Bernd Schorb - Medien, Jugend, politische Bildung. Zusammenhänge und Widersprüche (1)

Grundsätzlich ist vor der Annahme zu warnen, die Medienentwicklung löse etwas qualitativ Neues, Schlimmes wie Gutes, aus. Die Entwicklung von Technik ist schon immer gebunden an die geistige und kulturelle Entwicklung der Menschen. Entscheidend für die Prozesse, die Medien gestützt und vorangetrieben haben, war also immer das gesellschaftliche Umfeld und natürlich auch dessen regulierenden, also die politischen Einrichtungen. Technische Erfindungen und Fantasien machen ja noch keine technische Entwicklung aus. Gerade die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechniken ist politisch gewollt und forciert. Die normative Stützung der Entwicklung war und ist verbunden mit Schlagworten wie Förderung von Zukunfttechnologien, Erhalten der Konkurrenzfähigkeit und auch Verbesserung der Lebensqualität. Welche große Bedeutung der Medienentwicklung beigemessen wird zeigt sich im Moment daran, daß Milliarden an Mitteln der Forschungsförderung bei uns in Deutschland und in der EU in die Förderung von - ausschließlich technischen - Projekten im Bereich Netze und Multimedia fließen läßt, während zugleich dem Bereich des Sozialen ebenso massiv die Mittel entzogen werden. Die Medienentwicklung floriert trotz ökonomischer Probleme, die Bildung, besonders die politische, stagniert, wegen ökonomischer Probleme.

Dabei gibt es einen engen Konnex von Medien- und sozialer Entwicklung, der es eigentlich fordert, die Forcierung der Medien durch Bildung der Menschen zu stützen und zu lenken. An einigen zentralen Begriffen der Medienentwicklung möchte ich diesen Zusammenhang illustrieren:

  • Individualisierung von Information und Kommunikation, d.h. die massenmedialen Angebote werden abgelöst durch rechnergesteuerte individuelle Angebote. 'Media on demand', jedem sein eigenes Programm wird der Normalfall, 'media for all' die Ausnahme.
  • Interaktivität von Medium und Nutzer, d.h. der verkabelte und computergesteuerte Bildschirm wird zum Wahl-, Kauf-, Entscheidungs-, Überwachungs-, Unterhaltungs-, Informations- und auch Bildungsmedium. Rückkanäle werden zum Mittel der Steuerung der Individuen, die meinen, selbst die Steuerleute zu sein.
  • Deregulierung, d.h. der Verzicht auf Struktur- und Inhaltskontrolle der medialen Angebote. Die Kapitulation vor dem Markt und die Verabsolutierung von Standortpolitik zum einzigen Handlungsmaßstab haben die - nun schon - historischen Handlungsprämissen (bzw. -legitimatoren) wie 'Sozialverträglichkeit' oder das Leitbild vom 'mündigen Bürger abgelöst. Mediale Angebote werden als Waren auf dem Markt präsentiert, die ein jeder produzieren oder erwerben kann. Der Produzent muß über das Kapital verfügen, sich auf dem weltweiten Markt durchzusetzen, also ein 'Medienmulti' sein. Der Konsument muß mit genügend Finanzen ausgestattet sein, um sich 'Multimedia' kaufen zu können. Alles andere regelt der Markt.
  • Informationsgesellschaft, d.h eine Gesellschaft, die nicht mehr durch Arbeit und Produktion von Waren konstituiert wird, sondern über die Herstellung, die Verfügung über und die Verteilung von Information und Kommunikation. Diese Gesellschaft kündigt sich schon an mit dem stetigen Abbau von menschlicher produktiver Arbeit, dem Aufstieg von weltweiten, Kommunikation und Information verkaufenden, Konzernen und der Übergabe immer neuer Entscheidungs- und Handlungsfelder an computerisierte Systeme.
  • Glocalisierung, das Kunstwort aus global und local, d.h. einerseits die Loslösung der Kommunikation und Information aus ihrer lokalen Beschränkung durch die weltumspannenden Netze und andererseits das Zusammenschrumpfen der Welt zu einer neuen Örtlichkeit innerhalb dieser Netze. Weder Zeit noch Entfernung hindern uns - wenn wir es uns leisten können - mit potentiell beliebig vielen Menschen und Rechnern gleichzeitig und in 'Echtzeit' zu kommunizieren. Zugleich verschwinden unsere Lebensorte werden zu einem einzigen, dem des weltweiten Netzes. Allerdings, diese Welt im Netz ist nicht die Welt aller Menschen, sondern eine der Metropolen des Geldes. Die benachteiligten Länder dieser Erde werden ebenso ausgeschlossen wie die armen Menschen in diesen und den reichen Ländern.
  • Virtuelle Realität, d.h. die Kreation neuer Welten aus dem und in dem Computer, das Schöpfen und Öffnen von Räumen und Welten jenseits der stofflichen Realität. Mag die jetzige Welt in ihren Ikonen und Symbolen schon weitgehend Referenz der medialen Welt sein, mögen Medienkulturen immer mehr historisch gewachsene Realkulturen ablösen und aufsaugen, so bedeutet der Schritt in die virtuelle Wirklichkeit einen Weg in eine Welt, die nur noch im Trug der Sinne Bezüge zur materiellen Welt aufweist.

