Rainer Busch - Innovation in Kultur und Bildung durch Neue Medien

Inhalt

1. Die Neuen Medien bewirken einen Wandel
2. Die zentrale Bedeutung von Bildung und Kultur in einer soziotechnischen Gesellschaft
3. Der Stellenwert der Neuen Medien im Bildungswesen
4. Integration der Neuen Medien in das Bildungswesen
5. Ausblick

1. Die Neuen Medien bewirken einen Wandel

Machen wir uns grundsätzlich bewußt, daß Kommunikation ein wichtiger Teil unserer Kultur ist, der für die Übermittlung und Ausformung von Werten, für die Bildung schlechthin, eine grundlegende Bedeutung hat. Mit den Neuen Medien wird sich die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, entscheidend verändern. Dieser Wandel muß Eingang in das Bildungswesen finden.

1.1 Die Neuen Medien eröffnen neue Dimensionen des Einsatzes von Technik

Mit der rasanten Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie sind insbesondere in den 90er Jahren massive Veränderungen in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft einhergegangen. In vielen Berufen ist es erforderlich, vernetzte Computer selbstverständlich, kritisch und produktiv zu nutzen. Diese Entwicklung wird weiter fortschreiten. Viele der tradierten Arbeitsformen und Arbeitsprozesse werden sich radikal wandeln. Insgesamt wird sich die Art und Weise, wie wir unser Leben organisieren, miteinander kommunizieren und arbeiten, grundlegend verändern. Durch die Informations- und Kommunikationstechnologie haben sich hochkomplexe, verteilte Systeme entwickelt. Die Informationsbeschaffung und -verteilung, das allgemeine und individuelle Informationsmanagement, sind zur existentiellen Frage in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft geworden. Der rasche und einfache Zugriff zu Informationen, der unabhängig von Zeit und Ort erfolgen kann, ist ein unbestrittener Vorteil dieser Technik. Neue Techniken kommen aber nicht als fertige Objekte auf uns zu. Erst in konkreten Anwendungen mit projektiertem Nutzen kristalliert sich heraus, welche Funktionen dieser Technik bei welchem Nutzen Akzeptanz finden, und wie sie sich in ein soziales System integrieren. Im Gegensatz zu bisherigen technischen Systemen, die für ein wohldefiniertes, abgeschlossenes Aufgabenspektrum entwickelt und eingesetzt wurden, wird mit der Informations- und Kommunikationstechnik ein bisher nicht gekanntes Höchtsmaß an Offenheit und Flexibilität angeboten. In ihrer Eigenschaft als Medium zum Transport und Transformation von Signalen und Zeichen kann sie vielseitiger genutzt werden als rein instrumentelle Maschinen. Die Informations- und Kommunikationstechnik erweist sich als ein offenes Werkzeug zu einer frei definierten Verwendung, und es entstehen dabei neue Dimensionen des Einsatzes von Technik. Hier liegt eine bedeutende Ursache für das Erfolgsphänomen dieser Technologie, die alle Bereiche der Gesellschaft erfaßt hat und zur Schlüsseltechnologie wird. In einer Studie hat die Europäische Kommission (sog. Bangemann-Bericht) zehn Anwendungsfelder der Informations- und Kommunikationstechnik klassifiziert:

1. Telearbeit
Mehr und neue Arbeitsplätze für eine mobile Gesellschaft
2. Fernlernen
Lebenslange Aus- und Weiterbildung für eine Gesellschaft im Wandel
3. Netzwerk für Hochschulen und Forschungszentren
Vernetzung des europäischen Wissens
4. Telematikdienste für kleine, mittlere Unternehmen
Neubelebung des wichtigsten Motors für Wachstum und Beschäftigung
5. Straßenverkehrsmanagement
Mehr Lebensqualität durch Straßen mit elektronischer Infrastruktur
6. Flugsicherung
Elektronische Flugstraßen für Europa
7. Netze für das Gesundheitswesen
Kostengünstigere und effizientere medizinische Versorgung für Europas Bürger
8. Elektronische Ausschreibungen
Effizientere Ausschreibung der öffentlichen Verwaltung
9. Transeuropäisches Netz öffentlicher Verwaltungen
Bessere Leistungen, geringere Kosten
10. Informationsschnellstraße für Städte
Einbeziehung der privaten Haushalte in die Informationsgesellschaft

1.2 Der Wandel in Wirtschaft und Arbeitswelt

In der Wirtschaft werden sich durch den Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologie Organisationsstrukturen, Tätigkeitsprofile sowie Arbeitsprozesse wandeln oder sogar auflösen. In vielen Berufen ist die Nutzung eines vernetzten Computers eine alltägliche Selbstverständlichkeit geworden, und die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens wird entscheidend durch den Einsatz dieser Technologie bestimmt. Insgesamt wird die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft unseres Landes zukünftig davon abhängen, wie effektiv wir mit Informationen umgehen. Globale Wettbewerbsfähigkeit kann nur über den Einsatz dieser Technologie abgestützt werden.

