Erklärung der Bildungsinternationale zum Berufsethos (2007)

  1. Diese Erklärung stellt eine individuelle und kollektive Verpflichtung für LehrerInnen und andere im Bildungs- und Erziehungsbereich Beschäftigte dar. Sie ergänzt Gesetze, Statuten, Regelungen und Programme zur Definition der Berufspraxis. Sie soll LehrerInnen und ErzieherInnen helfen, auf Fragen im Zusammenhang mit professionellen Verhaltensregeln zu reagieren und auf Probleme, die sich aus den Beziehungen zwischen den am Bildungsprozess Beteiligten ergeben.
  2. Eine qualifizierte öffentliche Bildung ist einer der Eckpfeiler der demokratischen Gesellschaft. Sie hat die Aufgabe, allen Kindern und Jugendlichen die gleichen Bildungschancen zu bieten. Sie ist durch ihren Beitrag zur wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung von wesentlicher Bedeutung für das Wohlergehen einer Gesellschaft. LehrerInnen, ErzieherInnen und andere Beschäftigte des Bildungswesens tragen eine Mitverantwortung dafür, dass sich die Öffentlichkeit auf die von ihnen erwarteten hohen Standards ihrer Dienstleistungen verlassen kann.
  3. Ein verantwortungsvolles Urteilsvermögen ist das Kernstück der beruflichen Tätigkeit. Eine weitere wichtige Voraussetzung, um eine qualifizierte Bildung zu ermöglichen, ist der Einsatz fürsorglicher, kompetenter und engagierter LehrerInnen und ErzieherInnen, die jedem Schüler/jeder Schülerin helfen, sein/ihr Potential auszuschöpfen.
  4. Die Sachkenntnis und das Engagement von LehrerInnen und ErzieherInnen muss mit guten Arbeitsbedingungen verbunden sein und durch eine förderliche Politik des Landes, der Kommune und des jeweiligen Trägers unterstützt werden. Nur dann kann es qualifizierte Bildung geben.
  5. Der Lehrberuf kann von einer Diskussion über die zentralen Werte des Berufes sehr profitieren. Die damit verbundene Schärfung des Bewusstseins über die Normen und Ethik des Berufes kann dazu beitragen, die Berufszufriedenheit von LehrerInnen und ErzieherInnen zu steigern, ihren Status und ihr Selbstwertgefühl zu verbessern und den Respekt der Gesellschaft für den Beruf zu erhöhen.
  6. LehrerInnen und ErzieherInnen und ihre Gewerkschaften verpflichten sich durch ihre Mitgliedschaft in der Bildungsinternationale (BI), eine Bildung und Erziehung zu fördern, die den Menschen befähigt, ein erfülltes Leben zu leben und einen Beitrag zum Wohlergehen der Gesellschaft zu leisten.
  7. Im Bewusstsein der hohen professionellen und ethischen Verantwortung gegenüber den SchülerInnen, KollegInnen und Eltern sollten die Mitgliedsorganisationen der BI:
    1. die vom Kongress und dem Vorstand der BI beschlossene Politik und die entsprechenden Resolutionen, einschl. dieser Erklärung über eine professionelle Ethik aktiv unterstützen;
    2. darauf hinwirken, dass LehrerInnen und anderen Beschäftigten im Bildungsbereich Rahmenbedingungen zuteil werden, die es ihnen ermöglichen, ihre Pflichten zu erfüllen;
    3. die Grundprinzipien und Grundrechte gewährleisten, die entsprechend den Erklärungen der ILO für alle Beschäftigten am Arbeitsplatz gelten:
      • Recht auf Versammlungsfreiheit;
      • Recht auf Tarifverhandlungen;
      • Schutz gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz;
      • Gleichberechtigung am Arbeitsplatz;
      • Schutz vor Zwangs- und Sklavenarbeit;
      • Abschaffung von Kinderarbeit;
    4. daran arbeiten, dass ihre Mitglieder die Rechte genießen, die in der ILO/UNESCO Empfehlung über den Status von LehrerInnen und der UNESCO Empfehlung über den Status von Beschäftigten im Hochschulbereich festgelegt sind;
    5. alle Formen von Rassismus, Vorurteilen oder Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Familienstand, sexueller Orientierung, Alter, Religion, politischer Meinung, sozialem oder ökonomischen Status, nationaler oder ethnischer Herkunft auch im Bildungsbereich bekämpfen;
    6. die Kooperation mit Partnern auf nationaler Ebene zur Durchsetzung eines qualifizierten, vom Staat finanzierten Bildungswesens für alle Kinder suchen, mit dem Ziel, den Status und den Schutz der Rechte der im Bildungswesen Beschäftigten zu verbessern;
    7. ihren Einfluss nutzen, um weltweit und ohne jede Diskriminierung allen Kindern den Zugang zu einer qualifizierten Schulbildung zu ermöglichen, insbesondere arbeitenden Kindern sowie Kindern aus Randgruppen und Kindern mit besonderen Schwierigkeiten.

