Mike Große-Loheide - Förderung von Medienkompetenz in Freizeiteinrichtungen

1. Wie kann man Jugendliche der Altersgruppe 16 bis 20 Jahre mit praktischen Modellen der aktiven Medienarbeit noch erreichen? Welche Formen sind hier notwendig?

Modelle aktiver Medienarbeit sind Bestandteil des Arbeitsbereichs Medienprojekte im Büro für Suchtprävention in Hamburg. Beispiele für diese Arbeit sind die Projekte "Mobil? Aber sicher" - Jugendliche drehen Videofilme zu Suchtprävention und Verkehrssicherheit und unter dem Obertitel "Clips gegen Sucht": z.B. Hip Hop und Clips von Jugendlichen ausländischer Herkunft.

Um sich den Fragen zu nähern, zunächst ein Blick auf die Voraussetzungen in der Freizeit und dann elf Punkte, die in die Herangehensweise von Medienprojekten einfließen.

Fernsehen und Video spielen in der Freizeitgestaltung von Jugendlichen eine große Rolle. Die Macher nutzen dies in Vorabendserien und jugendorientierten Angeboten, die als Mittler von Botschaften informieren, stimulieren, unterhalten und Ratschläge geben. Und die Jugendlichen schauen zu.

Laut Shell Jugendstudie von 1997 sind Drogen und Sucht wichtige Themen für die Jugendlichen. Sie interessieren sich für die Stoffe, Lebenswelten und kulturellen Ereignisse und Umfelder. Sie wollen neue Erfahrungen machen, ihre Selbständigkeit unter Beweis stellen, sich in der Gruppe und vor anderen behaupten, ihr Selbstbild formen.

Freiwilligkeit, Kreativität, Gestaltung, Ausdruck, Inszenierungen und Arrangements kennzeichnen u.a. die aktive Freizeitgestaltung. Anerkennung zu erlangen und Selbstsicherheit zu zeigen, sind dabei unausgesprochene Ziele im Verhalten der Jugendlichen. Sie bedingen sich gegenseitig und sind oft schwer zu erlangen. Als protektive Faktoren tragen sie zur Bewältigung des Alltags und zur Abwendung von riskantem Umgang mit Suchtmitteln bei.

In der Suchtprävention steht die Persönlichkeitsentwicklung im Mittelpunkt. Nicht allein der Drogenkonsum ist das Maß der Suchtprävention, sondern die Lebensgeschichte, d.h. wie Sucht entsteht. Abhängiges Verhalten wächst im Spannungsfeld zwischen Persönlichkeit, aktueller Situation und Suchtmittel. Suchtprävention versucht Orientierung zu geben, Alternativen aufzuzeigen und zur Reflexion anzuhalten, damit die Persönlichkeit sich gelingend und teilhabend in der Konsum - und Erlebniswelt zurechtfindet.

Wir beschäftigen uns also mit den Fragen "Wie werde ich eine starke Persönlichkeit?", "Welche Bedingungen wirken auf deren Entwicklung ein?" und "welche suchtpräventiven Maßnahmen und Projekte sind zeitgemäß?".

Praktische Modelle der aktiven Medienarbeit sind zeitgemäß, weil sie die aktuellen Kommunikationsformen nutzen. Sie müssen die Voraussetzungen der Jugendlichen berücksichtigen und deren Lebensalltag aufgreifen. Eine wesentliche Zielsetzung von Medienprojekten ist es, den Jugendlichen Gelegenheit zu geben, miteinander ins Gespräch zu kommen, ihre Vorstellungen zu äußern und anderen mitzuteilen. Mit den Projekten bieten wir ihnen ein Forum an, das an ihren Alltagsthemen ansetzt; das sich auf einen kommunikativen Prozeß einläßt, mit der Absicht ihre Sichtweisen zu transportieren; das ihnen organisatorisch einen Rahmen vorgibt, der zum Erfolg führt und das einen hohen Erlebniswert hat.

