Temp Tracks – Materialien zur Thematisierung in der produktiven Medienarbeit

In der produktiven Medienarbeit erproben und erfahren wir auch, wie unterschiedliche Nutzung von Geräuschen und Musik unterschiedliche emotionale Auswirkungen erzielen. Dabei kann deutlich werden, welch hohe Bedeutung die jeweilige Musikauswahl für die Wahrnehmung der Filmsequenz durch die Zuschauenden hat.

Bei den dabei entstehenden Eigenproduktionen wird zwar wegen fehlender Ressourcen selten mit selbstkomponierter Musik gearbeitet, aber gerade auch die Auswahl geeigneter vorhandener Musiksequenzen bedarf der sorgfältigen Reflexion.

Anregende Beispiele, Überlegungen und Argumente für eine vertiefende Auseinandersetzung bietet die aktuelle Diskussion um die Nutzung von Temp Tracks in professionell produzierten Filmen.

“A temp track is an existing piece of music or audio which is used in film production during the editing phase. It serves as a guideline for the mood or atmosphere the director is looking for in a scene.“ (Wikipedia)

“Oft wird bei Filmprojekten, die noch nicht abgeschlossen sind und für die vor allem die Musiken noch nicht komponiert wurden, eine "vorläufige Musik“ unterlegt – einerseits, um die Wirkung des schon vorliegenden Materials schon probeweise testen zu können, andererseits, um über die Auswahl vorliegender Musiken, die dem Film nur provisorisch unterlegt werden, auch Entscheidungen über Art und Klangfarbe, Tempo und Instrumentierung zu treffen, die später für den Filmkomponisten Anhaltspunkte dafür bieten, welche Musiken von ihm von Produzent und Regisseur erwartet werden.“ (Lexikon der Filmbegriffe)

Tony Zhou argumentiert mit Passantenbefragungen und zahlreichen vergleichenden Filmausschnitten, dass die Musik in einer Reihe von erfolgreichen Comicverfilmungen des Marvel Cinematic Universe wenig in Erinnerung bleibt, da hierfür kaum eigenständige Neukompompositionen zu den einzelnen Produktionen entwickelt werden. Stattdessen würden systematisch Abwandlungen von in anderen erfolgreichen Filmen genutzten Musiksequenzen genutzt werden, um ein potentielles Risiko zu vermeiden. Verstärkt würde diese Tendenz durch das Hinzufügen von Hintergrundgeräuschen, “Hören was du siehst“ und Hinzufügen einer Erzählstimme.

“Off the top of your head, could you sing the theme from Star Wars? How about James Bond? Or Harry Potter? But here’s the kicker: can you sing any theme from a Marvel film? Despite 13 films and 10 billion dollars at the box office, the Marvel Cinematic Universe lacks a distinctive musical identity or approach. So let’s try to answer the question: what is missing from Marvel music?“

Dan Golding publizierte als Antwort sein Videoessay “A Theory of Film Music“ (2016). Er stimmt der Aussage zu, das die Musik der Marvel-Filme kaum in Erinnerung bleibt, argumentiert jedoch mit konkreten Beispielen, dass dies nicht nur an der Nutzung modifizierter Temp Tracks liegt.

Er beginnt mit dem Hinweis, das auch die von Tony Zhou als Gegenbeispiel hervorgehobene Melodie aus Star Wars keine komplett eigenschöpferische Entwicklung ist, sondern auf Melodien aus älteren Filmen zurückgeführt werden kann und argumentiert, dass die (partielle) Nutzung und Modifikation bereits vorhandener Musiksequenzen seit Beginn des Tonfilms nachweisbar ist. Er sieht als entscheidenden Grund die durch Digitalisierung und immer stärkere Speicherkapazität und Verarbeitungsgeschwindigkeit der Computer erreichten neuen Möglichkeiten der Musikproduktion, die zudem Kosten- und Zeiteinsparung und stärkere direkte Einflussnahme insbesondere durch Regisseur und Produzent ermöglichen.

Ergebnisse dieses Vorgehens seien dann “a landscape of sound rather than melodies and harmonies“. Hierfür liefert er anschauliche Beispiele.

Einen weiteren Aspekt bringt das Video “Marvel Music: The Thematic Continuity Issue“ (2016). In ihm wird - ebenfalls mit zahlreichen Filmausschnitten – argumentiert, dass die fehlende “thematische Kontinuität“ der Filmmusik verhindert, dass sie sich einprägt.

Gutes ergänzendes Arbeitsmaterial, geeignet z.B. auch zur Gestaltung einer Lernumgebung zum Thema, bietet Hollywood Scores & Soundtracks: What Do They Sound Like? Do They Sound Like Things?? Let's Find Out! (2016). Mit genauen Quellenangaben werden 11 kurze Ausschnitte aus Spielfilmen jeweils erst mit dem vermuteten Temp Track und dann mit der im fertigen Film genutzten Tonspur gezeigt.

Zur weiteren Vertiefung

praxisorientiert:

The Relevance Of Temp Tracks - How temp tracks can help you find the right sound

theorieorientiert:

Paula Flach, Film scoring today - Theory, practice and analysis, 112 S., (2012), PDF-Datei