Forum Bildungspolitik in Bayern, Aufwachsen in Medienwelten - Medienbildung für die Zukunft (2010)

Das Forum Bildungspolitik in Bayern legt ein medienpädagogisches Positionspapier mit Handlungsempfehlungen für die Bildungs- und Kulturpolitik vor und fordert:

  • medienpädagogische Programme für Kita, Schule und Erwachsenenbildung
  • soziale Netzwerke im Unterricht nutzen
  • technische Medienkompetenz fördern
  • Lehrpläne an Bildungsstandards für Medienkompetenz orientieren
  • spezielle Medienpädagogik für Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Familien und solche mit Migrationshintergrund
  • geschlechterspezifische Medienpädagogik
  • medienpädagogische Grundbildung für alle Pädagogen

Das Forum Bildungspolitik in Bayern fordert insbesondere die bildungspolitisch Verantwortlichen auf, in eine fachlich qualifizierte soziale und kulturelle Medienbildung zu investieren. (Pressemitteilung)

Positionspapier:

Medien haben im Aufwachsen heutiger Kinder und Jugendlicher eine herausragende Bedeutung. Vor allem die elektronischen Medien sind dabei konstitutiver Bestandteil ihrer Lebenswelt und eröffnen neue Lern- und Erfahrungsbereiche 1. Medien bieten Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung sowie zur kulturellen und gesellschaftlichen Teilhabe und liefern wichtige Impulse zur Identitätsentwicklung. Gleichzeitig bringen sie aber Gefahren und Probleme mit sich, die die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen gefährden können. Im Gegensatz zu vielen Erwachsenen, die dieser neuen Medienwelt als "Digital Immigrants" begegnen, wachsen Kinder und Jugendliche als "Digital Natives" in diese Welt hinein. Sie gehen viel selbstständiger und unvoreingenommener als frühere Generationen mit den sich schnell verändernden Medien und deren Technologien und Kommunikationsformen um, sind sich aber häufig der negativen Auswirkungen nicht bewusst. Die Förderung von Medienkompetenz stellt somit eine wichtige Aufgabe von Bildung und Erziehung dar und muss zum unverzichtbaren Teil allgemeiner und kultureller Bildung werden. Hier eröffnen sich im schulischen und außerschulischen Bereich zahlreiche neue Aufgaben und Herausforderungen für die Zukunft des "Lebenlernens" in einer medienkulturellen Gesellschaft.

Medien als Bereicherung akzeptieren

Medien sind für unser alltägliches Handeln zunächst eine große Bereicherung. Sie helfen uns, unseren Alltag zu bewältigen, bieten Unterhaltung und ermöglichen Entspannung beim Spiel. Gerade die elektronischen Spiele stellen aber für viele, vor allem ältere Erwachsene eine fremde Welt dar. War es früher die Rockmusik, die die Generationen gespalten hat, so sind es heute insbesondere die Computerspiele, die Eltern und Kinder entzweien. So können Erwachsene die Faszination der Kinder und Jugendlichen für diese Spiele häufig nicht nachvollziehen. Diese Medien stoßen somit vor allem auf Ablehnung und werden oft unreflektiert als Ursache für verschiedene negative Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen herangezogen. Daraus resultiert häufig ein elterliches Verbot der Spiele und eine Abwertung der ganzen Gattung. Computerspiele sind aber wie alle Medien vielschichtig und haben auch positive Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche. Der Deutsche Kulturrat hat dies beispielsweise frühzeitig erkannt und deshalb auf die kulturelle Bedeutung von Computerspielen hingewiesen 2. Die Auslobung eines Deutschen Computerspielpreises durch den Deutschen Bundestag 2008 hat dies weiter befördert 3.