Neue Arbeitsformen wie Telekooperation, Telediagnose in Medizin und Technik, Telepublizieren, Telelernen und -lehren können nur dann entstehen und sich verbreiten, wenn die Menschen über entsprechende Qualifikationen verfügen. Es werden völlig neue Berufe im Schnittbereich von Informationstechnik, Telekommunikation, Unterhaltungselektronik und Medienindustrie entstehen. Dezentrale Unternehmen, auf Telekooperation und Telearbeit basierend, haben nicht nur den Vorteil kostengünstig ihre Aufgaben »vor Ort« zu gestalten und damit kunden- und termingerecht arbeiten zu können. Der Reise- und Fahrtenaufwand der Mitarbeiter, insbesondere der tägliche Berufsverkehr, kann durch Telearbeit entscheidend reduziert und somit ein ökologischer Beitrag geleistet werden. Mit dem fortschreitenden Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologie werden sich die Arbeits- und Lebensbedingungen entscheidend wandeln. Diese Veränderungen beziehen sich sowohl auf die Arbeitsbedingungen, -inhalte und -organisationsformen als auch auf das Freizeitverhalten.

In der Arbeitswelt werden sich entsprechende Qualifikationsstrukturen und Mobilitäten herausbilden, die sich an den technologischen Randbedingungen orientieren mit der Konsequenz sich verändernder Anforderungen an Aus-, Fort- und Weiterbildung. Die veränderten Anforderungen an das Bildungswesen sind nicht nur inhaltlicher, sondern auch zeitlicher Art, denn sich ständig ändernden Inhalten und Qualifikationsanforderungen kann man nur mit einem permanenten Lernprozeß nachkommen ("Lebenslanges Lernen").

In diese Betrachtung sind auch die Wechselbeziehungen von Arbeit und Freizeit eingeschlossen. Sie werden sich verändern und ihre zeitlichen Abgrenzungen werden sich auflösen. Insgesamt verändern sich die zeitlichen Bedingungen des gesellschaftlichen wie des individuellen Arbeits- und Lebensprozesses.

1.3 Der Wandel im gesellschaftlichen Bereich

Auch im gesellschaftlichen und privaten Bereich wird sich mit den Neuen Medien, mit Multimedia und Internet, der Veränderungsprozeß beschleunigen. Die allgemeine Informationsbeschaffung und -versorgung einer demokratischen Gesellschaft wird einen grundlegenden Wandel erfahren, wobei der Zugang zu Informationen einen geschulten Umgang mit den Neuen Medien erfordert.

Die Verschmelzung von traditioneller Fernseh- und Rundfunktechnik mit der Informations- und Kommunikationstechnologie, die Digitalisierung von Rundfunk und Fernsehen sowie die Verbreitung von Informationen über das Internet, erzeugt einen neuen Typ von Informationskonsumenten. Er wird sich von einem passiven zu einem aktiv auswählenden Konsumenten bis hin zu einem interaktiven Teilnehmer verändern. Die aktive Selbstgestaltung der Informationsbeschaffung und -verteilung, das private Informationsmanagement wird den Konsumenten der Zukunft prägen. Hierzu verfügbare Informationsangebote und Dienstleistungen sind u.a:

  • Allgemeine Informationsdienste zu verschiedenen Sachgebieten
  • Auskunftssysteme (Fahrpläne, Öffnungszeiten, Veranstaltungen usw.)
  • Bestellsysteme für Fahr- und Eintrittskarten
  • Einkaufssysteme für diverse Produkte (Bücher, Musik-CD´s, Hard- und Software usw.)
  • Beratungssysteme (zur Installation technischer Systeme usw.)
  • Diskussionsforen zum interaktiven Informationsaustausch zu diversen Themengebieten.

Dabei wird der gezielte Zugriff auf kleine, ausgewählte Informationsmengen das Verhalten des Konsumenten bestimmen. Anstatt einer ganzen Zeitung, eines Sachbuches oder eines Lexikons beschafft sich der Nutzer nur die ihn gerade interessierende Information: einen bestimmten Artikel oder einen bestimmten Sachbegriff. Mit diesem individuell gestaltbaren Einkauf von Informationen steigt die Autonomie des Benutzers gegenüber den Informationsanbietern. Konsequenterweise sind für die Beschaffung und Verteilung von Informationen neue Rechtsnormen zu entwickeln. Sie umfassen u.a. die Bereiche Daten- bzw. Kommunikationsschutz, Persönlichkeitsschutz, öffentliche Schlüsselsysteme und digitale Signatur, Schutz des geistigen Eigentums (Urheberrecht), Datenweitergabe, wettbewerbsrechtliche Fragen sowie des elektronischen Rechtsverkehrs selbst mit den entsprechenden Konsequenzen auf das Wirtschafts- und Strafprozeßrecht.