Aber, was hat das Bild, das sich aus diesen Begriffen zusammensetzt, mit Jugend zu tun? Viel, denn es beschreibt die - zugegeben negativ formulierten - Tendenzen der Gegenwart und vor allem der Zukunft, also der Vergangenheit und Gegenwart der Jugendlichen, wenn sie Erwachsene sind. Es beschreibt also im Vorgriff zentrale Bestandteile ihres Lebens. Und noch ein zweites verbindet die Medienentwicklung mit Jugend, nämlich, daß wir für diese Entwicklung geworben werden mit den Attributen jung und modern. Die veröffentlichte Debatte um die neuen Medien wird mit der - wie es in einem Positionspapier für den Jugendhilfetag 1996 (2) formuliert ist - "symbolischen Kraft von Jugend" verbunden, denn "Jugend ist ... ein Hauptmedium für die Beschaffung gesellschaftlicher Legitimität" (S.16). Aber Jugend ist nicht nur passiv an der Legitimation und Einführung neuer technischer Entwicklungen beteiligt, sie nimmt auch, wenngleich in widersprüchlicher Weise aktiv Anteil.

Die heutigen Jugendlichen in den hochindustrialisierten Staaten sind für die Zukunft wohl gerüstet. Sie leben bereits in einer Medienwelt und sie leben ihre Medienwelt. Sie haben diese Welt in ihrer Sozialisation als eine Medienwelt erfahren, übernommen und internalisiert. Die Jugendlichen bringen also, im Gegensatz zu den Erwachsenen, denen sich die informationstechnischen Neuerungen als solche und damit als Veränderungen ihrer Welt präsentieren, die Voraussetzungen mit, das als Gegebenheit zu akzeptieren, was Erwachsene als Veränderungen erst verinnerlichen müssen. Zugleich sind nicht mit der Erinnerung belastet, was alles im Zusammenhang mit der medialen Entwicklung verlorengegangen ist, vermissen also keine vormedialen Welten - es sei denn sie wenden sich ihnen bewußt zu.

Hinzu treten als weitere Begleiter der Sozialisation die Neugier und Aufgeschlossenheit Jugendlicher. Ihre Aufgeschlossenheit gegenüber Neuem macht sie gerade auch für die informationstechnischen Angebote empfänglich, die ja tatsächlich Möglichkeiten in die Welt bringen, die es bisher nicht gab. Hinzu tritt, daß vor allem die männlichen Jugendlichen die mit technischer Entwicklung verknüpfte Ideologie akzeptieren, dies sei Zukunft und Fortschritt. Weil, bei aller Debatte um die Gleichstellung von Mädchen und Jungen, auch bei der Jugend noch immer die männlichen Normen dominieren, dominiert hier auch der Mythos des Fortschritts als einer ständigen Verbesserung des angenehmen Lebens und dieser ist untrennbar verbunden mit dem Mythos der Technik als Selbstzweck und Motor des Fortschritts. Technik und Fortschritt teilen sich die gleichen männlichen Symbole: Macht und Herrschaft über die Welt. In diesem Sinne unterstützt die Jugend, und insbesondere deren männlicher Teil, technische Entwicklungen, die die genannten Versprechungen einer Verbesserung der Lebensqualität und einer Stärkung der Potenz des Menschen in sich tragen. Seinen statistischen Ausdruck findet dies darin, daß in allen Befragungen zur Akzeptanz neuer Medientechniken, vom Fernsehen bis zum Computer, diese bei Jugendlichen stets die höchsten Werte auswies. Zwar übertrafen die Jungen die Mädchen bei weitem, aber auch deren Zustimmung lag statistisch über der der restlichen Bevölkerung.

