Von der Story zum Drehbuch von Manfred Schwabe

Etwas Wichtiges vorab:

  • Fangt einfach an! Geht von euren spontanen Ideen aus. Lasst eurer Kreativität freien Lauf, schreibt, was euch betrifft und interessiert.
  • Bringt die Arbeit zu Ende! Überwindet die schweren Phasen, beginnt bei Sackgassen noch mal neu oder geht Umwege. Verhindert dauerhafte Blockaden, Resignation, Frust oder zuviel negative Kritik.
  • Die Arbeit ist wichtiger als die Befindlichkeit! Gruppendynamische Prozesse und eigene Befindlichkeiten müssen der Sache dienen oder werden – soweit möglich - zurück gestellt.

Beim Schreiben eines Drehbuch besteht eine der Hauptaufgaben darin, aus den erzählerischen Vorgängen szenische und visuelle zu machen.

Beispiel: "Es war einer von jenen Tagen, an denen alles schief ging."
Wie soll das im Film aussehen? Vielleicht so: Ein Abreißkalender an der Wand, eine Hand reißt ein Kalenderblatt ab, danach hängt der Kalender schief.
Aber Vorsicht: Der Zuschauer könnte auch denken, die Hauptperson des Filmes ist Grobmotoriker.

Nicht alles in einer Erzählung ist filmisch umsetzbar. Deshalb sollen die folgenden Tipps euch auf dem Weg von der Story zum Drehbuch behilflich sein.

Grundregeln zum Drehbuchschreiben:

  • Definiert die Hauptperson!

    Die Hauptperson ist diejenige, die handelt, diejenige, die Veränderung bewirkt und/oder selbst erfährt.

    Beispiel: Ein Fahrstuhl bleibt stecken, alle sind eingeschlossen, verhalten sich passiv, leiden oder haben Angst...
    Die Hauptperson ist die, die durch den Schacht klettert.
    Oder: Die, die andere tröstet oder aufhetzt (Gegenspieler / Antagonist).
    Oder: Die, die am Anfang mit ihrer Paranoia alle gefährdet, dann einen Weg findet, sich unter Kontrolle zu bringen, und am Schluss die entscheidende Aktion zur Befreiung startet.
    Oder: Der Feuerwehrmann, der von außen versucht, die Menschen im Aufzug zu retten.

    In seltenen Fällen kann auch eine Gruppe die "Hauptperson" sein. Fast nie wechselt die Hauptperson während der Geschichte. Aber natürlich kann sie von Szene zu Szene wechseln.

  • Definiert die Handlung!

    Die Handlung ist das Einwirken auf andere Personen aus eigenem Antrieb / eigener Entscheidung mit einem Ziel.

    Beispiel: Ein Schüler sieht zufällig eine neue, besonders hübsche Mitschülerin in der Nachbarwohnung...

    Das alleine ist noch keine Handlung im dramatischen Sinne. Eine Handlung wäre zum Beispiel:

    Er recherchiert ihre Nummer und ruft sie an. Oder: Er lädt sie auf eine Willkommensparty ein. Oder: Er intrigiert gegenüber einem Konkurrenten.

    Gegenbeispiel "Gefühle": Der Schüler steht in einer Ecke auf dem Schulhof und fühlt sich schlecht...

    Diese Gefühlsmomente sind wichtig für eine Erzählung, sie zeigen uns die Zustände und Entwicklungen des Charakters, und sie bereiten auch Handlungen vor, sind aber keine drehbuchtauglichen Handlungen. Sie treiben die Erzählung nicht voran.

    Gegenbeispiel "Atmosphäre": In der Klasse ist eine unterschwellige, explosive Stimmung. Die Energien der ersten Liebe, gepaart mit den Unwissenheiten und der latenten Konkurrenz lassen Bedrohliches erahnen...

    Wer handelt hier? Niemand! Eine atmosphärische Schilderung ist wichtig. Aber: Wie sieht die filmischen Umsetzung später aus?