Die Anpassung des Rechts an die geänderten technischen und gesellschaftlichen Bedingungen ist in der Vergangenheit mehrfach vorgenommen worden. Die erste Reformwelle fand in den 70er und 80er Jahren statt und bezog sich auf den Schutz der Persönlichkeit. Die zweite Reform erfolgte zu Beginn der 80er Jahre und befaßte sich mit der Bekämpfung der IT-spezifischen Wirtschaftkriminalität. Ende der 80er Jahre fand die dritte Reform statt zur Verbesserung des Schutzes des geistigen Eigentums (Urheberrecht). Zu Beginn der 90er Jahre galt es Pornographie und andere Äußerungsdelikte (u.a. rassistische Äußerungen) im Internet einzudämmen. Zum Ende der 90er Jahre werden Gesetzentwürfe diskutiert, die sich mit der Normierung von Geboten und Verboten für Sicherheitsmaßnahmen befassen. Grundsätzliche Probleme zur Verabschiedung eines international wirksamen Rechts bereiten die weltweit unterschiedlichen Rechtsauffassungen zu den einzelnen Delikten, die häufig durch kulturelle Unterschiede bedingt sind.

1.4 Der Wandel in Forschung und Entwicklung

Das Wissen in unserer Gesellschaft ändert sich dynamisch. In allen Wissensbereichen vollziehen sich quantitative und strukturelle Veränderungen. Die Menge des Wissens wächst exponentiell und die wissenschaftlichen Erkenntnisse werden immer komplexer. Eine gezielte Informationsrecherche wird entscheidender Bestandteil wissenschaftlicher Arbeit. Darüber hinaus verdichtet sich die Vernetzung mit anderen wissenschaftlichen Bereichen ständig.

In Forschung und Entwicklung zeigt sich immer deutlicher, daß die klassischen Wissenschaftsdisziplinen hochgradig miteinander verknüpft und die Übergänge von der einen Disziplin in die andere fließend werden, so z.B. in der Hardware-Forschung. Hier sind die Übergänge von der Informatik zur Physik, Mathematik, Elektrotechnik oder zur Biologie und Chemie kaum noch erkennbar. Hardware-Forschung ist wie in vielen anderen Forschungsbereichen eine hochkomplexe interdisziplinäre Aufgabe geworden. Ebenso verändert sich die Art und Weise, wie Wissenschaft betrieben wird. Sie erfordert einen neuen Typ von Wissenschaftler und Ingenieur, der fähig sein muß, bei hochkomplexen, interdisziplinären Fragestellungen sein Expertenwissen einzubringen sowie mit Simulationen und virtuellen Welten wissenschaftliche Erkenntnisse zu entwickeln.

Für Forschung und Entwicklung sind derartige Kompetenzen von großer Bedeutung. Viele wissenschaftliche Erkenntnisse entstehen heute auf der Basis der Denkweisen und Arbeitsmethoden der Informatik und Nutzung ihrer Werkzeuge. Informatik und Informationstechnik werden wesentliche Beiträge zur Integration der wissenschaftlichen Disziplinen leisten und dabei neue wissenschaftliche Felder generieren. So können heute mit der Bioinformatik hochkomplexe Zell- und Molekularstrukturen dargestellt und analysiert werden, und in den Wirtschaftswissenschaften können neue Erkenntnisse durch den Einsatz vernetzter Computer gewonnen werden, wie die Arbeiten von Prof. Reinhard Selten von der Universität Bonn gezeigt haben, dem hierfür der Nobelpreis verliehen wurde.

1.5 Der Wandel im Bildungswesen

Information wird benötigt zum Lehren, Lernen, Arbeiten und Forschen. Sie entwickelt sich aus der Kreativität der Menschen, ist geprägt durch die Originalität des Inhalts und wird verfügbar durch Kommunikation mit anderen Menschen. Mit Multimedia können neue Sichtweisen von Sachverhalten eröffnet und komplexe Phänomene in einer integrierten Darstellung dargeboten werden. Das Internet kann zur Informationsbeschaffung und -verteilung und insbesondere für interaktives und telekooperatives Arbeiten genutzt werden.