Nicht nur den Techniken der über uns kommenden Multimedienwelt ist Jugend aufgeschlossen, auch ihre Inhalte und Werte übernimmt sie als Fortschreibung dessen, was sie bereits kennt, schätzt und nutzt. Die interessierenden Inhalte dieser Welt sind zugleich die der Medien: Konsum und Sensationen. Die Welt präsentiert sich den Jugendlichen in und außerhalb der Medien als eine, die sich stets in Bewegung befindet - oder doch befinden sollte - und die käuflich zu erwerben ist. Schnell und aufregend leben und konsumieren sind eins im virtuell-medialen wie im realen Leben. Wenn wir davon ausgehen, daß die Medienwelt immer auch ein Spiegel der realen Welt ist, so finden sich die Jugendlichen dort ebenso - recht oder schlecht - zurecht, wie in ihren sonstigen Alltagsräumen. Medien lassen sich ebenso nutzen zum Auffüllen freier Zeit, als Handlungsselbstzweck, als auch zur gezielten Suche nach Orientierungen, als inhaltliche Vor-Bilder. Zu ihrer Orientierung finden die Jugendlichen hier all jene Verhaltensweisen, die in den Medien wie auch in der Realität erfolgversprechend sind. Hier wird Rollenverhalten präsentiert, von Mann und Frau, vom 'Winner und Looser', vom idealen Charakter und idealem Äußerlichen.

Die Identitäten von medialer und realer Jugendwelt manifestieren sich in der Übereinstimmung der Symbole beider Welten. Jugendliche kennen und entziffern die medialen Symbole als Repräsentationen ihrer eigenen, eben nicht in zwei Bereiche getrennten, Wirklichkeit. Mediale Codes bestimmen Kommunikation und Interaktion der Jugendlichen. Inhalt und Aussagekraft dieser Codes sind Symbole der Orientierung der Jugend. Sie zeigen an: Was muß ich kaufen, welche Musik hören, wie mich kleiden bzw. was ist 'in' und was ist 'out'. Ein Zweites macht ihre Attraktivität aus, den Verweis über die eigene Welt hinaus auf Universalität. Die medialen Codes sind weltweit eindeutig und einheitlich. Sie sind so konstruiert und distribuiert, daß sie in ihren Aussagen überall verstanden und akzeptiert werden. Augenscheinlich wird dies in Symbolen der Konsumindustrie - von der Nahrung über die Bekleidung bis zur Unterhaltung. Michael Jackson beispielsweise war weltweites Symbol für eine Musikrichtung, ein Lebensgefühl und zugleich eine Getränkemarke und austauschbar präsentiert sich Levis mit einer einheitlichen Konsum- und Lebensstilaussage, als eine Lebenshaltung, ein Musikstil und ein Bekleidungsstück. Der Boden ist also bereitet, auf dem die Multimedien Angebote machen werden, alle Lebensbereiche und -inhalte zu umfassen.

