Leitfragen zur Filmanalyse

1) Vor dem Film

Nach Möglichkeit sollten Filme - ebenso aus Gründen der Motivation der Schüler/innen wie einer ästhetisch adäquaten Rezeption - zunächst vollständig im Kino gesehen werden, bevor sie genauer analysiert werden.
Eine Vorbereitung auf die Filmsichtung ist dennoch sinnvoll. Hier bieten sich entsprechend der den Schüler/innen vertrauten Rezeptionsweise von Kinofilmen Materialien des Filmverleihs bzw. der Produktionsfirma an (besonders Plakat, Trailer, Inhaltsangabe). Dabei können zugleich Vermarktungsstrategien reflektiert werden.

1.1) Plakat

Beschreiben Sie das Plakat.

  • Was/wer ist auf dem Plakat zu sehen?
  • In welchem Verhältnis stehen die Personen zueinander?
  • Welcher/n sozialen Gruppe/n gehören sie an?
  • Was erfährt das Publikum über die Handlung und die Themen des Films?
  • Welchen Eindruck macht das Plakat?
  • Welches Publikum soll das Plakat wahrscheinlich ansprechen?
  • Entwerfen Sie eine Handlung, die Ihrer Meinung nach zu diesem Plakat passen würde.

1.2) Trailer

Trailer enthalten Einstellungen aus dem Film, allerdings meist nur zum Teil in chronologischer Reihenfolge. Angesichts des oft schnellen Schnitttempos und der Kürze von Trailern ist ein mehrmaliges Sehen sinnvoll. Neben der Bewusstmachung des durch den Trailer vermittelten Eindrucks und der Rekonstruktion der Beziehungen zwischen den Figuren, der Themen und der Handlung des Films (in Fortführung der Arbeit mit dem Plakat) kann hier auch bereits eine Einführung in den Einsatz filmischer Mittel (Einstellungsgrößen und -perspektiven, Kamerabewegung, Licht, Farben, Musik etc.) und die ästhetische Auseinandersetzung mit dem Film gegeben werden.

  • Welche Eindrücke und Stimmungen vermittelt der Trailer?
  • Welche Personen werden gezeigt und was erfahren wir über ihre Beziehungen zueinander? Entspricht dies den Hypothesen, die anhand des Plakats entwickelt wurden?
  • Was erfahren wir über die Themen und die Handlung des Films?
  • Was erfahren wir über die soziale Situierung der Handlung? Wo könnte der Film spielen?
  • Schreiben Sie ausgehend von den Informationen des Trailers eine Zusammenfassung des (hypothetischen) Inhalts des Films.

Die Auseinandersetzung mit dem Einsatz filmischer Mittel und der ästhetischen Dimension des Trailers ist kein Selbstzweck, sondern ermöglicht, auch seinen Inhalt genauer zu erschließen, und schafft Sprechanlässe. Dabei ist ein Ausgehen von angehaltenen Bildern des Trailers (oder den zum großen Teil im Trailer vertretenen Standbildern zum Film) sinnvoll. Anschließend kann die Klasse in Gruppen eingeteilt werden, die jeweils unterschiedliche Beobachtungsaufträge erhalten (vgl. unten Abschnitt 2).

1.3) Filmbilder

Beschreiben Sie das Bild:

  • Was/ wer ist dargestellt?
  • Wie ist die Beziehung zwischen den Figuren/ Gegenständen (Wer/ was dominiert?, Verhältnis von Vorder-/ Hintergrund, Figur und Umgebung, Blicklinien der Figuren, Mimik und Gestik etc.)?
  • Wie ist das Bild aufgebaut (Symmetrie, Formen etc.)? Welcher Eindruck entsteht dadurch?
  • Bestimmen Sie Einstellungsgröße und Kameraperspektive. Welche Wirkung wird erzeugt? (Überlegen Sie, wie es gewirkt hätte, wenn eine andere Einstellungsgröße oder Perspektive gewählt worden wäre.)
  • Wie ist das Licht/ Verhältnis von Licht und Schatten? Wie ist die Farbgestaltung? Wirkung?

(Es ist zu beachten, dass die zu einem Film veröffentlichten (Stand-)Bilder nicht grundsätzlich im Film enthalten sein müssen und oft auch nicht das originale Format wiedergeben. Sie dienen nicht zuletzt Werbezwecken - die im Unterricht reflektiert werden können. Screenshots bzw. angehaltene Filmbilder vermitteln einen authentischeren Eindruck des Films selbst, sind aber nicht immer in entsprechender Qualität verfügbar.)