Um mit den Neuen Medien Sachverhalte darzustellen oder Informationen zu erhalten oder zu verbreiten, müssen Menschen über die entsprechende Kompetenzen verfügen. Hierzu sind informationstechnische Qualifikationen sicherzustellen. Nicht im Sinne einer Elitebildung, sondern als allgemeines Bildungsziel im Sinne einer breiten, für alle Schichten der Bevölkerung notwendigen Kompetenz mit entsprechenden qualitativen Abstufungen.

Mit dem Einsatz der Neuen Medien sind innovative Änderungen im Bildungswesen verbunden. Neue Medien bieten Unterstützung bei Lehr-/Lernprozessen im Unterricht an und ermöglichen die Entwicklung und den Einsatz neuer Lern-, Arbeits- und Kommunikationsformen insbesondere bei der Gestaltung problem- und handlungsorientierter Unterrichtskonzepte. Zudem sind sie zur Herausbildung einer Medienkompetenz Gegenstand kritischer Reflexion.

Der permanente Wandel von Wissen und Erkenntnissen und der damit notwendige schnelle, gezielte und umfassende Zugriff auf Informationen ist ein Wettbewerbsfaktor in Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung (im Sinne eines Informationsvorsprungs) sowie ein Grundelement einer demokratischen Gesellschaft.

Verfügbarkeit von und Zugang zu Informationen muß somit als Grundversorgung für alle gewährleistet werden. Dieser Herausforderung muß sich das allgemeine Bildungswesen stellen. Es muß den Umgang mit den Neuen Medien als kulturelles Basiswerkzeug vermitteln, um den Menschen die Voraussetzungen zu schaffen für ein Leben in einer Informationsgesellschaft.

2. Die zentrale Bedeutung von Bildung und Kultur in einer soziotechnischen Gesellschaft

2.1 Technik in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft

Seit der Industrialisierung in Europa findet eine in ihrer Intensität auf- und abschwingende Diskussion statt, die sich skizzieren läßt mit Überschriften wie »Droht die Herrschaft der Roboter?«, »Humanisierung der Arbeitswelt« oder »Künstliche Intelligenz verdrängt natürliche Intelligenz«. Sie weisen auf das ungebrochene Interesse der Menschen hin, sich mit den Wechselwirkungen von Technik in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft auseinandersetzen zu wollen.

Diese Diskussion hat normativen Charakter, denn es werden - bewußt oder unbewußt - wertende Sichtweisen eingebracht, die den gegenwärtigen am idealen (noch nicht erreichten) Zustand messen und die Abweichungen von der realen Gegenwart und der wünschenswerten Zukunft begründen. Ursachen dieser kontrovers geführten Diskussionen sind differenzierende Bewertungen der nachweisbaren Effekte der Technisierung sowie die (daraus entstandenden oder entstehenden) unterschiedlichen individuellen Lebensziele (mit ihren Ansprüchen, Hoffnungen und Erwartungen), institutionellen Handlungsstrategien und gesellschaftlichen Zukunftsmodelle.

Einerseits sind die nachweisbaren Effekte der Technisierung ein Ergebnis menschlicher Kreativität, mit dem Ziel, das Leben lebenswerter zu gestalten durch Verbesserung der Lebensbedingungen. Sie sind ein Bestandteil unserer Kultur und Ausdruck menschlicher Emanzipation. Andererseits entstehen durch die offenen (die in der Zukunft liegenden) Effekte Befürchtungen über nachteilige Wirkungen der Technisierung auf Natur, Leben und Gesellschaft. Diese durch Vielfalt und Widersprüchlichkeit geprägte Diskussion zur Frage »Technik für oder gegen den Menschen« ist »natürlicher« Bestandteil jeglicher Technisierung und muß daher geführt werden. Sie ist Ausdruck, Ergebnis und Voraussetzung unserer Kultur und Bildung und sichert deren Zukunftsfähigkeit. Die Wechselbeziehungen von technischem und kulturellem Wandel sind nicht geprägt durch einen Determinismus, der Technik als vorangehend und gestaltend und Kultur als nachlaufend und sich anpassend betrachtet. Technik ist ein Ergebnis unserer Kultur und verändert sie in einem offenen Prozeß. Ausgangspunkte und gestaltende Faktoren zur Entwicklung von Technik sind Nutzungsvorstellungen und -wünsche der Individuen einer Gesellschaft, die durch ihre kulturelle Orientierung geprägt sind, d.h. Techniken sind immer verknüpft mit den Vorstellungen des kulturellen, sozialen Umgangs mit ihnen. So hat Konrad Zuse, der Bauingenieur, die Entwicklung des ersten Computers, des rechnenden Automaten, mit dem Nutzungskonzept verbunden, über ein maschinelles Hilfsmittel verfügen zu wollen, das die Berechnung der langen Zahlenkolonnen für baustatische Berechnungen übernimmt, und er somit Freiraum für seine Kreativität gewinnen kann.

