Helga Theunert, Partizipation - Ein Ziel der Medienpädagogik (2011)

"Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Beteiligung und Mitgestaltung" – so beginnt die Präambel einer vom BMFSFJ 2010 herausgegebenen Broschüre 1 und es folgt der Hinweis, dass dieses Recht in nationalen und internationalen Gesetzestexten festgeschrieben sei. So finden sich etwa in der UN-Kinderrechtskonvention mehrere Artikel, die für das Beteiligungsrecht relevant sind, z. B. Berücksichtigung des Kindeswillens (Art. 12), Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 13) oder Zugang zu den Medien (Art. 17). In der Broschüre des BMFSFJ tauchen Medien hingegen nicht auf.

In den "konkreten Handlungsschritten zur Umsetzung von Partizipation" in Feldern wie Kita, Schule, Jugendarbeit etc. gerät die Medienwelt weder als Informationsquelle und meinungsbildende Größe in den Blick, noch werden ihre Potentiale für eine teilhabende Lebensführung erwähnt.
Dabei hat das Verhältnis von Medien und Partizipation Tradition, ist theoretisch gut fundiert 2, und für Handlungsfelder, die sich mit Kindern und Jugendlichen befassen, pädagogisch vielfältig konzeptioniert.

Vor allem in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde die Beteiligung an gesellschaftlichen Entscheidungen als grundlegendes demokratisches Prinzip eingefordert. Medien waren in diesen Kontext als Mittel der Information und Artikulation integriert. Niederschlag fand diese Perspektive z. B. in alternativen Bürgermedien. In der Medienpädagogik wurde die bis heute zentrale Methode der aktiven Medienarbeit konzeptioniert.3

Mit ihr ist die Absicht verbunden, Heranwachsenden den eigentätigen und selbstbestimmten Gebrauch der Medien als Mittel der Artikulation nahezubringen und ihnen so Wege zu öffnen, ihre Belange und Anliegen öffentlich zur Geltung zu bringen. In ihren Wurzeln hat Partizipation mittels Medien eine klare emanzipatorische Dimension, ist mit der (Wieder-)Erreichung von Mündigkeit und der Gestaltung selbstbestimmter und sozial verantwortlicher Lebensführung verbunden. In diesem Verständnis war und ist Partizipation eine Zielsetzung (medien-)pädagogischen Handelns. Die Bedeutung hat sich durch Mediatisierungsprozesse in der Gesellschaft und im sozialen Miteinander erhöht. Durch diese verschränken sich zunehmend mediale Gegebenheiten, soziale Handlungspraktiken und kulturelle Sinnkonstitution.4

Möglichkeiten des Social Web als Ansatzpunkte für partizipatives Handeln

Partizipation ist heute erneut zu einem viel gebrauchten Begriff geworden und ist weiterhin medial konnotiert, nämlich dann, wenn vom Mitmach-Internet die Rede ist. Zahllose Informationszugänge und Kommunikationsmöglichkeiten, mediale Werkzeuge zur Artikulation und Selbstinszenierung, Distributionswege und Veröffentlichungsflächen – alles ist im Prinzip allen zugänglich und kann potentiell für Partizipation genutzt werden. Über deren Realisierung und Qualität ist damit jedoch noch nichts gesagt. Zwar tummelt sich die Mehrheit der Heranwachsenden eifrig im Social Web, empirische Befunde verweisen jedoch darauf, dass nur ein kleiner Teil die Optionen für ernsthafte Beteiligungsformen im Sinne von sozial verantwortlicher Selbstbestimmung realisiert. Es sind dies vorrangig ältere und gut gebildete Jugendliche, die einen hohen Aktivitätslevel im Medienhandeln sowie Interesse und Engagement für soziale, zivilgesellschaftliche und politische Kontexte zeigen. Die Möglichkeiten des Mitmach-Internets aktivieren nicht per se und nicht allein Partizipation. Aber sie bieten Ansatzpunkte, um den partizipativen Handlungshorizont zu erweitern. So realisieren Heranwachsende in ihren Community- Aktivitäten z. B. Mitwirkung, wenn sie sich durch Meinungsäußerung oder Darstellung eigener Perspektiven in bestehende Gruppen oder Foren aktiv einbringen. Ein weiterer Schritt zur Realisierung partizipativen Medienhandelns mit einem größeren Maß an Selbstbestimmung ist getan, wenn Heranwachsende selbst mediale Strukturen und Räume initiieren und gestalten, um für ihre Belange einzutreten und Unterstützung zu erhalten.