Medienfunktionen für Kinder und Jugendliche verstehen

Das Forum Bildungspolitik in Bayern stellt fest: Medien liefern für Kinder und Jugendliche wichtige Orientierungs-, Handlungs- und Identifikationsräume. So stellen sich zum Beispiel Jungen und Mädchen im Aufwachsen immer wieder die Frage "Wie werde ich ein Mann?" bzw. "Wie werde ich eine Frau?" und orientieren sich dabei sehr häufig an den Medien. Diese Bedeutung der Medien zu verstehen und sie im pädagogisch-bildenden Prozess zu berücksichtigen, stellt sich für Eltern und pädagogisch Tätige gleichermaßen als Aufgabe. Dabei dürfen nicht negative Klischees und Weltbilder den Medienumgang dominieren. Es ist eine zentrale Herausforderung für Eltern und Erziehende im 21. Jahrhundert, Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, eine vernünftige Balance zwischen dem Ausprobieren neuer Rollenmuster und Kommunikationskulturen einerseits und der Entwicklung stabiler Persönlichkeitsstrukturen andererseits zu finden.

Den Umgang mit Medien fördern

In vielen Familien und pädagogischen Einrichtungen findet bisher häufig keine reflektierte und produktive Auseinandersetzung mit Medien statt. Erziehende sind sich oft ihrer medienpädagogischen Verantwortung nicht bewusst oder wissen nicht, wie sie den positiven Umgang mit Medien fördern können. Medienbildung und Medienpädagogik haben dazu in den letzten Jahren zahlreiche Modelle der medienpraktischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen entwickelt, die vor allem den aktiven Umgang mit Medien fördern. Sowohl für den vor- und außerschulischen als auch für den schulischen Bereich wurden medienpraktische Konzepte und Projekte erprobt, die die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen stärken. Modelle dieser Art müssen Eingang in Einrichtungen der Elementarpädagogik sowie in Jugend-, Familien- und Elternbildung finden und als Querschnittsaufgabe in den schulischen Alltag integriert werden. Hier gilt es, die informellen medialen Lernformen von Kindern und Jugendlichen in ihren Szenen und Gleichaltrigengruppen einzubeziehen.

Gefahren und Probleme benennen, bearbeiten und eindämmen

Ein sinnvoller Umgang mit Medien bedeutet aus Sicht des Forum Bildungspolitik in Bayern auch, Gefahren und Probleme erkennen und benennen zu können. Der potentielle Missbrauch der Mediennutzung und die Einflussmöglichkeiten kommerzieller und weltanschaulicher Interessen auf Kinder und Jugendliche müssen ernst genommen werden. Ethisch fragwürdige Medienangebote (z.B. gewalthaltige, extremistische oder pornographische Inhalte) dürfen nicht unkontrolliert verbreitet werden. Der Umgang mit persönlichen Daten im Netz braucht eine kritische Analyse sowie sensibilisierte Alltagsnutzung. Hier stehen Erziehende oft vor dem Problem, nicht genügend über neue Entwicklungen informiert zu sein, um adäquat Stellung beziehen zu können. Deshalb bedarf es kontinuierlicher Information und aufklärender Aktivitäten, aber auch intensiven Kontakts mit öffentlichen, kommerziellen und bürgerschaftlich-engagierten Akteuren der aktuellen Medienkulturen. Manipulation durch mediale Inhalte und Angebote ist ein altes "Medienproblem" und entsprechend der umfassenden Alltagspräsenz vernetzter digitaler Medialität von besonderer Aktualität.

Problematischen Mediengebrauch als Indikator für Defizite begreifen

Ein problematischer Mediengebrauch ist immer auch Indikator für Defizite in anderen Lebensbereichen. Wenn Kinder und Jugendliche Medien exzessiv oder vor allem gewalthaltige Medien nutzen, haben sie in der Regel Probleme in ihrem sozial-kulturellen Alltag, sei es aufgrund von Schwierigkeiten in der Schule, mit Freunden, mit Eltern oder mit anderen Erwachsenen. Diese Probleme bedingen sich häufig gegenseitig und führen zu einer Spirale negativer Auswirkungen. So kann exzessive Mediennutzung Schulschwierigkeiten zur Folge haben und umgekehrt können Schulschwierigkeiten die Flucht in den exzessiven Medienkonsum bedeuten. Somit ist eine gründliche Analyse der Ursachen notwendig, um pädagogisch sinnvoll handeln und Lösungsperspektiven eröffnen zu können. Pädagogisch Tätige müssen verstärkt für Gefahren und Probleme sensibilisiert und für angemessene Präventionen und Interventionen qualifiziert werden.