Kulturell entworfene Nutzungskonzepte verknüpfen Technik mit Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Als sozio-kulturelle Innovation beeinflussen sie die technische Innovation. Diese Nutzungskonzepte entwickeln sich weder deterministisch noch einheitlich aus den funktionalen Eigenschaften der Technik und können auch nicht von einer gesellschaftlichen Gruppe (z.B. der Computerindustrie) vorgeschrieben oder verbindlich durchgesetzt werden, wie die heterogenen Nutzungsprofile und -visionen, die durch die offene Funktionalität der Informations- und Kommunikationstechnik entstandenen sind, deutlich zeigen.

Wechselbeziehungen von Bildung und Kultur mit Technik, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft
Wechselbeziehungen von Bildung und Kultur mit Technik, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft

Die Akzeptanz einer Technik entwickelt sich über einen sozial anerkannten Gebrauch und einer sinnvollen Integration in die Alltagskultur. Weder ein brilliant funktionierender Computer noch sein Preis-Leistungsverhältnis sind entscheidend, wie er sich ausbreitet, wozu er benutzt wird und welche Veränderungen sein Einsatz im beruflichen oder privaten Umfeld bewirken. Nur wenn sich ein (individuelles oder gruppenbezogenes) überzeugendes Konzept zu Sinn und Nutzen seines Einsatzes herausgebildet hat, kann sich Technik sozial institutionalisieren, d.h. Eingang in den gesellschaftlichen Alltag finden. Aus diesem sozio-kulturellen Verständnis entstehen Gestaltungsvisionen von Technik. Insbesondere bei den Neuen Medien ist dieser wechselseitige Einfluß von Nutzer und Entwickler als treibendes Element erkennbar.

Ausdruck dieser intensiven Wechselbeziehungen sind die kurzen Zyklen zwischen Nutzerkonzept und Produktneuheiten mit den entsprechenden Auswirkungen auf Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. Die Informations- und Kommunikationstechnologie greift immer intensiver in alle Belange des Lebens ein, in die öffentlichen, beruflichen und privaten Belange. Sie greift massiv in die sozialen Grundstrukturen der Gesellschaft ein und verändert sie.

2.2 Sinn und Nutzen von Technik als evolutionärer Prozeß

Die Menschen spüren diese rasanten Veränderungen, die von den Neuen Medien ausgehen, und reagieren oftmals mit kritischen bis ablehnenden Positionen. Dabei werden Sinn und Nutzen eines Einsatzes bezweifelt, und die Auswirkungen werden als schädlich oder negativ eingestuft. Von Kulturkritikern werden soziale Kontaktlosigkeit wegen der Vereinsamung vor dem Computer und Realitätsverlust durch die virtuelle Welt des Internet befürchtet.

Diese Diskussion um schädliche Einwirkungen der Neuen Medien ist nicht neu. Bereits Plato hat mit der Einführung des Alphabets befürchtet, daß die Schrift den Menschen von seiner realen Welt trennt, und der Mensch sich in eine Phantasiewelt flüchtet. Im 18. Jahrhundert wurden über die Neuen Medien dieser Zeit heftige, unversöhnliche Diskussionen geführt. Beklagt wurde die kulturelle Verflachung, die Verrohung und der allgemeine Verfall von Persönlichkeitswerten. 1790 sah sich der Bremer Rat veranlaßt eine offizielle Studie zu diesen Vorwürfen durchzuführen. Dabei hat sich gezeigt, daß keine nachteilige Wirkung auf Charakter und Denkungsart erzeugt wird.

Aus heutiger Sicht ist diese Kritik an den Neuen Medien des 18. Jahrhunderts nicht nachvollziehbar, denn Lesen und Schreiben sind als allgemeines Bildungsgut ein Kernelement unser Kultur und Basis für Wissenschaft, Wirtschaft und Wohlstand. Der historische Rückblick zeigt aber, daß die Menschen für die Neuen Medien Sinn und Nutzen evolutionär entwickelt haben. Für die Neuen Medien des 21. Jahrhunderts ist in gleicher Weise ein evolutionärer Prozeß erforderlich, um sie als allgemeines Bildungsgut in das sozio-kulturelle Umfeld zu integrieren. Dieser evolutionäre Prozeß ist ein Bildungsprozeß, d.h. das Bildungswesen muß diesen Auftrag annehmen und den evolutionären Prozeß konstruktiv unterstützen.

