Sechs Bereiche frühkindlicher Medienbildung

Medien als Erfahrungsspiegel betrachten

Kinder verarbeiten aktiv ihre Erlebnisse, die sie beschäftigen, die sie emotional bewegen oder die sie ängstigen, indem sie darüber sprechen, phantasieren, zeichnen oder Rollenspiele machen. Dies gilt für all ihre wichtigen Lebensbereiche (Familie, Kindergarten, Medien usw.) (Situationsorientierung).
Auch die Verarbeitung von Medienerlebnissen ist ein wichtiger Bestandteil der frühkindlichen Erfahrungsbildung, weil sich die Kinder dabei die Beziehung zwischen ihrem eigenen Erleben und dem Medienerlebnis vor Augen führen können. Dies kann man wortwörtlich verstehen. Indem ein Kind z.B. aufzeichnet, was es im Fernsehen geängstigt hat, verdeutlicht es sich und anderen dieses zunächst unbestimmte Gefühl (vgl. Neuß 2001, S. 97ff.).
Nicht selten drücken Kinder durch ihre Medienerlebnisse auch ihre eigenen lebenswelt- oder entwicklungsbezogenen Themen aus.

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Medien zur Sensibilisierung der Sinne einsetzen

Medien schränken nicht nur die sinnlichen Erfahrungen ein, weil sie in der Regel nur das Auge und das Ohr ansprechen, sondern sie können auch die Sensibilität für diese Sinne deutlich erhöhen. Wer schon mal mit Kindern ein Fotoprojekt durchgeführt oder eine Ton-Dia-Show erstellt hat, der weiß, wie diese Medien zum genauen Hinsehen und Hinhören auffordern. Indem Kinder in Medienprojekten (u.a. Trickfilm, Hörspiel, Video, Ton-Dia-Serie, Fotogeschichte) (vgl. Eder/Neuß/Zipf 1999) selbst gestalterisch mit Medien umgehen, lernen sie Medien zur Darstellung eigener Ideen und Themen produktiv zu nutzen (Handlungsorientierung).
Die Projektarbeit mit Medien geschieht dabei immer in einer sozialen Gruppe und lässt sich außerdem zur Förderung der Phantasie einsetzen.

Medien als Erinnerungs- und Erzählhilfe einsetzen

Auch Erwachsene fotografieren, schreiben oder erstellen Videofilme, um sich an Situationen, Erlebnisse oder Stimmungen zu erinnern. Medien helfen uns bei dieser Erinnerung. Sie sind Speicher von biographischen Erfahrungen. An einem Foto kann eine ganze Urlaubsgeschichte "hängen".
Medien helfen uns zu erinnern, uns die Gefühle wieder wachzurufen, vergessene Details wiederzuentdecken, Situationen zu beschreiben und Personen zuzuordnen. Diese Möglichkeiten lassen sich im Kindergarten nutzen. Medien können bereits im Kindergarten eingesetzt werden, um aus den vielfältigen Erfahrungen, die die Kinder in ihrer Lebenswelt machen, auszuwählen, sich daran zu erinnern und darüber zu sprechen (Erfahrungsorientierung).

Medien durchschauen helfen

Der Kindergarten hilft Kindern, sich in der Welt zu orientieren. Allerdings wird dabei die Medien- und Konsumwelt noch weitgehend ausgeklammert.
Es gibt aber Problembereiche des Medienverständnisses, bei denen Kinder Hilfestellung und Interpretationshilfen von Erwachsenen benötigen (Problemorientierung).
Hierzu können Erzieher/innen auf bestehende Materialien zurückgreifen, um Projekte anzubieten, die nicht nur lehrreich sind, sondern auch Spaß machen.
Zu diesem Bereich gehören auch erste technische Verständnishilfen (z.B. beim Bedienen eines Computers).

Medien als kooperative Erziehungsaufgabe verstehen

"Die Einflüsse der Medien" rufen bei jungen Eltern häufig Fragen und nicht selten Sorgen und Verunsicherungen hervor. Auch die Fragen zum Thema "Computer und Computerspiele" werden von Eltern in ähnlicher Weise gestellt. Allerdings werden der Computer und seine vermeintlichen Lern- und Bildungsmöglichkeiten deutlich positiver bewertet.
Gerade der Kindergarten kann zu einem Kommunikationsort über erzieherische Fragen werden, wenn dafür ein entsprechend vertrauenswürdiger Rahmen angeboten wird. Hierbei bietet es sich an, kooperative Formen der Zusammenarbeit (Familienwochenende, Elternabend und Elternnachmittage o.ä.) mit den Medienprojekten der Kinder zu verknüpfen und diese zu einem gemeinsamen Lernprozess für alle Beteiligten (Kinder, Eltern und Erzieher/innen) werden zu lassen (Kooperationsorientierung).

Medien als Bildungsmaterial bereitstellen

Sicher gibt es in jedem Kindergarten Bilderbücher, manchmal auch einen Kassettenrekorder, seltener einen Fernseher und kaum einen Computer. All diese Medien aber bieten Kindern auf unterschiedliche Weise Bildungsmöglichkeiten und sind Bestandteil kindlicher Primärerfahrung. Einerseits machen Kinder Erfahrungen mit dem Medium selbst, andererseits erschließen sie sich selbständig Informationen oder Geschichten (Bildungsorientierung).
Ihnen die Medien in der heutigen Zeit vorenthalten zu wollen, bedeutet eine Einschränkung von Erfahrungs-, Erlebnis- und Informationsmöglichkeiten. Der Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen kann mit Hilfe von unterschiedlichen Medien umgesetzt werden. Dieser Bildungsbereich bietet also eine Verschränkung mit den anderen Bildungsbereichen, wie sie in den Bildungsplänen der Bundesländer genannt werden (Ästhetische Bildung, naturwissenschaftlich-mathematische Bildung, Sprachliche Bildung usw.)

Auszug (S.27 - 29) aus dem Artikel von Norbert Neuß, Medienpädagogische Entgegnungen
Eine Auseinandersetzung mit den populären Auffassungen von Prof. Spitzer aus Sicht der Elementarbildung, in: Lauffer, J., Röllecke, R. (Hrsg.), Kinder im Blick
Medienkompetenz statt Medienabstinenz. Dieter Baacke Preis Handbuch 4, Bielefeld 2009

Literaturhinweise im Text:
Eder, S./Neuß, N./Zipf, J., Medienprojekte in Kindergarten und Hort, Berlin 1999
Neuß, N. (2001): Kinderzeichnungen als Methode zur Reflexion von Medienerlebnissen. In: Aufenanger, S./Six, U. (Hrsg.): Handbuch: Medienerziehung - früh beginnen (Bundeszentrale für politische Bildung). Bonn: S. 97- 113. Zu bestellen unter www.bpb.de.

Der Autor, Prof. Dr. Norbert Neuß, ist Medienpädagoge und Erziehungswissenschaftler an der Universität Gießen mit dem Schwerpunkt "Pädagogik der Kindheit" und Vorstandsvorsitzender der GMK.