Der Akzeptanz der multimedialen Entwicklung durch eine Mehrzahl der Jugendlichen steht die Gefährdung aller Jugendlicher gegenüber. Das Wissen um die Verführbarkeit der Jugend gehört zu den Binsenweisheiten menschlicher Gesellschaften. Ihre Offenheit und Naivität gegenüber der Welt, birgt die Gefahr, daß die Heranwachsenden von den negativen Phänomenen dieser Welt überrannt, daß sie nicht Subjekt, sondern Objekt der medialen Entwicklung werden. So bereitwillig die Jugend die Erscheinungen der Medienwelt akzeptiert, so gefährlich können ihr diese werden, wenn sie die Kontrolle über ihre Wünsche und Vorstellungen übernehmen und Reflexion durch Konsumvorgaben ersetzen. Je jünger die Heranwachsenden sind, desto weniger sind sie in der Lage die komplexen Veränderungsprozesse kognitiv zu erfassen und zu verarbeiten. Aber auch wenn sie diese zu verstehen beginnen, fehlen ihnen Macht und Möglichkeit negative Phänomene zu verhindern oder zurückzudrängen. In jedem Fall hat die Jugend die sozialen Folgen des Handelns Erwachsener zu tragen. So sehr Jugendliche den technischen Fortschritt begrüßen, akzeptieren und unterstützen, so sehr sind sie auch seine Objekte. Es gibt bislang auch keine Norm mit der sich eine Generation aus der Verantwortung für die nachfolgenden Generationen heraus freiwillig Grenzen setzt, im Gegenteil. Angesichts der schon sichtbaren sozialen Folgen der Mediatisierung unserer Welt werden mit Investitionen in Milliardenhöhe Datenautobahnen realisiert, als technisch-okonomische Projekte, ohne Absicherungen gegen die absehbaren (eben auch) negativen Folgen.

Wenn wir die Ambivalenz sehen, in der Jugend in die Entwicklung der Medien verstrickt ist, indem sie diese zugleich befördert und ihr unterworfen ist, dann läßt sich - spekulativ natürlich - an einigen markanten Punkten herausarbeiten, an welchen Stellen welche bereits konstatierbaren Prozesse weitergeführt werden. Der Bezug zur politischen Jugendbildung ist dabei insofern gegeben, als alle diese Punkte Veränderungen nicht allein der jugendlichen Psyche, sondern des gesamten sozialen Umfeldes implizieren, daß also sowohl die Bedingungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens tangiert sind, als auch die Instrumente, die bislang zur Verfügung stehen, dieses Zusammenleben zu regulieren.