2.3 Die Bedeutung der Bildung in einer Informationsgesellschaft

Mit der steigenden Leistungsfähigkeit der maschinellen Informationsverarbeitung und ihrer Übertragungswege, mit der zunehmenden Komplexität und Verteilung der Systeme und dem damit zunehmenden Einsatz in allen Bereichen des Lebens steigen die Ansprüche an die, die diese Systeme betreiben, und es wächst die Verantwortung mit der zunehmenden Abhängigkeit des einzelnen wie der gesamten Gesellschaft von einem korrekten und kontrollierbaren Einsatz dieser Systeme. Um diesen Ansprüchen und Verantwortungen gerecht zu werden, müssen alle Mitglieder der Gesellschaft zur intelligenten und verantwortungsbewußten Nutzung über entsprechende Kompetenzen verfügen, die im Bereich allgemeiner und beruflicher Bildung herausgebildet werden müssen. Nur unter dieser Voraussetzung ist eine positive individuelle und gesellschaftliche Integration der Neuen Medien in das sozio-kulturrelle Umfeld möglich.

Hierbei muß sich eine »Informationskultur« entwickeln, die nicht nur einen professionellen Umgang mit den Neuen Medien umfaßt, sondern auch sozial akzeptable Verhaltensweisen. Bildung darf sich daher nicht darin erschöpfen, die Neuen Medien kognitiv zu durchdringen und ihre Nutzungsmöglichkeiten darzustellen wie rascher und leichter Zugang zu Informationen bei Unabhängigkeit von Zeit und Ort sowie Vielfalt bei der Bearbeitung und Darstellung von Informationen. Bildung in einer Informationsgesellschaft muß alle Dimensionen des Menschen umfassen, insbesondere seine soziale, handlungsorientierte Verantwortung.

3. Der Stellenwert der Neuen Medien im Bildungswesen

3.1 Pädagogik und Technik

Mit dem Einsatz der Neuen Medien im Bildungswesen sind die Wechselbeziehungen von Pädagogik und Technik Gegenstand einer medienpädagogischen Betrachtung. Pädagogische Ziele und technische Nutzungspotentiale sind zu einem medienpädagogischen Gesamtkonzept zu integrieren. Hierbei sind nicht nur qualitative sondern auch quantitative Anforderungen verbunden, die fortlaufend zu überprüfen sind.

Für einen umfassenden und ungestörten Einsatz im Unterricht sind die technischen Voraussetzungen zu schaffen und auf dem neuesten Stand zu halten. Die Bereitstellung multimediafähiger Computer in erforderlicher Anzahl, die Installation eines schulinternen Netzes sowie die Anbindung an das Internet sind zwar notwendige Voraussetzungen, aber nicht Ziel einer Medienbildung. Das informationstechnische Potential ist umzusetzen auf den schulischen Einsatz, insbesondere auf (ein bestehendes oder entstehendes) pädagogisches Konzept. Es ist die sachliche und methodische Verknüpfung von Technik und Pädagogik zu leisten, die von grundsätzlicher Bedeutung ist, denn Neue Medien sind weder Selbstzweck noch selbsterklärend. Sie sind Werkzeug und Betrachtungsgegenstand einer pädagogisch-didaktischen Konzeption.

Dabei sind Technik und Pädagogik wechselseitig aufeinander bezogen. Einerseits haben sich Auswahl und Einsatz der technischen Komponenten an den pädagogischen Vorgaben zu orientieren, d.h. Hard- und Softwarelösungen sind mit den Anforderungsdefinitionen zu vergleichen und auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Andererseits sind die medienpädagogischen Konzepte mit den sich ausweitenden Nutzungsmöglichkeiten der Neuen Medien permanent zu evaluieren. Darüber hinaus sind mit den wechselseitigen Veränderungen von Pädagogik und Technik die Qualifikationen der Lehrenden zu sichern und weiterzuentwickeln.

3.2 Die Nutzungspotentiale der Neuen Medien für schulisches Lernen

3.2.1 Neue Medien als Lehr-Lerninhalt

Um den Zugang zu den Neuen Medien und deren Nutzung zu ermöglichen, ist eine informationstechnische Grundausbildung eine notwendige Voraussetzung. Diese medientechnische Kompetenz kann im Schulfach Informatik erworben werden. Hierbei sind die Grundelemente der Informations- und Kommunikationstechnik zu vermitteln mit dem Ziel, Übersicht über die technischen Kompenenten zu gewinnen und ihre Wirkungsweisen zu verstehen sowie die mediale Angebotsvielfalt von Hardware, Software und Dienstleistungen analysieren und einschätzen zu können. Intensive Erfahrungen im Umgang mit vernetzten Computern und ihrer Software sind unabdingbare Voraussetzungen, sich in der Medienwelt zurechtfinden zu können. Hierzu ist ein ungehinderter Zugang zu einem vernetzten Computern zu gewährleisten.