Verbindungen zwischen "Sinne & Cyber" stärken

Medienwelten stehen in einem unmittelbaren Verhältnis zu konkreten und realen sozialen Lebenswelten. Es gilt bei den Jugendlichen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen "Sinne & Cyber" zu erreichen, d.h. eine Balance zwischen der digitalen Welt und der sinnlich-leiblichen Lebenshaltung der Jugendlichen in ihrer persönlichen Sphäre, in ihrer Familie, Schule, Peergroup und weiteren Gesellungsformen aller Art.

Für die Balance zwischen sinnlich-leiblichen Lebenswelten und digitalen Spiel- und Lernangeboten sind auf der einen Seite das "Mitmachnetz" Web 2.0 für soziale Beziehungen und Interaktionen im realen und virtuellen Raum nutzbar zu machen. Auf der anderen Seite gilt es im konkreten Umfeld der Jugendlichen Räume zu schaffen, die der Faszination der digitalen Welt und möglicher Abhängigkeiten attraktive Angebote entgegensetzen.

Empfehlungen zur Förderung kultureller und sozialer Medienkompetenz im bayerischen Bildungswesen

Auf der Grundlage des Medienpädagogischen Manifests 4 ergeben sich für das Forum Bildungspolitik in Bayern für das bayerische Bildungswesen folgende Empfehlungen zur Förderung kultureller und sozialer Medienkompetenz:

  • Damit alle Kinder und Jugendlichen die Chance erhalten, ihre Medienkompetenz zu erweitern, müssen medienpädagogische Programme vor allem in den Einrichtungen der Elementarpädagogik, der Schulpädagogik sowie in der Jugend-, Familien- und Elternbildung verstärkt werden.
  • Der alltägliche Umgang der Kinder und Jugendlichen mit Medieninhalten und Medienkommunikationsformen in vernetzten und zunehmend partizipativen, interaktiven Formen des Web 2.0 (z.B. Social Networks, Twitter, Blogs usw.) ist auch als Chance und Gewinn zu sehen. Dabei wird auch soziale und kulturelle Kompetenz entsprechend eines angemessenen Gebrauchs gebildet. Soziale, kulturelle und technische Medienkompetenz ist zudem und zukünftig eine Voraussetzung für berufliche Qualifikationen und Erfolge.
  • In der aktuellen Diskussion zur Schulreform (z.B. Ganztagsschulen) müssen für alle Schulformen auch Bildungsstandards für Medienkompetenz vereinbart und entsprechende medienpädagogische Inhalte in Curricula verbindlich verankert werden.
  • Einen besonderen Schwerpunkt stellen pädagogische Angebote für Heranwachsende aus Migrationskontexten und bildungsbenachteiligten Milieus sowie Angebote zur geschlechtersensiblen Arbeit dar.
  • In der Aus- und Fortbildung von pädagogisch Tätigen ist generell eine medienpädagogische Grundbildung als verbindlicher Bestandteil zu verankern.
  • Mediensozialisationsforschung und medienpädagogische Begleit- und Praxisforschung sind auszubauen.

Das Forum Bildungspolitik in Bayern fordert alle Akteure, Institutionen und Einrichtungen, insbesondere die bildungspolitisch Verantwortlichen der Familien-, Jugend-, Schul- und Kulturpolitik in Bayern zu Initiativen, Investitionen und Maßnahmen für mehr und fachlich qualifizierte soziale und kulturelle Medienbildung zugunsten zeitgemäßer und alltagsrelevanter Medienkompetenz auf.

Anmerkungen

1 vgl. Medienpädagogisches Manifest "Keine Bildung ohne Medien!" http://www.medienpaed.com/manifest_2009.pdf.
2 vgl. Deutscher Kulturrat http://www.kulturrat.de/dokumente/streitfall-computerspiele.pdf
3 vgl. http://www.deutschercomputerspielpreis.de/
4 vgl Medienpädagogisches Manifest "Keine Bildung ohne Medien!" Forderungen http://www.medienpaed.com/manifest_2009.pdf.

Stand:20.5.2010

Quelle:
http://www.forum-bildungspolitik.de/

Das Forum Bildungspolitik in Bayern ist ein Zusammenschluss von 44 Organisationen und Verbänden innerhalb und außerhalb des Bildungswesens.