  1. Verbunden mit der heute in den veröffentlichten Medien wieder dominanten Verabsolutierung der technisch-ökonomischen Rationalität ist die - nicht nur - bei Jugendlichen beobachtbare Tendenz zum Eskapismus, zur Flucht aus dem Rationalen. Im Zusammenhang mit der Medienentwicklung sind hier zwei Tendenzen zu beobachten. Die eine Tendenz ist die Fortschreibung des Rationalismus hin zum bloßen Zweckrationalismus. Unter dem bereits genannten Stichwort der Deregulierung, wird auf jede inhaltliche Vorgabe für die Strukturen einer Informationsgesellschaft verzichtet, jedenfalls soweit sie sich auf den demokratischen Konsens, also ein verbindliches Gerüst von Normen und Werten bezieht. Einziges Entwicklungskriterium sind die technische Machbarkeit und die ökonomische Verwertung, so wie die ebenfalls technischen Sicherungen zur Erhaltung des Herrschaftssystems, die als innere Sicherheit Handlungsspielräume einschränken, ohne angeben zu können, welche Werte denn durch die Schöpfung des gläsernen Menschen gesichert werden sollen. Wenn ein gesellschaftliches System frei ist von Ethik, dann bietet es auch der heranwachsenden Generation keine Orientierungen. Das Setzen - nicht das Absolut-Setzen - begründeter und begründbarer Normen jedoch ist nach wie vor eine der vornehmsten Aufgaben von Pädagogik.
  2. Die Medienentwicklung bietet für den Prozeß der Individualisierung geradezu ideale Möglichkeiten. Der Konsument wird perspektivisch zum - mit Medien - autonom handelnden Individuum. Die medialen Angebote vereinheitlichen nicht mehr und bieten damit auch eine kollektive Orientierung, sondern lassen sich individuell nutzen. Es wird ein Dialog nur mit dem Medium unter Ausschaltung einer oder weiterer Personen möglich. Damit wird einerseits der Zwang zur Selbstorientierung wachsen und andererseits eine Freiheit von begrenzenden Regularien und Rücksichtnahmen erreicht. Die bestehende Tendenz, daß Jugendliche sich nicht mehr festen Gruppen, insbesondere Verbänden anschließen, sondern nurmehr zeitweise, parallel und wechselnd flüchtigen Gruppierungen angehören, wird insofern radikalisiert, als potentiell die Chance gegeben ist, temporäre Bezüge und personale Bindungen zu trennen indem beides medial reguliert wird. Die "Individualisierung der Lebensführung" ebenso wie "die Pluralisierung der Lebensformen" (S.8) werden aus dem personal-sozialen Bereich herausgenommen und tatsächlich auf das einzelne Individuum rückverwiesen. Das Schaffen realer und sozialer Lebens- und Erfahrungsräume die gemeinschaftliches Handeln nicht nur gestatten, sondern auch erfordern, sollte ein Weg sein dem absoluten Individualismus soziales Erleben entgegenzusetzen.
  3. Eine dritte Tendenz bezieht sich auf die jugendlichen "Suchbewegungen in Richtung auf lebbare und erreichbare Lebensentwürfe" (S.5). Wenn, wie in der ersten These angesprochen, die Gesellschaft außer zweckrationalen keine Lebens- und Zukunftsentwürfe zu bieten hat und wenn sich das auf sich selbst und die Medien verwiesene Individuum keine personalen Alternativen hat, solche Entwürfe zu finden, weil auch andere gesellschaftliche Institutionen wie Familie, Schule, Jugendarbeit unfähig sind, zeitgemäße und überzeugende Orientierungen zu bieten, dann wird hier ebenfalls das Medium im wörtlichen Sinne als Mittler dazwischentreten. Es offeriert sich beispielsweise als interaktiv, womit jedoch nicht ein Set gemeinsamen Handelns gemeint ist, sondern die Möglichkeit, primär die Konsumaktivitäten des Individuums zu registrieren und zu steuern. Die Steuerungsangebote sind dabei von einer inhaltlich unbegrenzten Vielfalt. Sie umfassen keineswegs den bloßen Jahrmarkt des heutigen Konsums von Kleidung über Esoterik bis Unterhaltung, sondern ebenso geistige Produkte, von Bildung, die zum Edutainment wird, bis hin zur Fantasie, die im Cyberspace, das Unterbewußte verbildlicht. Es mag überzogen sein, was der französische Essayist Virillo postuliert, daß nämlich der Cyberspace zu einem Raum wird, der die identische Funktion - auch in seiner Einwirkung auf die Psyche - einnimmt, die heute der Drogenkonsum hat, allerdings legalisiert. Es ist aber keineswegs so, daß es zur Sinnleere der heutigen Gesellschaft keine Alternativen gibt. Den Wunsch junger Menschen nach Orientierung wird die Informationsgesellschaft medial auf vielfache Weise erfüllen können, in höchst anspruchsvoller Weise mit Inhalten von Wissenschaft und Hochkultur, in der leichten Weise der heutigen Medienangebote und auch in fantastischer Weise in den virtuellen Welten, denen jedes Individuum zukünftig mittels Computer selbst, also über eine eigene Schnittstelle, Gestalt verleihen kann.
  4. Schließlich möchte ich noch einige Gedanken auf die Gestalt der Informationsgesellschaft werfen. Alle die Tendenzen, die uns schon jetzt beschäftigen, finden wir auch hier wieder. Der "Verlust an Verbindlichkeiten institutioneller Statuszuweisungen" wird in dieser Gesellschaft wohl kaum aufgehoben, ist doch die Entwicklung unserer Gesellschaft in eine Arbeitslosengesellschaft direkt gebunden an die Möglichkeiten des Rationalisierung des menschlichen Geistes mittels der Informations- und Kommunikations-Techniken. Status und Position werden sich eher bestimmen durch die individuelle Ein- und Zuordnung zu Entwicklung und Distribution von Medien. Damit sind aber zugleich all jene benachteiligt, die zu dieser Technik keinen Zugang haben, faktisch und von ihrer Einstellung her. Wenn wir heute sehen, daß Entwicklung wie zweckorientierte Nutzung von rechnerabhängigen Systemen eine primär männliche Domäne sind, und daß sich dieses Phänomen auch deutlich bei Jugendlichen verorten läßt, unabhängig von formalen Bildungsabschlüssen, dann ist Skepsis angebracht, ob in der Informationsgesellschaft ein weiterer Schritt zur Emanzipation von Mädchen und Frauen vollziehbar wird. Auch die anderen jetzt schon benachteiligten Gruppen Jugendlicher haben von der medialen Zukunft nicht viel zu erwarten. Extrapoliert man beispielsweise die bislang gemachten Erfahrungen mit dem Internet, so zeigt sich auch hier die allgemeine Tendenz der Mediennutzung, daß dieses Medium nämlich primär einer Elite nutzt, die zwei Voraussetzungen mitbringt, hohe Technik- und Inhaltskompetenz oder wirtschaftliche Potenz. Am Internet partizipieren technisch begabte und begeisterte männliche Jugendliche und Erwachsene, Akademiker und in zunehmendem Maße die Industrie. Wenn in der Zukunft, was sicher ist, die Kosten für die den Umgang mit Datennetzen stark und differenziert nach der Art des Angebotes ansteigen, wird auch hier die Partizipation durch den entscheidenden Regulator, das Geld bzw. Entgelt, gelenkt. Die bereits existenten weltweiten Netze sind nahezu ausschließlich ein Phänomen der Privilegierten in den reichen Industriestaaten. Die Kosten werden die Beteiligung für Nichtprivilegierte unserer Gesellschaft ebenso beschränken wie die der nichtprivilegierten Staaten in der restlichen Welt. Die Medienentwicklung folgt nicht der Prämisse einen Beitrag zur Gleichheit aller Menschen oder auch nur der Jugendlichen zu leisten.