3.2.2 Neue Medien als Werkzeug im Unterricht

Die Neuen Medien bieten vielfältige Möglichkeiten, Lehren und Lernen im Unterricht zu unterstützen. Die digitale Form der Lehr- und Lernmaterialien erlaubt einen schnellen und direkten Zugriff, z.B. durch den Einsatz einer CD-ROM oder über das Internet. Über Datenbanken können Unterrichtsmaterialien bereitgestellt werden.

Die multimediale Form ermöglicht nicht nur eine umfassende Präsentation komplexer Sachverhalte. Durch Interaktion oder Simulation kann mit entsprechenden Programmen auch differenzierenden Fragestellungen nachgegangen werden. Dabei können die Lehr- und Lernprozesse an isolierten oder vernetzten PC-Arbeitsplätzen stattfinden, so daß über das schulinterne Netz oder das Internet zusätzlich die Komponente Telekommunikation hinzugefügt werden kann. Dabei eröffnet sich ein hohes Maß an Flexibilität bei der Gestaltung des Lernprozesses.

Nicht nur im schulischen Bereich erweisen sich diese Einsatzmöglichkeiten als hilfreich und nützlich. Auch im außerschulischen Bereich (so auch bei der Lehrerfortbildung) lassen sich nach gleichen Ansätzen Lernprozesse konzipieren. Diese methodisch-technischen Konzeptionen sind wichtige Voraussetzungen für ein lebenslanges Lernen.

3.2.3 Neue Lehr-Lernformen durch Neue Medien

Die Neuen Medien darauf beschränken zu wollen, als Werkzeug ergänzend zum traditionellen Unterricht einzusetzen, hieße, seine Nutzungspotentiale nicht auszuschöpfen.

Multimediale Software, Datenbanken, Expertensysteme, Software für Simulationen und Planspiele sind Werkzeuge, die im Unterricht ein realitätsnahes Szenario erzeugen können zur aktiven, handlungsorientierten Lösung komplexer Probleme. Darüber hinaus bietet die Vernetzung (lokal oder global) die Möglichkeit, ein verteiltes System zu erfahren, das durch die Interaktionen der einzelnen Teilnehmer geprägt ist. Die Aktion der einzelnen Teilnehmer und ihre Auswirkungen auf das eigene Problemlösungsverhalten sind erfahrbare Merkmale eines kooperierenden Systems. Diese informationstechnischen Voraussetzungen gilt es für neue Lernpotentiale zu nutzen.

Problemorientiertes, selbstgesteuertes und kooperatives Lernen sind Formen, die durch den Einsatz der Neuen Medien möglich sind. Abhängig von den pädagogischen Zielen können diese Lehr-Lern-Formen mit unterschiedlicher Gewichtung in didaktisch-methodischen Konzeptionen berücksichtigt werden. Das Leitmotiv des problemorientierten Lernens ist es, Wissen in einem Problemumfeld zu erwerben, d.h. Wissen zu erfahren und damit das sog. »träge Wissen« zu reduzieren. Selbstgesteuertes Lernen bedingt die Selbstbestimmung bei der Zielsetzung und Gestaltung des individuellen Lernprozesses. Unter Nutzung kommunikationstechnischer Potentiale kann kooperatives Lernen konzipiert werden, so daß die immer wichtiger werdenden sozialen und kommunikativen Fertigkeiten sich entwickeln können. In diesem Kontext wird es erforderlich, neue Bewertungsmaßstäbe zu entwickeln zur Beurteilung der Lernergebnisse. Mit den neuen Lehr-Lern-Formen wandelt sich auch die traditionelle Rolle des Lehrenden. Seine Aufgabe, Wissen zu vermitteln, wird sich reduzieren. Er wird moderierend und beratend die Lernprozesse begleiten und fallweise unterstützend eingreifen oder neue Lernimpulse setzen. Konsequenterweise sind neue Konzepte für die Lehreraus- und fortbildung zu entwickeln.
Weitere Informationen siehe: www.schulweb.de/schnet95/

4. Integration der Neuen Medien in das Bildungswesen

Die systematische Integration der Informations- und Kommunikationstechnik in das Bildungswesen bedarf eines konsistenten Gesamtkonzeptes. Es sind die Lehrerausbildung ( Studium für das Lehramt, Referendarausbildung) neu zu ordnen und Fortbildungsprogramme anzubieten, die Entwicklung von neuen Unterrichtskonzepten zu ermöglichen, technische Infrastruktur bereitzustellen sowie deren Wartung und Pflege zu organisieren und Curriculum-Forschung zu fördern mit dem Ziel, das Bildungswesen systematisch und konsequent zu reformieren.

