Sabine Hebenstreit-Müller, Doris Breuer, Stellungnahme: Medien als Bildungsbereich im Berliner Bildungsprogramm (22.12.03)

Kindheit heute ist medienvermittelte Kindheit, d. h. Kinder eignen sich ihre Welt nicht nur über unmittelbare Erfahrungen an, sondern vermittelt über Medien. Dies gilt bereits für Kinder im vorschulischen Alter, für die Filme, Fotos oder Reklame zum Alltag gehören. Die besondere Bedeutung der kindlichen Mediensozialisation hebt Dieter Baacke heraus, wenn er sagt: "Neben der Familie spielen schon im Kleinkindalter Gleichaltrige (Peers) eine wachsende Rolle und neben die pädagogisch-institutionellen Einrichtungen treten von Geburt an die Medienwelten aller Art, die quasi als symbolische Querstruktur eine neue Allgegenwärtigkeit erlangen, die in dieser Form zu keinem historischen Zeitpunkt erreicht wurde. Wer dies übersieht, malt ein falsches, zumindest unscharfes Kinderbild."(1)

Im Hinblick auf die Relevanz von Medien, von medial vermittelter Erfahrungen für die Bildungsprozesse von Kindern bereits im frühesten Alter, plädieren wir dafür, dem Rechnung zu tragen durch einen eigenen Bildungsbereich.

Die Notwendigkeit von Medienbildung als eigenen Bildungsbereich im Berliner Bildungsprogramm begründet sich in solcher Weise nicht aus den Sonderheiten einer Fachdisziplin heraus. Dies würde dem Grundgedanken des Bildungsprogramms widersprechen. Vielmehr geht es uns um die veränderte Art und Weise, in der Kinder sich mit ihrer Welt auseinandersetzen und die Formen, in der Welt heute für Kinder begreifbar wird.

Dies soll an zwei Beispielen deutlich gemacht werden: Kinder sind eine bedeutende Zielgruppe von Werbestrategien, weil sie selbst oder vermittelt über ihre Familie über erhebliche Geldmengen verfügen, in einem Alter, in dem sie die Bedeutung von Geld oder Gelderwerb nicht erfassen können. Die Werbeindustrie erreicht auf diese Weise nicht nur kurzfristig Käufer, sondern beeinflusst nachhaltig den Umgang mit Bedürfnissen, Frustrationserlebnissen und Bedürfnisbefriedigung. Kindern bis zum Schuleintritt ist der Unterschied zwischen Werbebeiträgen und Programmbeiträgen kaum klar. Gleichzeitig orientieren sie sich an Rollen- und Wertvorstellungen aus den Medien, besonders, wenn es um ihre Geschlechterrolle geht. Parallel dazu benutzen Kinder Medienfiguren und Medieninhalte ganz gezielt, um ihre entwicklungs- und situationsbedingten Konflikte und Themen zu bearbeiten. Dies tun sie selbstverständlich auch in der Kindertagesstätte. Medieninteressen bieten also den Erzieher/innen Beobachtungs- und Abknüpfungsmöglichkeiten, um die Schlüsselthemen der Kinder zu verstehen und daran anschließend Hilfestellung zur Konfliktbewältigung und Weiterentwicklung zu geben.

Die Erfahrungen zeigen darüber hinausgehend, dass auf verschiedenen Ebenen eine zusätzliche Qualität durch Medienarbeit gewonnen wird, die sich nicht automatisch auch aus anderen Schwerpunkten entwickelt:

- Die Beschäftigung mit technischen Medien macht Kindern an vielen Punkten deutlich, wie wichtig Lese- und Erzählfähigkeiten sind und bietet buchabstinenten Kindern an anderer Stelle Übungsmöglichkeiten.

- In kreativ-forschenden Medienprojekten hat sich erwiesen, dass sich die Kinder besonders in Punkto Selbständigkeit und Sozialverhalten weiterentwickeln. Erfahrungsgemäß erhält die Erzieherin einen neuen Blick auf die Kompetenzen vieler Kinder.

- Techniken rücken ins Blickfeld der Kinder, so dass sowohl Jungen wie Mädchen in diesem Interessengebiet in einem Alter gefördert werden, in dem das Bild vom technikkompetenten Mann und der technikunbegabten Frau noch nicht so stark verfestigt ist.

- Die Arbeit der Erzieher/innen knüpft sehr viel dichter an den häuslichen Erfahrungen der Kinder an, wenn die Medienerlebnisse thematisch aufgegriffen und kreativ umgesetzt werden können. Dies kann das Elternhaus in der Regel nicht bieten. In den inzwischen gehäuften Fällen von überwältigenden Medienbildern (11. Septermber, Krieg) kann die Kita einen wesentlichen Beitrag zur innerpsychischen Bewältigung bei den Kindern leisten, wenn sie nicht erst im Katastrophenfall mit Medienarbeit beginnt.

- Eltern engagieren sich häufig bei Medienvorhaben in Kitas auf verschiedenen Ebenen: durch Material- und Gerätespenden, durch Mithilfe aus der eigenen Berufserfahrung oder indem sie den Kindern einen Eindruck in ihr Arbeitsfeld gewähren.

- Hinzu kommt, dass die Kita überwiegend der Arbeitsplatz von Frauen ist, die eher technikabstinent sind. So wird dieser Bildungsbereich erfahrungsgemäß vernachlässigt, wenn er nicht als eigenständiger Schwerpunkt ins Blickfeld gerückt wird. Dadurch fehlt den Kindern ein integraler Bestandteil ihres Altages als Bildungsbereich, genauso wie allgemein der Bereich Technik nicht im Bildungsprogramm erscheint.

Wir verweisen schließlich ausdrücklich auf das Fachgutachten von Norbert Neuß. In diesem Gutachten werden fachliche Argumente aufgeführt für Medienbildung im Vorschulbereich als eigenständigem Themen- und Lernfeld.

(1) D. Baacke: Die 0 - 5jährigen, Beltz, Weinheim, 1999, S. 12 -13