1.4) Kurzinhalt

Der Kurzinhalt des Films, wie er vom Filmverleih veröffentlicht (und auf Seiten wie www.filmz.de übernommen) wird, soll soweit über die Handlung aufklären, dass deren Besonderheit und Interesse deutlich wird. Während der Konflikt der Handlung im Allgemeinen angesprochen wird, wird eine mögliche Auflösung allenfalls suggeriert.

  • Welche Themen werden angesprochen?
  • Worin besteht der handlungsbestimmende Konflikt?
  • Macht der Kurzinhalt Lust auf den Film? Wenn ja; wie gelingt ihm das? Wenn nein; warum nicht? Hätten besser weniger oder mehr Einzelheiten der Handlung angesprochen werden sollen? Wirkt die Handlung zu konventionell oder zu abseitig?
  • Wie könnte der Film ausgehen?
  • Versuchen Sie, anhand des Kurzinhalts mögliche Szenen der Handlung zu entwerfen.

1.5) Mögliche Richtungen für Recherchen

Durch Trailer und Kurzinhalt wird die Handlung soweit klar, dass die SuS Hintergründe zu Themen des Films recherchieren können, die das Verständnis des Films erleichtern.
Ferner können Informationen zum Regisseur und den Schauspieler/innen gesammelt werden.
Schließlich können die SuS sich über Filmen informieren, die das gleiche oder ein ähnliches Thema behandeln.

2) Während des Films

Um ein intensiveres Sehen des Films anzuleiten, können Beobachtungsaufgaben vergeben werden. Die Klasse kann in Gruppen unterteilt werden, die arbeitsteilig auf einzelne inhaltliche Fragen sowie auf Aspekte wie Einstellungsgrößen, Kameraperspektiven und -bewegung, Montage, Farbgestaltung und Beleuchtung, Musik und Geräusche, Mimik und Gestik der Schauspieler/innen, Besonderheiten der Mise en scène, Dramaturgie etc. achten sollen (für eine Einführung in die Filmsprache vgl. die Hinweise in unserer Linkliste). Wer will, kann dabei auch versuchen, Notizen zu machen (so wie dies Filmkritiker z.T. tun).
Es ist sinnvoll, jeder Gruppe einen Fragebogen zu einem der Themen auszuteilen, auf dem die Fachbegriffe und Analysekategorien kurz vorgestellt werden (so kann auch eine umständliche abstrakte Einführung in die "Filmsprache" vermieden werden). Als Leitfragen sind z.B. denkbar:

Leitfragen zum Inhalt

  • Jeweils auf den Film abzustimmen.

Handlung/ Dramaturgie

  • Was sind die Protagonisten des Films? In welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Gibt es für die Handlung wichtige Konflikte zwischen ihnen?
  • Welche anderen Figuren treten auf? In welchem Verhältnis stehen sie zu den Protagonisten (z.B. Helfer, Ratgeber, Warner)? Welche Bedeutung haben sie für die Entwicklung der Handlung?
  • Können im Film kontrastierende Räume identifiziert werden (z.B. reale Welt vs. imaginäre Welt, Heimat vs. Fremde, Stadt vs. Land)? In welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Welche Bedeutung haben sie für die Handlung und die Entwicklung des Konflikts? Oder sind derartige Kontraste nur schwach ausgeprägt, steht der Alltag in einer einheitlichen Realität im Mittelpunkt des Films?
  • Kann die Handlung des Films in einzelne Abschnitte unterteilt werden? Bis zu welcher Szene werden die Situation und die Personen der Handlung vorgestellt (Exposition)? Versuchen Sie, Wendepunkte zu identifizieren, durch die die Handlung und die Entwicklung der Hauptfiguren eine neue Richtung bekommen. Was ist der Höhepunkt/ sind die Höhepunkte der Handlung?
  • Ist die Handlungsentwicklung konventionell, ist sie typisch für ein bestimmtes Filmgenre?
  • Welchen Zeitraum umfasst die Handlung? Wird die Handlung chronologisch erzählt? Gibt es Rückblenden? Wird auf Ereignisse Bezug genommen, die vor dem Einsetzen des Films liegen; wenn ja, auf welche, wie?
  • Was erfahren wir über die Hauptfigur und ihr Leben vor der im Film dominant erzählten Zeit (Backstory)?