Im Sinne dieser Präambel erklärt die Bildungsinternationale:

ARTIKEL 1 VERPFLICHTUNG GEGENÜBER DER PROFESSION

Im Bildungswesen Beschäftigte:

  1. bemühen sich umqualifizierte Bildungsangebote für alle SchülerInnen und StudentInnen. Sie rechtfertigen dadurch das Vertrauen der Öffentlichkeit und fördern das Ansehen des Berufes
  2. sorgen dafür, dass ihr beruflicher Kenntnisstand regelmäßig auf den neuesten Stand gebracht und verbessert wird
  3. gestalten die Art, Form und den Zeitpunkt ihrer eigenen Weiterbildung auf der Grundlage ihrer professionellen Selbständigkeit und Verantwortlichkeit
  4. legen alle Informationen offen, die zum Nachweis ihrer Kompetenzen und ihrer Qualifikationen von Bedeutung sind
  5. beteiligen sich an den Aktivitäten ihrer Gewerkschaft zu Gunsten von Arbeitsbedingungen, die den Beruf für hochqualifizierte Menschen attraktiv machen
  6. unterstützen alle Bemühungen, um die Demokratie und die Menschenrechte im Bildungssektor selbst als auch durch Bildung und Erziehung zu fördern.

ARTIKEL 2 VERPFLICHTUNG GEGENÜBER SCHÜLERiNNEN/STUDENTiNNEN

Im Bildungswesen Beschäftigte:

  1. respektieren die in der UN Kinderrechtskonvention festgelegten Standards. Sie fördern deren Umsetzung für alle Kinder und respektieren ihre Inanspruchnahme, insbesondere im Kontext des Rechtes auf Bildung
  2. geben jedem Schüler/jeder Schülerin mit Blick auf deren Einzigartigkeit, Individualität und spezifische Bedürfnisse Anleitung und Ermutigung zur Wahrnehmung ihres vollen Potentials
  3. vermitteln den SchülerInnen/StudentInnen das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, welche von gegenseitigem Respekt geprägt ist und welche zugleich jedem Einzelnen genug Raum lässt
  4. pflegen ihren SchülerInnen/StudentInnen gegenüber einen Umgang auf der Ebene professioneller Beziehungen
  5. setzen sich für die Interessen und das Wohlergehen ihrer SchülerInnen/StudentInnen ein und bemühen sich nach Kräften, sie vor Drangsalierungen und physischem oder psychischem Missbrauch zu schützen
  6. unternehmen alles, um ihre SchülerInnen/StudentInnen vor sexuellem Missbrauch zu schützen
  7. gehen in allen Angelegenheiten, die das Wohlergehen ihrer SchülerInnen/StudentInnen betreffen, mit der notwendigen Fürsorglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Vertraulichkeit vor
  8. helfen den SchülerInnen/StudentInnen, Werte zu entwickeln, die den Maßstäben der internationalen Menschenrechte entsprechen
  9. setzen ihre Autorität auf der Grundlage von Gerechtigkeit und Mitgefühl ein
  10. sorgen dafür, dass die privilegierte Beziehung zwischen LehrerIn und SchülerIn/StudentIn auf keine Weise ausgenutzt wird, auch nicht zur religiös-spirituellen oder ideologischen Beeinflussung oder Kontrolle.