Da diese Überlegungen mit der Zielsetzung geschrieben sind, Stoff für eine Diskussion zu geben, sind sie zugegebenermaßen pointiert und provokativ. Nun entspricht es aber nicht meiner Überzeugung, daß sich nur das Bedenkliche unserer jetzigen Entwicklung in einer medial dominierten Zukunft durchsetzen muß. Schließlich bedeuten die jugendlichen Eigenschaften Neugier und Interesse, Zuwendung und auch Distanzierung zugleich, daß zumindest Teile der Jugend nicht bereit sind, sich dem Postulat des Zweckrationalismus zu unterwerfen, daß Teile der Jugend auch nicht bereit sind, sich in den Bereich des Irrationalen zu flüchten und daß Teile der Jugend bereit und in der Lage sind Ideen des Humanismus und der sozialen Verantwortung aufzunehmen und praktisch zu verfolgen. Darüber hinaus bleiben auch die raffiniertesten Techniken letztlich vom menschlichen Willen gestaltete und zu nutzende Werkzeuge, müssen also keineswegs nur zur Prolongierung des Status quo gebraucht werden. Wie dies geschehen kann, zeigen beispielsweise solche Jugendliche, die versuchen in die vorgezeichneten Wege der Medienentwicklung eigene Pfade zu schlagen. Ohne sich rückwärts zu wenden, an eine Zeit ohne die Omnipräsenz der Medien, gestalten sie ihre Strukturen, neben den oder auch gegen die vorgegebenen. Die Hacker beispielsweise, die die behauptete Offenheit der zukünftigen Informationswege ernst nahmen, haben kreative Wege des Umgangs mit Rechnersystemen entwickelt. Ihnen ist die Gewißheit zu verdanken, daß auch geschlossene Systeme demokratisiert werden können, wenn man zielgerichtet die in den Systemen liegenden Möglichkeiten ausnutzt. Auch das Internet, wiewohl eine Entwicklung des Pentagon, wurde genutzt, um Nachrichten weiterzugeben, die in den kommerziellen Medien nicht zu finden waren. Dieses Netz ist tatsächlich dort, wo es jungen Menschen als Medium der Begegnung dient, frei von Atavismen wie rassistischen Vorurteilen oder Militarismus. Aber auch mittels der nun schon alten Medien Tonband und Video haben sich eigenständige Jugendkulturen herausgebildet. In den Medienproduktionen Jugendlicher, die, beiseite gesprochen, von der etablierten Jugendarbeit noch immer nur peripher zur Kenntnis genommen und kaum gefördert werden, reflektieren diese nicht nur eigenständig ihre mediengeprägte Umwelt, sondern setzen sich auch inhaltlich mit ihren Lebens- und Entwicklungsbedingungen mit ihrem Selbst und ihrem Bild von ihrer Welt auseinander. Und auch mit den augenfälligen Accessoires der Medienwelt, der Musik und dem 'Outfit' gehen sie nicht nur konsumptiv, sondern sehr wohl kreativ und neugestaltend um. Wenn auch noch in bescheidenem Umfang, so wird hier doch ein Stück weit der Anspruch realisiert, Medien als Mittler einer demokratischen Öffentlichkeit zu nutzen, für die kommunizierenden Menschen selbst und nicht in erster Linie für den Gewinn der Geräte-, Medienproduktions- und Netzverteilungsindustrie.