Inszenierung/ Mise en scène

  • Spielt der Film in einer vertrauten Realität, in einem historischen oder exotischen Setting oder in einer imaginären Welt (z.B. Fantasy- oder Science-fiction-Film)?
  • Ist die Art der Inszenierung eher realistisch oder eher künstlich-artifiziell?
  • Dominieren dynamische oder statische Bildkompositionen? Wie ist die Balance der Bildelemente, gibt es Symmetrien etc.?
  • In welchem Verhältnis stehen Personen und Dekor? Gibt es ein Übergewicht eindrucksvoller Dekors oder unterstreichen die Dekors die Bedeutung der Figuren oder treten sie ihnen gegenüber in den Hintergrund? Werden die Personen durch Umgebung und Gegenstände etc. charakterisiert?
  • Wie ist der Farbeinsatz? Dominieren einzelne Farben? Werden auffällige Farben/ Farbkombinationen z.B. zur Charakterisierung von Personen, Orten, Passagen der Handlung verwendet oder als Verweis auf eine dargestellte historische Epoche oder ein Filmgenre?
  • Wie werden Licht und Schatten eingesetzt? Dominieren dunkle oder helle Flächen (Low-Key-Stil oder High-Key-Stil)? Welche Stimmung wird so erzeugt?
  • Agieren die Schaupieler/innen eher natürlich oder eher stilisiert, eher zurückgenommen, expressiv, pathetisch oder karikierend?
  • Wird ihre Mimik und Gestik durch Einstellungsgröße und Bildausschnitt hervorgehoben?
  • Kamera

  • Gibt es Einstellungsgrößen, die auffällig häufig vorkommen? Ist der Film z.B. eher in nahen und halbnahen Einstellungen oder eher in Totalen gefilmt?
  • Welchen Effekt hat ggfs. die Wahl dominanter Einstellungsgrößen z.B. auf die Darstellung der Personen, ihrer Gefühle und gesellschaftlichen Beziehungen?
  • Gibt es an einzelnen Stellen auffällige Kameraperspektiven (extreme Auf- oder Untersicht, verkantete ‚schräge' Perspektiven etc.)? Was bewirken sie ggfs.?
  • Ist die Kamera eher statisch oder eher bewegt? Wird ein verwackelter Handkamerastil eingesetzt? Was ist der Effekt?
  • Gibt es längere Einstellungen, die durch besonders komplizierte, aufwendige Kamerabewegungen hervorgehoben sind (Plansequenzen)? Was könnte der Grund sein?
  • In welchem Verhältnis steht die Kamera zu den Figuren des Films? Erzeugt sie z.B. durch Nah- oder Halbnaheinstellungen Nähe zu einer oder mehreren Figuren oder zeigt sie das Geschehen aus objektiv wirkender Distanz? Zeigt sie das Geschehen aus der Perspektive einzelner Figuren, ggfs. unterstrichen durch Unmittelbarkeit suggerierenden Handkamerastil (subjektive Kamera)?

Schnitt/ Montage

  • Dominieren lange oder kürzere Einstellungen? Wie wirkt der Rhythmus der Einstellungen?
  • In welchem visuellen und inhaltlichen Verhältnis stehen miteinander verbundene Einstellungen?
  • Dient die Montage der Erzählung, schafft meist kaum merkliche Verbindungen ("unsichtbarer Schnitt") oder ist der Kontrast zwischen Einstellungen gesucht, die ungewöhnliche Verknüpfung, wird Aufmerksamkeit auf die Montage selbst gelenkt und Distanz zum Geschehen erzeugt?