Wesentliche Gesichtspunkte bei der Herangehensweise sind:

  1. Wir gehen zu den Jugendlichen. D.h. wir sprechen Jugendeinrichtungen an, wir gehen an Orte, an denen Jugendliche sich treffen, Bushaltestellen, Discos.
  2. Wir lassen uns auf die Wünsche der Jugendlichen ein und greifen eher auf die Bedingungen und Strukturen zu, d.h. wir sagen nicht als erstes: "Laßt uns einen Film über Drogen machen", sondern "wie sieht ein typisches Wochenende aus?", "wie ist es mit Autofahren, Langeweile, Freundschaften, Mutproben?" "wo könnt ihr euch treffen, tanzen, Sporttreiben?" usw.
  3. Wir versuchen mehrere Projekte gleichzeitig laufen zu lassen, um einen begleitenden Diskussionsprozeß führen zu können. Dafür suchen wir unterschiedliche Zielgruppen, Regionen und Stadtteile, d.h. wir achten auf die Infrastruktur: innerstädtisch, Stadtrand, ländliche Gebiete. Wir greifen zu auf Stadtentwicklungsprozesse und suchen Kooperationspartner vor Ort.
  4. Wir bieten Fortbildungsveranstaltung zur fachlichen Einarbeitung in das Thema für die MultiplikatorInnen, d.h. Fachtagung, Materialien und regelmäßige Planungstreffen. Sie sind auch Voraussetzung für die Teilnahme an den Projekten.
  5. Wir berücksichtigen geschlechtsspezifische Aspekte, d.h. Mädchen- und Jungengruppen und gemischte.
  6. Wir stellen Teams, die für die medienpädagogische Fachlichkeit garantieren, d.h. wir unterscheiden bei der Auswahl der Videoteamer nach Spielfilm, Clips, Reportage, special Effects usw. Wir achten auf fremdsprachige Teamer bei der Arbeit mit ausländischen Jugendlichen.
  7. Wir stellen Kontakte her oder sind behilflich bei der Ansprache wichtiger Persönlichkeiten. Wir sorgen für Öffentlichkeitsarbeit.
  8. Wir bieten einen organisatorischen Rahmen, d.h. zeitliche Vorgaben mit einer gemeinsamen Abschlußpräsentation, z.B. Mediencamp oder Themenabend im Offenen Kanal.
  9. Wir besorgen Geld für die Videoteamer und die technischen Kosten Geräte, Schnitt usw..
  10. Wir dokumentieren die Projekte und stellen sie anderen vor, auch mit der Absicht, Anregungen zu geben.
  11. Wir sind um Nachhaltigkeit bemüht und begleiten Projekte und Einrichtungen, mit denen wir einmal gearbeitet haben. D.h. auch, dass sie an anderen Projekten des Büros teilnehmen können und die Infrastruktur der Suchtprävention stärken.

2. Wieweit lassen sich im Rahmen thematischer Jugendarbeit Medien in die pädagogischen Bemühungen einbeziehen?

Thematische Jugendarbeit ist ein Bestandteil von Suchtprävention, und Medienprojekte sind als Mittel zur Konkretisierung besonders geeignet.

In der Suchtprävention gehen wir von einem Dreieck der Lebenssituation aus. Die Person mit ihren Ressourcen steht in Beziehung zur Umwelt (Familie, Nachbarschaft, Freizeit) und zum Stoff (Griffnähe, Wirkung, legal-illegal). Zur Bewältigung der Herausforderungen in der Erlebnis- und Konsumwelt braucht sie Erlebnisrationalität, Orientierung und Selbstwertgefühl.

Wir bieten dafür Information, Beratung, Fortbildung und Projekte für verschiedene Zielgruppen. Ein wichtiger Bestandteil ist die Reflexion, die Bewußtwerdung vor allem im Umgang mit Suchtmittel und Drogen. Da wir aber wissen, dass süchtiges Verhalten viele Formen und Ursachen hat, müssen wir den Lebensalltag einbeziehen, ihn zur Grundlage und zum Ausgangspunkt für Projektarbeit machen. Dabei stellt sich die Frage, welches Medium berücksichtigt und vereint in sich in angemessener und lustvoller Weise die Bedingungen und die Gefühlswelten der Beteiligten.