Allerdings, die Förderung einer demokratischen Medienkultur bedarf zweier Bedingungen. Zum einen müssen "Zeit und Orte, Kontakte und Gelegenheitsstrukturen" (S.15) für die Entwicklung einer solchen Kultur geschaffen werden und weiter müssen seitens der Förderer Anregungen vermittelt werden, die den Wünschen der Jugendlichen nach Orientierung entgegenkommen, nicht nur nach flüchtigen Bezugspunkten, sondern auch langfristigen, nicht im Heute und Jetzt erreichbaren Perspektiven. Ich plädiere damit für eine Pädagogik, die zum einen den Bedingungen jugendlichen So-Seins Rechnung trägt, zum anderen aber eigene Normen, auch solche, die nur schwer mit dem Konzept der Bedürfnisorientierung zu vermitteln sind, anbietet und dazu handelnd und argumentierend steht. Zum zweiten müßten die Förderer einen zwar kritischen, aber auch wissenden Blick auf die Medienentwicklung haben. Die bloße Kritik der Medienentwicklung ist häufig bloßes Nichtwissen. Eine bewußte Kritik weiß auch um die Möglichkeiten, die Medien zum Angehen emanzipatorischer Zielsetzungen zu nutzen. Sie kann unterscheiden zwischen dem was vorherrschend ist und dem was darüber hinaus an Chancen (noch) nicht ergriffen wird. Vor allem werden kritisch bewußte MedienpädagogInnen die Kritik an den Medien nicht verwechseln mit der Kritik am konkreten jugendlichen Mediennutzer. Die Welt wird in jedem Fall immer mehr zu einer Medienwelt. Wir als Pädagogen können nur versuchen, diese gemeinsam mit den Jugendlichen, deren Welt sie ja ist, zu gestalten und gemeinsam mit den Jugendlichen nach Handlungsräumen zum Erproben zu suchen und Sinn jenseits technischer und ökonomischer Rationalität zu stiften.

Quelle: Baacke, D., u.a. (Hrsg.), Handbuch Medien: Medienkompetenz - Modelle und Projekte, Bonn (Bundeszentrale für politische Bildung) 1999, S. 36 - 40

Anmerkungen:

  1. Der vorliegende Beitrag ist unter dem Titel "Medien entwickeln sich, politische Bildung stagniert" in Praxis Politische Bildung 3/1997 erschienen. (Zurück zum Text)
  2. Die folgenden Zitate beziehen sich auf "Ein Diskussionspapier der AGJ zum 10. Deutschen Jugendhilfetag 1996". Dieses Papier der Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe nimmt zwar wenig - zu wenig - Bezug auf die Bedeutung der Medien, macht aber die aktuellen Problemstellungen im Bereich Jugend sehr deutlich. (Zurück zum Text)