Leitlinien für eine auf Teilhabe ausgerichtete Medienpädagogik

Den Anforderungen an medienpädagogisches Handeln, das Kindern und Jugendlichen die Potentiale der Medienwelt für Partizipation nahebringen will, ist nicht allein mit Vermittlung von Aufklärungswissen und Schulung instrumenteller Fertigkeiten nachzukommen. Für die Entwicklung von Leitlinien können folgende Überlegungen hilfreich sein:

  • Partizipation mit medialen Mitteln wird angesichts fortschreitender Mediatisierung der Gesellschaft zunehmend zu einem Element souveräner Lebensführung. Es ist entsprechend notwendig, ihre Realisierung allen Heranwachsenden zugänglich zu machen, in altersdifferenzierten und milieusensiblen Formen. Ressourcenorientierung sowie Stärkung und Erweiterung vorhandener Fähigkeiten sind dabei maßgebend für pädagogisches Handeln.
  • Partizipatives Medienhandeln gründet auf Bereichen und Belangen der Lebenswelt von Heranwachsenden. Auch wenn diese in mediale Räume verlängert oder verlagert werden, bleibt die Wirkrichtung auf das reale Leben bezogen. Dieses Verständnis gilt es aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig ist allen Versuchen entgegenzuwirken, die Partizipation von Kindern und Jugendlichen auf mediale Spielwiesen begrenzen oder sie zur Dekoration kommerzieller Interessen missbrauchen zu wollen.
  • Partizipation mit medialen Mitteln impliziert immer die Mitgestaltung medialer Räume durch Themensetzung, Werthaltungen, Kommunikationsformen, ästhetische Kriterien etc. Daraus entsteht soziale und ethische Verantwortung. Medienpädagogik muss einerseits Heranwachsenden 63 diese Verantwortung ins Bewusstsein heben. Andererseits ist sie gefordert, im öffentlichen Diskurs dafür einzutreten, dass Heranwachsende nicht mit Verantwortung überfrachtet werden oder gar, wenn sie Versuchungen der kommerzialisierten Medienwelt verfallen, persönlich in die Verantwortung genommen werden.

Eine handlungsorientierte Medienpädagogik, die nicht nur, aber auch in den medialen Räumen des Mitmach-Internets agiert, wird solche Anforderungen am ehesten zielführend konkretisieren – vorausgesetzt es gelingt ihr, im pädagogischen Verhältnis die Balance zu halten zwischen der Ermöglichung autonomen Handelns in medialen und realen Räumen und der an den thematischen und emotionalen Belangen von Kindern und Jugendlichen ausgerichteten Anregung zu Reflexion und Erweiterung des Handlungshorizonts.

Anmerkungen

  1. BMFSFJ (Hrsg.) (2010): Qualitätsstandards für Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. www.bmfsfj.de
  2. Siehe z. B. Brechts Radiotheorie (1932), Enzensbergers Medienbaukasten (1970) oder Negt/Kluges Öffentlichkeit und Erfahrung (1972)
  3. Vgl. z. B. Schell, F.(1989): Aktive Medienarbeit mit Jugendlichen. Theorie und Praxis. München
  4. Vgl. Krotz, F. (2008): Kultureller und gesellschaftlicher Wandel im Kontext des Wandels von Medien und Kommunikation. In: Thomas, T. (Hrsg.): Medienkultur und soziales Handeln. Wiesbaden

Quelle

Prof. Dr. Helga Theunert,
Universität Leipzig und JFF – Institut für Medienpädagogik

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Quelle: "Jugend online", Herausforderungen für eine digitale Jugendbildung, Projektdokumentation 2006-2011;
Die Dokumentation kann als PDF-Datei kostenfrei heruntergeladen werden.