    Der Impuls der dramatischen Verschärfung sollte von einer der Hauptpersonen ausgehen, nicht vom Zufall oder äußeren Einflüssen.

    Eine "dramatische" Handlung muss nicht zwangsläufig "dramatisch" sein, so wie der Volksmund das Wort benutzt.

    Beispiel: In einem witzigen Monolog bringt der Schüler die neue Mitschülerin dazu, den Unterricht zu schwänzen und stattdessen mit ihm Überraschungskekse zu backen...

    Ihr seid immer auf der sicheren Seite, wenn ihr ein aktives Verb für die Handlung in der Szene benennen könnt (Beispiele: Er verführt..., sie überredet..., er manipuliert..., sie verschafft sich Gewissheit..., er konfrontiert... Gegenbeispiele: Sie weiß nicht, was sie tun soll..., er fühlt sich verlassen..., sie wartet ab..., er zögert..., er kann nichts tun...).

    Tipp: Definiert die Handlung von Romeo und Julia oder eines anderen Stückes oder Filmes.

  • Definiert Anfang, Entwicklung und Schluss der Handlung!
  • Konzentriert euch auf die wesentlichen Teile der Handlung, die sich auseinander entwickeln, aufeinander aufbauen und sich steigern!
  • Beschreibt jede einzelne Szene so genau wie möglich mit einem kurzen Satz als Überschrift (siehe Beispieldrehbuch auf der DVD)!

Zu den Dialogen:

  • "Don´t tell! Show!"

    Viele Anfänger schreiben zu viel Dialog statt Handlung.

    Nicht so schön: Lehrer: "Na, da komm ich in die Klasse und was ist das?! Niemand da. Aber ich dachte, wir hätten jetzt Mathe in der dritten. Na guck ich doch noch mal in meinem Stundenplan nach, ja da steht es, Mathe. Wo sind die anderen nur..."

    Besser: Der Lehrer kommt in die Klasse und verharrt irritiert, als er bemerkt, dass die Klasse leer ist. Er überlegt kurz und holt seinen Stundenplan aus der Tasche. Er versichert sich, dass jetzt eigentlich Unterricht sein müsste. Er horcht, sieht aus dem Fenster, denkt nach...

  • Indirekter Dialog ist besser als direkter Dialog!

    Nicht so schön: Er: "Ich würde dich gerne auf die Party einladen, weil ich Interesse an dir habe und neugierig bin."

    Besser: Er: "Wann ist eigentlich der coolste Zeitpunkt, um auf die Party zu gehen?" Sie: "Geht um acht los, also nicht vor neun, besser halb zehn." Er: "Verstehe. Und das coolste wäre, wenn du mit mir ..."

  • Steigt so spät wie möglich, in den Verlauf jeder einzelnen Szene ein. Oder anders ausgedrückt: Kommt direkt zum Wesentlichen, lasst Unnötiges weg!

    Nicht so schön: Sie: "Guten Tag, Herr Lehmann." Er: "Hallo." Sie: "Schon zu Ende mit dem Unterricht?" Er: "Ja, die Sechste fällt heute aus." Sie: Da kann man ja das schöne Wetter nutzen." Er: "Ist mir nicht so danach." Sie: "Warum haben sie das getan?"...

    Besser: Sie: "Warum haben sie das getan?" Er: "Woher weißt du, was ich getan habe?"...

  • Nutzt den Dialog nicht für die Handlung, sondern für den Blick in die Gedanken und Hintergründe der Figuren!

    Nicht so schön: Der Lehrer: "Verdammt, jetzt schleppe ich die ganzen Sachen aus dem Videolabor eigenhändig über drei Treppen, weil der Aufzug nur mit dem Schlüssel des Hausmeisters funktioniert, aber der hat natürlich schon frei, ist ja nach 15 Uhr..."

    Besser: Die Beiden setzen die schweren Koffer vor dem Aufzug ab und bemerken, dass sie ihn ohne Schlüssel nicht bedienen können. Sie laden sich die Koffer wieder auf und schleppen sie schwitzend die Treppen hoch. Lehrer: "Ich hab immer alles alleine machen müssen, schon in meiner Referendarzeit, was sag ich, schon als Kind hat meine Mutter immer gesagt..."