ARTIKEL 3 VERPFLICHTUNG GEGENÜBER KOLLEGiNNEN

Im Bildungswesen Beschäftigte:

  1. fördern die Kollegialität unter ihren KollegInnen, indem sie deren professionelle Positionen und Meinungen respektieren. Sie sind bereit, denjenigen Rat und Unterstützung zu geben, die am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn stehen oder sich in der Ausbildung befinden;
  2. behandeln Informationen über KollegInnen, die sie während der beruflichen Tätigkeit erhalten haben, vertraulich, soweit die Offenlegung nicht einem zwingenden professionellen Zweck dient oder gesetzlich verlangt wird;
  3. unterstützen ihre KollegInnen in der Umsetzung von professionellen Beratungsprozessen, die zwischen ihren Gewerkschaften und den Arbeitgebern ausgehandelt und vereinbart wurden;
  4. sichern und fördern die Interessen und das Wohlergehen von KollegInnen und schützen sie vor Drangsalierungen wie etwa Mobbing und vor physischem, psychischem oder sexuellem Missbrauch;
  5. sorgen dafür, dass in ihrer eigenen Organisation darüber diskutiert wird, wie diese Erklärung bestmöglich umgesetzt werden kann.

ARTIKEL 4 VERPFLICHTUNG GEGENÜBER DEM LEITUNGSPERSONAL

Im Bildungswesen Beschäftigte:

  1. kennen ihre gesetzlichen und administrativen Rechte und Verantwortlichkeiten und respektieren die Vereinbarungen kollektiver Verträge und die Rechte der SchülerInnen/StudentInnen;
  2. befolgen nachvollziehbar begründete Anweisungen des Leitungspersonals. Dabei haben sie das Recht, Anweisungen gemäß einem klar festgelegten Verfahren zu hinterfragen.

ARTIKEL 5 VERPFLICHTUNG GEGENÜBER ELTERN

Im Bildungswesen Beschäftigte:

  1. respektieren das Recht von Eltern, über das Wohlergehen und die Entwicklung ihres Kindes in einem vereinbarten Verfahren informiert und beraten zu werden;
  2. legen bei ihrer Beratungstätigkeit in Respektierung der gesetzlichen elterlichen Autorität professionelle Überlegungen zu Grunde, die den Interessen des Kindes am besten dienen;
  3. nutzen jede Möglichkeit, um Eltern zu ermutigen, sich an der Bildung und Erziehung ihres Kindes aktiv zu beteiligen und den Lernprozess auch dadurch zu unterstützen, dass sie ihre Kinder von jeglicher Form der Kinderarbeit fernhalten, die deren Erziehung beeinträchtigen kann.

ARTIKEL 6 VERPFLICHTUNG GEGENÜBER DEN LEHRKRÄFTEN

Die Gesellschaft

  1. soll gewährleisten, dass sich Lehrkräfte bei der Ausübung ihres Berufes einer fairen Behandlung sicher sein können;
  2. erkennt das Recht der Lehrkräfte auf den Schutz ihrer Privatsphäre an, so dass sie innerhalb der Gesellschaft ein selbständig organisiertes, normales Leben führen können.

Quelle

http://www.ei-ie.org/ethics/file/(2007) Declaration of Professional Ethics de.pdf

(Die Bildungsinternationale - Education International - ist die Dachorganisation von fast 400 Bildungsgewerkschaften weltweit. Sie repräsentiert über 30 Millionen Menschen, die im Bildungsbereich arbeiten.)