Gerade die spielerische Auseinandersetzung verschafft Distanzierungs- und Annäherungsmöglichkeiten an brisante und intime Fragen. Schließlich ist ein Anspruch, den wir uns stellen, die zu erreichen, die es nötig haben. Aber wer sind die? Sucht hat viele Ursachen und kommt in den besten Familien vor. Wir können daher nur versuchen, Bedingungen in den Projekten so zu schaffen, dass Begegnung und Austausch zwischen den Beteiligten stattfindet. Übereinstimmung und Differenz geben den einzelnen Sinn. Sie können ihre Wirksamkeit erspüren, indem sie einen Plan realisieren und in einem Videofilm abschließen. Und sie können sich zu einem brisanten, an ihren Erfahrungen anknüpfenden Thema äußern, von dem sie wissen, daß sich viele Leute, auch Erwachsene, dafür interessieren. Das Medium impliziert den Sinn von Mitteilung und die Hoffnung auf Kommunikation und Handeln.

Jugendliche sind in vielfacher Hinsicht ansprechbar für praktische Modelle der aktiven Medienarbeit. und äußern sich zu den aus ihrer Sicht wichtigen Themen. Die Attraktivität von Medienprojekten besteht in folgenden Punkten:

Themen und Inhalte sind...

  • ...die Problematisierung von Schlüsselqualifikationen:
    Freundschaft, Vertrauen, Gruppengefühl, Konfliktfähigkeit,
  • ...das Ausprobieren von Lösungen:
    Konfrontation, Abschreckung, Flucht, Gespräche, Mutproben, Grenzen
  • ...die Verkündung von Meinungen:
    Behauptungen, Begründungen, Konsequenzen, Alternativen
  • ...die Behandlung und Inszenierung von wichtigen Situationen:
    zu Hause, auf der Straße, Nahraum, Disco, Auto
  • ...Nachempfinden und Ausdrücken von Gefühlen:
    Angst, Liebe, Aggression, Traurigkeit, Humor
Gestaltungsmöglichkeiten und Medien

Mithilfe von Bild, Musik, Sprache, Dramaturgie, Geschichten erzählen, Inszenierungen, Musik, Spiel, Körperausdruck können die Jugendlichen Spannung erzeugen, Interesse wecken, faszinieren, "berühmt" und anerkannt werden, lokale Bedeutung erlangen, ihrem "persönlichen Mythos" nachgehen und Gefühle ausdrücken.

Organisation und Verhalten

Der Prozeß in der aktiven Medienarbeit verlangt Verhaltensweisen, die auch in anderen Situationen wichtig sind: Aufeinander eingehen, Preisgabe und Annahme von Mitteilungen und Gefühlen, Mitfühlen, Mitspielen, sich aufeinander verlassen, Konzentrationsfähigkeit, Geduld und Ausdauer, Konkretisierung von Ideen und Vorstellungen.

Optionen

Die Jugendlichen haben viele Möglichkeiten, ihre Fähigkeiten und Wünsche einzubringen: Technik, Spiel, Abstraktion, Ablauf, Kreativität und Improvisation. Die Projekte können der Berufsorientierung dienen oder auch zu Biographiebrüchen führen.

Formen der Teamarbeit

Nicht nur die Jugendlichen auch die Video-Teamer und Jugendarbeiter arbeiten zusammen. Neue gemeinsame Erfahrungen werden gemacht, Erfolg und Mißerfolg geteilt. Dazu gehören Aufgaben festlegen, Einstellungen überprüfen, Ernsthaftigkeit, Wissen und Ausdauer in ein gemeinsames Vorhaben einbringen und abschließen.

Eingliederung ins Gesamtkonzept der Jugendarbeit

Ein Medienprojekt ist von der Idee bis zur Aufführung ein Block, der sich in das Gesamtkonzept einbinden läßt. Er verlangt übergreifendes Arbeiten, Engagement und Zeit. Alle Beteiligten lassen sich auf etwas Neues ein, suchen neue Perspektiven, probieren neue Rollen, nähern sich Themen an und schaffen gleichzeitig Distanz zu ihnen. Sie können zu Höhepunkten der Arbeit werden und die Bindung der Jugendlichen an eine Einrichtung stärken.