Musik/ Geräusche

  • Gibt es Musik in dem Film? An welchen Stellen wird Musik eingesetzt? Gibt es Passagen ohne Musik, in denen Sie eigentlich Musik erwartet hätten? Welche Wirkung hat dieser Einsatz von Musik und Stille?
  • Wird Musik eher On (Musikquelle im Bild) oder Off (Musikquelle nicht im Bild), eher diegetisch (zur Handlungswelt gehörig) oder nichtdiegetisch (nicht zur Handlungswelt gehörig; als reine Filmmusik) eingesetzt?
  • Untermalt sie die Passagen, denen sie unterlegt ist, akzentuiert sie bestimmte Stimmungen oder führt sie über das Bild hinaus, steht sogar in Kontrast zu ihm? Welche dramaturgische Funktion hat sie?
  • Gibt es wiederkehrende Motive, die bestimmte Personen oder Situationen charakterisieren (Leitmotive)?
  • Was für Musik wird eingesetzt? Ist die Musik extra für den Film komponiert oder handelt es sich um bereits bekannte Stücke? Kennen Sie die Interpreten?
  • Wirken die Geräusche realistisch oder künstlich? Werden bestimmte Geräusche hervorgehoben oder unnatürlich verstärkt?
  • In welchem Verhältnis stehen die Geräusche zum Bild (Off/ On etc.; s.o.)? Gibt es eine Beziehung zwischen Geräuschen und Musik?

3) Nach dem Film

Nach dem Film ist es gut, Raum für Diskussion, spontane Kommentare und Bewertungen zu geben. Im Anschluss können, ggfs. auf der Grundlage von Beobachtungen der einzelnen Arbeitsgruppen, formale und inhaltliche Aspekte des Films besprochen werden.

Bewertung/ Kritik

  • Wie fanden Sie den Film? Wurden Ihre Erwartungen erfüllt oder getäuscht? Inwiefern? Was hat Ihnen besonders gut/ schlecht gefallen? Begründen Sie Ihre Meinung.
  • Schreiben Sie eine Filmkritik. Sie können dabei kurz auf den Inhalt eingehen (ohne alles zu verraten), wichtige Themen nennen, Bezüge zu anderen Filmen/ gesellschaftlichen Trends o.ä. behandeln, die einzelnen Elemente des Films (Regie, Schauspieler/innen, Kamera, Musik etc.) bewerten. Sie sollten dabei auch formale Aspekte berücksichtigen. Warum lohnt es sich Ihrer Meinung nach (nicht) den Film zu sehen? Was ist das Besondere an dem Film?
  • Als Anregung oder im Anschluss können auch veröffentlichte Kritiken des Films herangezogen werden. Wie argumentieren die Kritiker? Worauf legen sie besonderen Wert? Welche Aspekte des Films werden nicht (genug) berücksichtigt? Stimmen Sie diesen Kritiken zu?

Figuren/ Figurenkonstellation

  • Setzen Sie die Figurenkonstellation in eine Grafik um.
  • Die Klasse kann in mehrere Gruppen unterteilt werden, die das Verhältnis der Figuren zueinander in einem Standbild umsetzen. Die SuS sollen ihre Umsetzung der Figurenkonstellation erläutern.
  • Wie interpretieren Sie die Beziehung zwischen Figur X und Figur Y? Worin könnten die Probleme zwischen beiden bestehen? Entwerfen Sie eine Szene, in der Figur X Figur Y ihre Sicht der Beziehung erklärt (event. auch als Brief oder E-Mail).
  • Gibt es Leerstellen in der Darstellung der Figuren und ihrer Beziehungen? Fehlen Informationen, die für das Verstehen der Handlung interessant gewesen wären? Sind derartige Leerstellen in künstlerischen Werken Ihrer Ansicht nach ein Vorzug (z.B. weil sie der Fantasie mehr Raum lassen, weil allzu große Eindeutigkeit leicht platt wirkt) oder ein Nachteil (weil Informationen fehlen, die interessant gewesen wären, Sachverhalte vage bleiben)?
  • Versuchen Sie die Leerstellen zu füllen. Entwerfen Sie die Biographie einer Figur (Haupt- oder Nebenfigur).
  • Diskutieren Sie die Lebensentwürfe der Figuren und Ihre eigenen.
  • Die SuS können die Biographie der Figuren nach dem Ende der Handlung fortführen. Was geschieht mit den Figuren? Wie entwickeln sie sich weiter? Wie würden sie die Handlung des Films aus dem Rückblick erzählen? Warum endet der Film zu dem gegebenen Moment?

© A.Thiele 8/2007

Quelle

Mit freundlicher Genehmigung des Verfassers. Er betreut das Schulprogramm der Bonner Kinemathek:
Dr. Ansgar Thiele
Bonner Kinemathek e.V.
Kreuzstraße 16
53225 Bonn-Beuel