Dieter Baacke, Ethische Standards für Jugendinformation (1998)

In Orientierung und Anlehnung an die Charta der Europäischen Jugendinformation, verabschiedet auf der vierten EUROPEAN YOUTH INFORMATION AND COUNCELLING AGENCY (ERYICA)- Generalversammlung im Dezember 1993 in Bratislava, werden folgende ethische Standards von Jugendinformation vorgeschlagen. In einer Situation unzureichender gesetzlicher Regelungen und fehlender gemeinsamer europäischer Standards, sollen sie als Grundregeln des kommunikativen Umgangs mit Multimedia und den neuen Netzen dienen.

1. Jugendliche brauchen gleichberechtigten und diskrimierungsfreien Zugang zu den neuen Informationssystemen.

Jedem jungen Menschen muß Informationszugang ohne Diskriminierung oder Bevormundung sowie ohne Bevorzugung Einzelner oder bestimmter Gruppen zur Verfügung gestellt werden. Allen jungen Menschen - ungeachtet ihrer Situation, ihres Wohnortes, ihres Geschlechts, ihrer Nationalität, ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer sozialen Schicht - wird Chancengleichheit beim Zugang zu Informationen durch die Bereitstellung von Informationszentren garantiert.

2. Pluralität und Freiheit der Informationsvermittlung für Jugendliche.

Jugendinformation ist ein Beitrag zum Erziehungsprozeß und soll Selbstverantwortlichkeit und Selbständigkeit fördern. Deshalb sollten die Jugendlichen weder durch die Vorauswahl (einseitiger) Informationen noch durch die beratende Tätigkeit einzelner MitarbeiterInnen bei ihrer Entscheidungsfindung in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Ausführliche, umfassende und vielschichtige Informationen sind notwendig, um angesichts einer in vielfältiger Hinsicht unterschiedlichen und differenzierten Informationskultur alle jene Kenntnisse und Einsichten zur Verfügung zu haben, die eine einseitige Informationsauswahl verhindern und auch Jugendliche dazu bringen, sich der Pluralität von Ansichten zu stellen und sich hier ein eigenes Urteil bilden zu können.

3. Persönlichkeitsschutz im Internet muß auch für Jugendliche gelten.

Um bei den Jugendlichen das notwendige Vertrauen herzustellen, hat jeder Besucher einen Anspruch auf anonyme, vertrauliche Beratung. Namen und persönliche Daten (sofern sie überhaupt genannt werden), dürfen weder zur internen Verwaltung noch zu statistischen Zwecken registriert werden. Beteiligte Pädagogen erhalten ein Zeugnisverweigerungsrecht.

4. Kostenlose Zugänge zum Netz für Kinder und Jugendliche.

Information und Beratung sind für Jugendliche grundsätzlich kostenlos. Sonstige Serviceleistungen wie Kartenverkauf, Broschüren etc. sollen preiswert angeboten werden.

5. Die neuen Informationssysteme müssen eine enge Verbindung zwischen medialer und direkter Kommunikation herstellen.

Informationszentren dienen als Drehscheibe und Wegweisersystem zu vorhandenen Einrichtungen. Damit ist eine enge Kooperation mit den lokalen und regionalen Einrichtungen und Institutionen unverzichtbar, da die Verarbeitung vieler Informationen nur über direkte Kontakte vertieft und folgenreich handelnd stabilisiert werden kann.

6. Freier Zugang zu allen Informationszentren.

Die Zentren müssen leicht erreichbar und zugänglich sein sowie von außen mühelos identifizierbar (z.B. durch ein einheitliches Informationszeichen). Durch unterschiedliche Maßnahmen, z.B. die ansprechende Gestaltung oder Einbindung von Cafés soll ein niederschwelliges Angebot geschaffen werden.

7. Qualifizierte Fachkräfte müssen die neuen Informationsaufgaben gewährleisten.

Jugendinformation versteht sich als beratendes Angebot, darum muß der Informationstransfer auch personell begleitet werden. Damit qualifiziert Informationen weitergegeben werden können, bedarf es ausgebildeter Fachkräfte mit hoher Kontaktfreudigkeit, geistiger Beweglichkeit und Neutralität. Diese Fachkräfte sind für die Vielschichtigkeit, Aktualität und Genauigkeit der Informationen verantwortlich und prägen damit einen inhaltlichen Standard von Jugendinformationen.

8. Spezielle Gruppen bedürfen in Informationssystemen einer neuen Art des Minderheitenschutzes.

Minderheitenschutz betrifft alle Personen, die - aus welchen Gründen auch immer - von Informationen und Informationssystemen ausgegrenzt werden oder nur zufälligen, kontrollierten oder gar keinen Zugang haben. Jeder Art von Benachteiligung und allen Formen einer Informationshegemonie ist entgegenzutreten.

9. Allen inhumanen und ethischen Traditionen unzuträglichen oder gar gesellschaftlich schädlichen Kommunikationsformen ist entschieden entgegenzutreten; dazu gehören insbesondere Kriegsverherrlichung, Gewalt und Faschismus.

Informationssysteme sind weder in ihrer Handhabung, noch in ihren Inhalten grundsätzlich gesichert. Problematische Inhalte werden heute bereits verbreitet. Daher ist es notwendig, Jugendlichen einerseits den Zugang zu solchen Bereichen zu erschweren, andererseits ihnen aber auch durch Überzeugung sehr breit deutlich zu machen, warum Bereiche inhumaner und undemokratischer Kommunikation schädlich sind und wie man sich damit auseinandersetzen kann.

10. Der Umgang mit Informationen ist in jeder Breite zu fördern. Um eine Belastung durch Informationsüberflutung zu vermeiden, muß Jugendinformation strukturierende Hilfen zur Verfügung stellen.

Information und Informationssysteme sind heute zu fast allen Themenbereichen und in zunehmend vielen Ausdrucksformen (Multimedia) verfügbar. Dies kann dazu führen, daß Jugendliche die Übersicht verlieren. Wichtig ist die Möglichkeit, Kriterien zu gewinnen, welche Informationsangebote für sie nützlich, wichtig oder im positiven Sinn unterhaltend sind, und welche die reichen Möglichkeiten anderer Kommunikationsformen durch übermäßigen Informationsgebrauch ausschließen. Der Umgang mit engagierten, aber auch dosierten Informationszuwächsen ist zu lernen, einzuüben und immer wieder zu reflektieren, besonders im Vergleich zu anderen Handlungsbereichen (face to face-Lernorte, Sport etc.), die einer Ausschließlichkeit von Informationszuwendungen entgegenwirken.