Die Zielvorstellung, die Neuen Medien als Werkzeug zur Gestaltung neuer Unterrichtsformen einzusetzen, beinhaltet nicht, den Unterricht technisieren zu wollen, oder authentisches Lernen durch virtuelles Lernen ersetzen zu wollen. Multimedial- und netzorientierter Unterricht muß als Bereicherung des Schulalltags verstanden werden - nicht im Sinne eines additiven Zusatzes zum tradierten Unterricht. Die Einführung der Neuen Medien muß mit einem systematischen Ansatz verbunden sein, ineffektive Unterrichtsformen reformieren zu wollen. Der Einsatz der Neuen Medien darf sich daher nicht auf das Pflichtfach Informatik beschränken. Neue Medien müssen als »natürliches« Hilfsmittel in allen Fächern akzeptiert und eingesetzt werden. Es muß daher der gesamte Fächerkanon des Bildungswesens in den systematischen Wandel einbezogen werden, von den naturwissenchaftlichen-technischen Fächern wie Physik, Biologie und Elektrotechnik bis hin zu den Fächern der musischen und bildenden Künste, damit neue Formen des Unterrichts sowie didaktische und inhaltliche Kreativität möglich werden. Damit dürfte auch deutlich werden, daß ein netzorientierter Unterricht nicht mit Versenden und Empfangen von elektronischer Post (e-mail) gleichzusetzen ist. Es kann allenfalls der Einstieg sein. Im Mittelpunkt steht das aktuelle Verwertungsinteresse von Informationen, der Erwerb von Sachkompetenz zur praxisorientierten Anwendung multimedialer Techniken, insbesondere die Kommunikation über Netze zur Gestaltung telekooperativer Arbeit. Durch den Einsatz vernetzter Computer können moderne Konzepte handlungsorientierten Unterrichts entwickelt, den Schülern mehr Raum für Eigenaktivität gegeben sowie Schlüsselqualifikationen in (tele-)kooperativen Unterrichtsprojekten herausgebildet werden. Dabei sind interdisziplinäre Sichtweisen und die Experimentierfreudigkeit gezielt zu fördern.

Die Universitäten und Hochschulen sind gefordert, Curriculum-Forschung zu betreiben und pädagogisch-didaktische Konzeptionen zu entwickeln. Gefragt ist Software mit spezifischer Funktionalität für den Bildungs- und Ausbildungsbereich.

Die Administrative des Bildungswesens muß beginnen, Konzeptionen zur Lehreraus- und -fortbildung für den gesamten Fächerkanon des Bildungswesens zu entwickeln und Entwürfe für Lehrpläne einer Medienerziehung zu erarbeiten.

Auf allen drei Ebenen des Bildungssystems, in der Schule, in den Universitäten und in der Administration, muß parallel den spezifischen Aufgaben nachgegangen werden. Damit pädagogisch-didaktische Innovationszyklen entstehen, sind in kurzen Evaluationszeiträumen die einzelnen Aktivitäten aufeinander abzustimmen.

5. Ausblick

Mit der Zielvorstellung, die Neuen Medien in das Bildungswesen zu integrieren, soll nicht verkannt werden, welche Hemmnisse und Schwierigkeiten mit einer Umstellung verbunden und welche grundsätzlichen Barrieren zu überwinden sind, um den Anforderungen der Informationsgesellschaft gerecht werden zu können. Auch die Gefahren, wie z.B. Informationsflut, sind in die Betrachtung einzubeziehen. Nur eines dürfte deutlich werden: Die Gefahren sind in einer zukünftigen Welt ebenso offen wie die skizzierten Chancen, die aus einer sozio-kulturellen Integration der Neuen Medien erwachsen können. Wenn man aber wegen der potentiellen Risiken es nicht ausprobieren will, ob man die Chancen konstruktiv nutzen kann, wird man die Zukunft nicht gestalten können. Betrachten wir daher die Neuen Medien als Chance, in allen Bereichen des Lebens wieder Neugier, Wissensdrang, Kreativität, Initiative, Freude am Fortschritt, an Veränderungen, Bereitschaft zum Verlassen eingefahrener Bahnen, Infragestellung herkömmlicher Denkschablonen und Arbeitsformen zu wecken - als Chance, neue kulturelle Horizonte zu entdecken und dabei innovativ und kritisch ein Stück Zukunft zu entwickeln.

Quelle:

Einführung zum Loseblattwerk Schule, Netze und Computer - Neue Medien verstehen, verwenden und vermitteln, herausgegeben von Rainer Busch, Ralph Ballier und Susanne Pacher, Neuwied (Luchterhand) 2000, http://www.schulleitung.de/sl/snc/sncstart.htm

Mit freundlicher Genehmigung des Autors
Prof. Dr. Rainer Busch ist Urheber der Bildungsinitiative "Schulen ans Netz".
e-mail: rbusch -at- gmd.de