  • Vermeidet Dopplungen!

    Also wenn der Lehrer schleppt, sagt er nicht im Text: "Ich schleppe". Wenn er sauer ist, sagt er nicht: "Ich bin sauer", sondern er spielt, er ist sauer und sagt: "Weißt du eigentlich wie spät es ist"? Antwort: "Wieso": Er: "Ich frage mich, was der Hausmeister für einen Vertrag hat ..."

  • Arbeitet mit Auslassungen!

    In dem Beispieldrehbuch auf der DVD endet Szene 9 mit Viktor: "Ich weiß nicht was ich tun soll." Im Film beginnt Szene 10 mit der Großaufnahme eines Telefons: Die Nummer der Polizei wird gewählt. Alles, was möglicherweise dazwischen passiert sein könnte, kann man weglassen.

    Beispiele: Die beiden haben ihre Handys gecheckt und festgestellt, dass kein Guthaben mehr auf der Karte ist... Sie sind zur Telefonzelle gelaufen... Sie haben Kleingeld geholt... Viktor hat sich noch einmal geweigert die Polizei einzuschalten, aber Ellen hat ihn überzeugt...

Tipps aus der Sicht der Produzenten:

  • Schreibt Drehorte und Situationen, die umsetzbar sind!

    Sicher ist eine Eröffnungsszene spannend, in der zwei Jungs sich um das Halskettchen ihrer Angebeteten prügeln, und das auf der Achterbahn in voller Fahrt, während das Mädchen dahinter sitzt und schreit, und sich aus dem Sicherheitsbügel befreit, um die Jungs zu trennen. Das Kettchen fällt aus dem Wagen, und einer der Jungs will hinterher, als die Achterbahn gerade zum Looping ansetzt...

    Lässt sich dieser Dreh mit euren Mitteln realisieren?

    Aber auch eine Prügelei nachts im Regen ist schon schwierig zu drehen: Vielleicht regnet es ja gerade nicht. Im Juli ist es erst ab 22 Uhr dunkel, das würde einen Dreh bis weit nach Mitternacht bedeuten.

    Drehen auf öffentlichen Straßen ist schwierig (Verkehr, Lärm, Passanten die stehen bleiben...)!

    Oft ist es nicht nur das Bild, sondern auch der Ton, der Schwierigkeiten macht: Kann man die Sprache verstehen, wenn zwei Jungs auf einer fahrenden Achterbahn streiten?

    Stunts, Kämpfe, Messerstechereien, etc. sind schwierig. Da ihr keine Stundmen seid, sieht das meist unprofessionell aus und lenkt den Zuschauer von der erzählten Geschichte ab.

  • Aufpassen bei der Wahl der handelnden Personen in der Geschichte!

    Mal angenommen, eine Gruppe von Senioren ist Teil der Handlung. Wer soll das spielen? Besser ist es, die handelnden Personen sind in eurem Alter, mit wenigen erwachsenen Nebenrollen.

  • Anzahl der unterschiedlichen Drehorte beachten!

    Ein Drehbuch mit 14 Szenen und 14 verschiedenen Drehorten ist schwieriger zu realisieren als ein Drehbuch mit 6 - 8 Drehorten, an denen jeweils mehrere Szenen spielen.

Zur Übung:

Schaut euch einen eurer Lieblingsfilme auf Video/DVD an und findet Beispiele zu den oben beschriebenen Punkten.

Autor: Manfred Schwabe
"Vervielfältigungen und Veröffentlichungen sind uneingeschränkt zulässig, wenn sie mit einer eindeutigen Quellenangabe versehen sind."
Quelle:
Tatort Eifel - Junior Award
"Es geht auch ohne Mord und Totschlag"
Handreichung der Landeszentrale für private Rundfunkveranstalter (LPR) Rheinland-Pfalz, Ludwigshafen 2005