3. Welche Perspektiven hinsichtlich neuer Medien und deren Ausdrucks und Gestaltungsformen müssen langfristig entwickelt werden?

Strukturelle Maßnahmen sind bei der Betrachtung von Perspektiven erforderlich. Eine Absicherung der Jugendhilfe und Fördermittel von Projekten sind Grundvoraussetzung für jede Professionalisierung, d.h. Verbesserung der Projektarbeit, Verbreitung und Austausch von Ideen, Neuerungen und Qualitätsstandards.

Aktive Arbeit mit neuen Medien muß zur Sinnfindung und Schaffung eines authentischen Selbstbildes beitragen. Geschichten erzählen vom Scheitern, vom Glück und Wohlfühlen, mit Spaß und Lifestyle. Die Kommunikationsrichtung umdrehen vom Aufsaugen zum Aussprechen. Kommunikative Kompetenz und Beteiligung sind wichtige Voraussetzungen für die demokratische Gesellschaft, die jede Generation erneut hervorbringen muß.

Themen der Jugendlichen müssen projektorientiert und übergreifend behandelt werden. In der Freizeitgestaltung sind Inszenierungen an der Tagesordnung. Der/die einzelnen sind permanent bemüht, sie ins persönliche Gesamtkonzept einzuordnen. Hierin findet aktive Medienarbeit ihre Aufgabe und Herausforderung. Sie muß die Spannung und Widersprüchlichkeit zwischen Selbstverwirklichung und Freiwilligkeit der Akteure gegenüber Sicherheit und Stabilität der Institutionen, zwischen Chaos und Starre bei der Bewältigung von Problemen einkalkulieren. Wenn ihr das gelingt, kann sie Schlüsselqualifikationen, Identität und Kohärenz erhöhen.

Viele der zugrundeliegenden Eigenschaften sind konstitutiv für Medien- besonders Videoprojekte. Technische Vielfalt, Aufmerksamkeit für ein Thema, Anerkennung von Leistungen, Selbstbehauptung gegenüber anderen, Spannung ertragen bei der Behandlung von Konflikten, narrative und dramaturgische Elemente zur Lösung von Problemen, spielerische Qualitäten und Inszenierungen nutzen beim Ausprobieren von Alternativen, Reflexion des eigenen Verhaltens und Teamgeist entwickeln, Selbsterkenntnis über Fähigkeiten, Stärken und Schwächen gewinnen, organisatorisches Geschick bei der Planung und Abwicklung des Projektes zeigen, Verläßlichkeit und Geduld aufbringen und auch durch Wiederholungen zur Realisierung und Verbesserung der gestellten Aufgaben beitragen. Koordination und Abstimmung mit anderen Personen und Institutionen führen zum Gelingen des Vorhabens.

Die PädagogInnen und Videoteamer müssen bereit sein, sich auch auf ein Spiel von Eitelkeiten einzulassen, um an die tiefer liegenden Schichten und Bilder heranzukommen. Sie müssen ihren eigenen Horizont beschreiben und im Rahmen der Projektarbeit sich mit Videofilmern zusammentun, die für die Realisierung des Videofilms sorgen und für den technischen Ablauf verantwortlich sind. Sonst kann es schief gehen oder schlimmer noch, es geht nach hinten los und die Medium, sprich Video und Fernsehen, sind mal wieder "Schuld".

"Indem wir Vergangenheit und Gegenwart strukturieren und erzählend interpretieren, wird uns das Entwerfen der Zukunft sehr viel bewußter und gezielter gelingen." (Ernst 1996, S. 206)

Literatur:
Ernst, H., Psychotrends, Das Ich im 21. Jahrhundert, München 1996

Quelle

Schell, F., Stolzenburg,E., Theunert, H. (Hrsg), Medienkompetenz - Grundlagen und pädagogisches Handeln, München (Kopäd) 1999

Mit freundlicher Genehmigung des Authors