Schülerinnen und Schülern ist so zu begleiten und zu fördern, dass unterschiedliche Stilmittel, Möglichkeiten der technischen Umsetzung und kreativen Gestaltung sowie Formen medialer Kommunikation erfahrbar werden.
    • Insbesondere im Umgang mit Schülerinnen und Schülern, die Lern- oder Verhaltensdefizite erkennen lassen, sollte das motivatorische und kompensatorische Potential der Medien genutzt werden.
  5. Managementfähigkeit
    Angesichts der zunehmenden Nutzung neuer Medien und der Telekommunikation als methodisches und didaktisches Werkzeug sind Managementkenntnisse erforderlich, d.h.
    • Der Medieneinsatz ist nach medienpädagogischen Gesichtspunkten zu planen und sinnvoll zu gestalten, insbesondere bei komplexeren Vorhaben (Projekte u.ä.).
    • Regionale Angebote, Zusammenarbeit mit Experten und Medieninstitutionen usw. sollen effektiv genutzt werden.

4. Konzeptionelle Schwerpunkte für die Lehrerausbildung

Aus dem oben beschriebenen Kanon medienpädagisch relevanter Fähigkeiten lassen sich für die Umsetzung in Handlungskonzepte für die Lehrerausbildung folgende allgemeinen, fächerspezifischen, fächerverbindenden und fachübergreifenden Aspekte hervorheben.

  1. Allgemeine Aspekte
    Unabhängig von spezifischen Anforderungen einzelner Fächer ist es für erfolgreiches Unterrichten und Erziehen wichtig, die Bedeutung der folgenden allgemeinen Aspekte und Problemfelder im je aktuellen Kontext zu vermitteln.
    Die Lehrkraft sollte
    • sich vertiefte Kenntnisse über Mediensozialisation, Medienwelten von Kindern und Jugendlichen und deren unterschiedliche Rezeptionsweisen und Verarbeitungsformen aneignen;
    • die Einflüsse und Wirkungen des Medienkonsums von Kindern und Jugendlichen auf ihre Voraussetzungen für Lehren, Lernen und Erziehen kennen und daraus Konsequenzen für pädagogisches Handeln ziehen;
    • die eigenen Medienerfahrungen in ihren Auswirkungen auf das Wahrnehmen, Urteilen und Planungshandeln reflektieren;
    • Medien zum Gegenstand von Analyse und kritischer Reflexion auf sozialer, politischer, psychologischer, pädagogischer und didaktischer Ebene machen;
    • sich Kenntnisse über Fragen der Medienethik und des gesetzlichen und praktischen Jugend- und Jugendmedienschutzes - insbesondere beim Einsatz interaktiver Netze - aneignen.
  2. Fachdidaktik
    Die Entwicklung von immer komplexerer und auch für komplizierteste Simulationen geeigneter multimedialer Hard- und Software ist einerseits eine unumgängliche Herausforderung für den Fachdidaktiker, andererseits gilt es, den Einsatz von Medien unter den Aspekten von Effektivität, Erfordernis des Methodenwechsels, Medienwirkungen und Kosten, kritisch zu prüfen. Aus fachdidaktischer Sicht von besonderer Bedeutung sind die folgenden Fähigkeiten:
    • Medien (einschließlich der Möglichkeiten von Fernlernen, Telekommunikation und Telekooperation), elektronische Netze und Datenbanken in allen Fächern und fachübergreifend (und - wenn möglich - außerschulische Erfahrungen einbeziehend, d.h. integrativ) didaktisch und methodisch sinnvoll einzusetzen, d.h. fachintegrative Medienerziehung anzustreben.
    • Lernsoftware nach pädagogischen Gesichtspunkten zu beurteilen und einzusetzen;
    • Unterricht mit dem Ziel zu planen, Schülerinnen und Schüler zu einem kritischen, sachgerechten und selbständigen Umgang mit Neuen Medien als Lern-, Informations- und Kommunikationsmittel anzuleiten;
    • neue Unterrichts- bzw. Lernformen - Medien als Informations-, Gestaltungs- und Kommunikationsmittel - zu entwickeln;
    • Schülerinnen und Schüler bei der Verarbeitung von Medienerlebnissen und -wirkungen zu unterstützen;
    • insbesondere in Deutsch, Kunst, Musik und den gesellschaftskundlichen Fächern zu praktisch-gestalterischer Arbeit mit unterschiedlichen Medien und Ausdruckstechniken anzuleiten.
  3. Fächerverbindende und fachübergreifende Arbeitsansätze
    Das Erfordernis einer Öffnung des Unterrichts z.B. zu fachübergreifenden oder nach außen offenen Unterrichtsformen gewinnt an Bedeutung. Dazu sind die folgenden Fähigkeiten auszubilden:
    • Fähigkeit zur Vermittlung didaktischer, methodischer, organisatorischer und technischer Kenntnisse und Fertigkeiten zum Einsatz von Medien in fächerverbindenden und fachübergreifenden Projekten, wie z.B.:
    • die Planung entsprechender Lernanlässe und -umgebungen,
    • die Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen über Fachgrenzen hinweg,
    • die Kooperation mit Experten, außerschulischen Institutionen, usw;
    • Fähigkeit, insbesondere in den Studienseminaren in Kooperationsnetzwerken zu arbeiten, um damit die Ausbildung auf eine breitere Erfahrungsbasis zu stellen bzw. eine solche anzustoßen. Eine vernetzte Datenbank von "bewährten Beispielen" könnte impulsgebend und motivierend wirken.

Mit Blick auf die Ausbildung handwerklich-technischer und gestalterischer Fähigkeiten und Fertigkeiten sollte ein wesentlicher Teil der medienpädagogischen Ausbildung handlungs- und projektorientiert erfolgen.

Die genannten Inhalte erfordern für Ausbilderinnen und Ausbilder (Fachleiter, Fachberater) in der 2. Phase der Lehrerausbildung eine noch weiterreichende Qualifikation. Es ist notwendig, ihnen Gelegenheit zu ständiger Weiterbildung zu geben, um die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, die einer zeitgemäßen und effektiven Lehrerausbildung entsprechen, zu erwerben und ständig weiterzuentwickeln.

Quelle

http://www.kmk.org